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(45) Athen: Großmacht und Demokratie

Der Attische Seebund

Die Athener nutzten den Erfolg über die Perser aus und arbeiteten an ihrer Überlegenheit zur See. Wir haben gesehen, dass sie den Hellespont und den Bosporus den Persern entreißen konnten. Zu Beginn führte mit Pausanias zwar noch ein Spartaner die Bundesflotte, der Erfolg ging aber auf das Konto der Athener.

 

Sparta zog sich auf den Peloponnes zurück und überließ den Athenern die Hegemonie über die griechische Inselwelt und die kleinasiatische Küste. Auch wenn der Sieg über die Perser auf dem Schlachtfeld ganz wesentlich durch spartanische Truppen erfochten worden war, waren die vorausschauenden Planungen des Themistokles, die durch ihn initiierte starke Flotte und der Kampfesmut der Athener fast entscheidender. Mit diesem Schwung und dem auf diesen Erfolgen gewachsenen Selbstbewusstsein nutzten die Athener die Möglichkeit, die sich durch den Rückzug der Spartaner ergab, und bildeten aus den Beistandsverträgen mit den ionischen Städten und Inseln ein größeres Bündnissystem, den Attischen Seebund. Im Original lautete der Titel »Die Athener und Mitkämpfer«, wodurch sehr klar wurde, wer hier wohl das Sagen haben mochte.

 

Neben dem Schutz der ionischen Städte war die Sicherung des freien Handels in der Ägäis das zweite konstituierende Merkmal dieses Bundes. Ungehinderter Zugang zu Wareneinfuhren war insbesondere für das auf Lebensmittelimporte angewiesene Athen lebensnotwendig. Die Handelswege verliefen über das Meer und es gebrauchte eine starke und große Flotte, um diese zu sichern. Diese konnte eigentlich nur Athen selbst stellen, so dass die Machtverhältnisse durchaus auch die realen Kräfte widerspiegelten.

 

Es war eine erfolgreiche Geschichte, am Ende hatte die Allianz mehr als 200 Mitglieder. Xerxes gelang es nicht mehr, ganz Kleinasien unter seine Herrschaft zu bringen. Auch an der makedonischen Küste fiel 476 v. Chr. mit Eion der letzte persische Stützpunkt. Zwar konnten die Perser 469 v. Chr. erfolgreich in Zypern einfallen und dort einen Brückenkopf für mögliche weitere Überfälle nach Westen schaffen. Doch daraus wurde nichts. Kimon, der neue starke Mann in Athen, ein Sohn des Siegers von Marathon Miltiades, schlug die persische Flotte 465 v. Chr. jedoch erneut vernichtend an der Mündung des Eurymedon, heute Köprüçay, östlich von Antalya. Mit diesem Sieg und dem Attischen Seebund im Rücken, der sich nach Eurymedon noch um einige Städte Kleinasiens erweiterte, war Athen zur Großmacht geworden.

 

Athen wird ungemütlich

Erfolg gebiert Feinde. Über die nächsten Jahrzehnte verstärkte sich die gegenseitige Abneigung zwischen Sparta und Athen zusehends. Themistokles hatte vorausgesehen, dass es zwischen den beiden starken griechischen Mächten zu einem entscheidenden Konflikt kommen musste und zur Sicherung seiner Stadt, Mauern um Athen bauen lassen. Dies mag mit ein Grund gewesen sein, dass die Spartaner seinen Tod forderten. Zudem konnte Athen Spartas Landmacht nun durch die Truppen ihrer Verbündeten auf den Inseln etwas Gleichwertiges entgegensetzen. Sie führten den Seebund sehr straff und autokratisch. Städte, die ihn verlassen wollten, wurden bis zur Zerstörung gemaßregelt. Entscheidungen fielen allein in Athen und auch das Vermögen des Bundes lag zum Schluss physisch in Athen und damit in alleiniger Verfügungsmacht der Athener Volksversammlung. Die Beiträge waren somit eher Tributzahlungen. So richtig nach Demokratie und freiem Handel klingt das alles erst einmal nicht.

