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(43) Perserkriege - Marathon

Eine demokratische Revolution?

Im geschichtlichen Raum-Zeit-Kontinuum kommen wir in dieser und den nächsten Folgen zu einem der spannendsten Koordinatenpunkte: Griechenland im 5. Jahrhundert v. Chr. Manche sprechen von einer Umwälzung der politischen Ordnung, vergleichbar mit der neolithischen oder industriellen Revolution. Nun, einer Wertung in dieser Regalhöhe enthalten wir uns lieber und betrachten, was geschehen ist, bzw. was wir davon wissen. Es gibt Historiker, die rätseln, ob diese Entwicklung hin zur Demokratie eine Folge der durch die Topographie des zerklüfteten Festlands und der vielen Inseln der Ägäis bedingten Kleinteiligkeit der Poleis gewesen sein könnte. Zumindest war es nicht zwanghaft so, dass sich aus der Struktur der Landschaft eine bestimmte politische Ordnung ergeben musste, da dies zwar vornehmlich in Athen, in vielen anderen Städten jedoch eben nicht geschah. Bei der Verwendung des Demokratie-Begriffes müssen wir zudem immer den geschichtlichen Kontext betrachten, er ist sicherlich nicht mit heutigen Maßstäben zu werten.

 

Wenig Städte, viele Dörfer

Mit den gegründeten Tochterstädten sprechen wir von etwa 1.000 griechischen Poleis im Mittelmeerraum und am Schwarzen Meer, davon vielleicht 200 in Griechenland selbst. Lediglich 150 davon hatten mehr als 5.000 Einwohner. Herausragend dabei war Athen, dem man im Jahr 435 v. Chr. etwa 250.000 bis 300.000 Einwohner zurechnet, davon 100.000 Sklaven und 60.000 männliche erwachsene Bürger. Ganz so kleinteilig war es also auch nicht. Die Gesellschaft war geprägt durch Landwirtschaft und Handel. Im Ansehen standen dabei die Landbesitzer, meist Kleinbauern, über den Handwerkern und Händlern, auch wenn von diesen Einzelne größeren wirtschaftlichen Erfolg hatten und reicher waren. Athen war also schon recht groß und wir haben auch an Sparta bereits gesehen, dass es durchaus möglich war, auch größere Gebiete mit unterschiedlichen Städten unter die eigene Herrschaft zu bringen. Selbst das schwierig zu überwindende Taygetos-Gebirge hielt die Spartaner nicht davon ab, die Messenier in mehreren Kriegen zu bekämpfen und – gegen deren Willen – in den eigenen Machtbereich zu integrieren.

Wir werden es nicht schaffen, an dieser Stelle, die besonderen Bedingungen der weiteren Entwicklung der griechischen Poleis wirklich umfassend zu beleuchten. Konzentrieren wir uns also wieder auf das, was geschah und verzichten auf die nachträgliche Konstruktion von Narrativen.

 

Perserkriege

Wir haben Athen nach den Kleisthenischen Reformen in guter Ordnung zurückgelassen. Vieles von dem, was im Folgenden passiert, haben wir schon aus persischer Sicht kennengelernt. Es begann mit dem Ionischen Aufstand der kleinasiatischen griechischen Städte gegen die persische Herrschaft, den lediglich Athen und Eretria auf Euböa durch die Entsendung von 20 bzw. 5 Schiffen allerdings auch eher zurückhaltend unterstützten. Immerhin brauchten die Perser sechs Jahre, um der Situation wieder vollumfänglich Herr zu werden. Die Strafexpedition des Dareios kam wie gesehen nur bis zum Berg Athos auf Chalkidike, trotzdem konnten das reiche Thrakien und Makedonien wieder unter persische Oberhoheit genommen werden.

 

In Athen wurde 493/2 v. Chr. Themistokles (um 524 bis 459 v. Chr.) zum Archon gewählt. Von ihm stammt das älteste bekannte Porträt aus Griechenland, das ein Bildhauer nicht nach einem allgemeinen Idealbild geformt hat, sondern das individuelle Züge trägt. Wir sehen einen bulligen Kerl, dem man ansieht, dass er weiß, was er will. Sein Hauptaugenmerk lag darauf, Athen zu schützen, hauptsächlich zunächst vor den ständigen Angriffen aus Ägina, einer Insel im Saronischen Golf zwischen Athen und dem Peloponnes. Also ließ er den Hafen von Phaleron nach Piräus verlegen und befestigen, eine Maßnahme die Athen zwölf Jahre später sehr nützte. Mit Hilfe der Spartaner und Korinther konnte Ägina 491 v. Chr. besiegt werden.

 

Der Zug des Dareios

Die nächste Strafexpedition der Perser kam 490 v. Chr. und es war nicht Themistokles, der zum Helden der Athener wurde. Diesen Ruhm heimste Miltiades (um 550 bis 489 v. Chr.) ein, ein Adeliger, der von seinen Besitzungen am Hellespont, wo ihm die Perser die Herrschaft über die Halbinsel Gallipoli streitig machten, nach Athen zurückgekehrt war. Er muss deutlich charismatischer als Themistokles gewesen sein, die Herzen