 

Die Insel Naxos bekam Athens Machtwillen als erste wirklich zu spüren, als sie 470 v. Chr. aus dem Bund austreten wollte. Von einer persischen Bedrohung sprach keiner mehr und die Mitgliedsbeiträge, die in Athen landeten, könnte man ja nutzbringender verwenden. Athen sah dies gänzlich anders, belagerte, eroberte und bestrafte die Stadt. Allein durch die deutlich geringeren Beiträge, die Naxos nach der Aktion zahlte, wird sehr deutlich, dass die Insel in ihrem wirtschaftlichen Kern massiv getroffen worden war. Ein abschreckendes Beispiel, das Athen hier statuierte.

 

Kalliasfrieden?

Eine umstrittene These ist, dass ungefähr 449 v. Chr. zwischen den Griechen und Persern der sogenannte Kalliasfrieden geschlossen wurde, der den ionischen Städten Kleinasiens ihre Selbstbestimmung sicherte. Wobei wir wissen, dass Athen es mit dem Wort Selbstbestimmung sehr genau nahm, wenn das »Selbst« Athen hieß. Weitere Regelungen waren, dass für das persische Heer und die persische Flotte Verbotszonen in der Ägäis und in einem gewissen Abstand zur griechischen Küste vereinbart wurden. Athen sagte im Gegenzug zu, den Besitzstand des persischen Reiches zu garantieren. Ob dieser Frieden ein förmliches Vertragswerk war oder nur eine später aufgestellte Synopse des tatsächlichen Geschehens, ist zwischen den Forschern umstritten. Wichtig ist, dass wir ab der Mitte des Jahrhunderts von einer im Wesentlichen ruhigen Grenze zum persischen Reich ausgehen können. Dies gab Zeit für die Innenpolitik und innergriechische Auseinandersetzungen.

 

Demokratie

Wir haben gesehen, wie insbesondere Solon und Kleisthenes die Grundlagen einer demokratischen und rechtsstaatlichen, wenn wir so wollen »westlichen« Gesellschaftsordnung geschaffen haben, wobei die Idee der Gewaltenteilung noch nicht in den Köpfen war. Im Zuge der Perserkriege war das Selbstbewusstsein der Athener stark gestiegen. Auch die unterste Vermögensklasse in dem solonischen System, die Theten, hatten als Ruderer der vielen Trieren ihren großen Beitrag zum Sieg über die Perser beigetragen. Durch die Bildung des Attischen Seebunds und die Entwicklung Athens zur Seemacht wurde ihr Einfluss in der Volksversammlung auch größer. Die weitere Entwicklung war durch zwei Männer geprägt, Kimon, dem wir schon begegnet sind und Perikles (etwa 495 bis 429 v. Chr.).

 

Kimon und Ephialtes

Während der Perserkriege entwickelte sich auch die Gesellschaftsordnung in Athen weiter. Beispielsweise wurde in diesen Jahren das Prinzip der Wahl der Archonten durch das Auslosen ersetzt, wobei auch Männer der zweiten Einkommensklasse, die Ritter, im Lostopf waren. Die Willkür, die so einem Losverfahren innewohnt, bekam dem Archonat nicht gut. Es stärkte letztlich die Rolle der Strategen, die weiterhin wähl- und vor allem auch wiederwählbar waren. Ehrgeizige Menschen konzentrierten sich stärker auf dieses Amt, da es zielgerichteter angestrebt und gehalten werden konnte. Es verfügte zudem über den nachweislichen Rückhalt der Bevölkerung und war somit faktisch wirkungsmächtiger. Ob die Ehrgeizigen dann auch immer die Fähigsten sind, darüber ließe sich lange diskutieren. Da hat jeder von uns seine Beispiele im Kopf. Da lassen wir sie dann auch und schauen, wie es mit Athen weiterging.

 

Kimon bestimmte das Geschehen in den 70er und 60er Jahren. Er hatte das Prinzip begriffen und ließ sich in diesen Jahren immer wieder zum Strategen wählen. Ihm war an einem guten Verhältnis zu Sparta als weiterhin führender Landmacht gelegen. Hieraus entstand merkwürdigerweise ein Schub für die Demokratie in Athen und das kam so. Dass Sparta 462 v. Chr. die Athener um Hilfe im Kampf gegen die immer unruhigen Messenier bat, wissen wir schon. Kimon brachte die Volksversammlung dazu, 4.000 Hopliten nach Sparta zu schicken. So ganz trauten die Spartaner aber den Athenern dann doch nicht – zu demokratisch und im Zweifel der ein oder andere im Herzen auf Seiten der um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Messenier – und schickten die Truppen wieder nach Hause. Erst um Hilfe bitten und diese dann nicht annehmen - die Athener empfanden dies als Beleidigung. Ephialtes (um 460 v. Chr.), ein Gegner Kimons, nutzte dies aus. Er setzte eine größere Verfassungsreform mit dem Kernpunkt der Entmachtung des Areopags durch, in dem bisher der Adel das Sagen hatte. Rechtsprechung und Staatsverwaltung wurden auf die Volksversammlung, auf Gerichte und den Rat der 500 übertragen. Kimon wurde 461 v. Chr. durch ein Scherbengericht für zehn Jahre verbannt. Der neue starke Mann in Athen war in den nächsten Jahren aber nicht Ephialtes. Dieser fiel bald einem Mordanschlag zum Opfer, über die Attentäter wird bis heute gerätselt. Perikles hieß der Herr, der in den nächsten Jahren die Geschicke Athens bestimmte. Sein Name bedeutet »Allseits berühmt« und das ist er bis heute.

 

Perikles

Perikles wurde um 495 v. Chr. geboren und hatte wie zuvor Kimon das Amt des Strategen über mehrere Jahre inne, von 443 bis zu seinem Tode 429 v. Chr. sogar ununterbrochen. Seine Mutter war eine Nichte von Kleisthenes. Perikles entwickelte dessen Haltung und Ideen weiter. So trat er als Ankläger gegen Kimon auf, der aus seinen Erfahrungen in den Perserkriegen den Zusammenhalt der griechischen Städte und insbesondere die Allianz mit Sparta als deutlich wichtiger ansah als die Entwicklung der Demokratie in Athen.

 

Diäten

Inwieweit es Perikles um die Demokratie an sich oder nur um die Sicherung der eigenen Machtbasis ging, können wir nicht wissen. Durch einige Reformen sorgte er auf jeden Fall dafür, dass der Einfluss seiner Anhänger gestärkt wurde. Politische Ämter wurden mit Diäten unterlegt, was es ärmeren Bürgern erleichterte, sich zu engagieren. Auch Angehörige der untersten Klasse, der Theten, durften nun Mitglieder des Rates der 500 werden. Das Archonat wurde 457/6 v. Chr. auch für Angehörige der dritten Klasse, der Zeugiten, geöffnet. Anders als bei den Strategen, die gewählt wurden, galt hier ja das Los. Bedingung für den Einzug in den Rat der 500 war, dass Vater und Mutter Athener waren. Das war ein geschickter Schachzug Perikles'. Auf diese Weise wurde die Macht des Adels eingeschränkt, der häufiger Ehen über die Stadtgrenzen hinweg einging. Durch diese Maßnahmen wurden insgesamt die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Athener Bevölkerung deutlich ausgeweitet.

 

Wichtig ist, was hinten rauskommt, sagte einmal ein Bundeskanzler. Und hier kam mehr Demokratie heraus, was Perikles in der Geschichte einen besonderen Platz zuweist, auch wenn wir nicht wissen, ob diese Entwicklung für ihn Selbstzweck war oder nur das dem aktuellen Zeitgeist adäquate Mittel, seine Position zu halten und zu stärken. Der Chronist des Peloponnesischen Krieges, Thukydides (etwa 460 bis 400 v. Chr.), fasste es so zusammen, dass Athen zur Zeit des Perikles dem Namen nach eine Demokratie, in Wirklichkeit aber die Herrschaft des ersten Mannes gewesen sei.

Eine Folge dieser Änderungen war auf jeden Fall, dass das Amt des Strategen noch wichtiger wurde, während die Rolle der Archonten immer weiter verblasste. Auch die Fähigkeit, in der Volksversammlung zu überzeugen, wurde zunehmend wichtiger, was für rhetorische und charismatische Talente den Aufstieg leichter machte. Kommt Dir das bekannt vor? Durch das Instrument des Ostrakismos gab es Korrektive, mit deren Hilfe Demagogen ausgesteuert werden konnten. Auch die Judikative wurde demokratisiert. Bisher gab es ein Volksgericht, die Heliaia, zu der 6.000 Bürger durch Los berufen wurden. Dieses wurde nun in einzelne, Dikasterien genannte Gerichtshöfe unterteilt. Auch die Richter erhielten eine Aufwandsentschädigung.

 

Ohne Moos nix los

Die gesamte Entwicklung war möglich, da Athen auf große Silbervorkommen zugreifen konnte, mit denen nicht nur die Flotte in den Perserkriegen, sondern auch der Ausbau der Akropolis und eben die Diäten für die Amtsinhaber gezahlt werden konnten. Gute Ideen ohne entsprechende Portemonnaies sind immer schwierig am Leben zu halten. Die Minen lagen nicht weit weg in Laureion an der Südspitze der Halbinsel, auf der auch Athen liegt. Zu den Erträgen der Silberminen kamen die des Handels. Als Seemacht und in seiner Führungsrolle im Seebund war Athen hier die Spinne im Netz und konnte Handelsrouten und -regeln bestimmen.

 

Lange Mauern

Diese Rolle untermauerte Perikles im engeren Wortsinn durch die Anlage der »Langen Mauern«, die eine fünf bis sieben Kilometer lange geschützte Verbindung zwischen Athen und seinem Hafen Piräus schufen. Sie waren für die damalige Kriegstechnik eine sichere, nahezu unüberwindliche Barriere. Sparta hatten schon die von Themistokles initiierten Ringmauern um Athen selbst nicht wirklich gefallen und auch die Langen Mauern erzeugten keine Jubelstürme. Bereits Themistokles hatte im Übrigen begonnen, den Nordwall der Langen Mauern bauen zu lassen. Perikles perfektionierte und vollendete die Idee. In Sparta konnte man sich zu dieser Zeit damit nicht wirklich auseinandersetzen, da man mit den Folgen eines verheerenden, den Großteil der eigenen Stadt zerstörenden Erdbebens zu tun hatte. Die Messenier wollten diese Situation nutzen und ihre Unabhängigkeit erlangen. Wir kennen den Ausgang der Geschichte, der für Kimon tragisch endete.

 

Athenes Zuhause ist barrierefrei

So hatte Perikles einen weiteren glücklichen Umstand auf seiner Seite. Sparta war mit sich und den Messeniern beschäftigt und konnte weder den Umbau der Gesellschaft in Richtung Demokratie noch die Anstrengungen Athens, seine Machtposition zu stärken, konterkarieren. Dies nutzte er zu weiteren großartigen Bauvorhaben. 447/6 v. Chr. begann auf der Akropolis der Bau des Parthenon, des Tempels für die Stadtgöttin Athene, den wir heute noch bewundern können. Der Vorgängertempel war in den Perserkriegen zerstört worden. Parthenon heißt übersetzt Jungfrauengemach, da Athene anders als ihr Vater Zeus sich jeder Liebesbeziehung enthielt. Sie war die Göttin der Weisheit, der Kunst, des Handwerks, der Strategie, des Kampfes und nicht zuletzt der Handarbeit. Bei einem solchen Portfolio bleibt für ein Privatleben und Liebesspiele keine Zeit mehr.

 

Und wo wir gerade ein wenig abschweifen und bei den Tempeln und Göttern sind, wollen wir auch erwähnen, dass die heiligen Stätten sehr häufig barrierefrei gestaltet waren, insbesondere für gehbehinderte Menschen. Viele Menschen litten unter Arthritis, aus den Kriegen kamen viele Versehrte zurück, Menschen mit Behinderungen waren insgesamt ein relativ gut integrierter Bestandteil der Gesellschaft. Da waren dann Rampen, um ihnen einen stufenfreien Zugang zum Tempel zu ermöglichen, fast schon eine Selbstverständlichkeit.

 

Das Beispiel macht Schule

Zu dieser Zeit entwickelte sich auch in Böotien mit Theben als zentralem Ort ein relativ moderner Bundesstaat. Die Region wurde in elf Kreise eingeteilt, kleinere Städte dabei in einem zusammengefasst, größere in mehrere Kreise aufgeteilt, Theben beispielsweise in vier. Jeder dieser Kreise stellte 60 Ratsherren und einen Böotarchen, quasi ein Regierungsmitglied, zudem 1.000 Hopliten und 100 Reiter für das gemeinsame Heer. Die athenischen Ideen begannen also auszustrahlen.

 

In den nächsten Folgen werden wir uns mit dem Konflikt zwischen Athen und Sparta beschäftigen, der mit dem Peloponnesischen Krieg eine lange Zeit die Geschichte Griechenlands bestimmte.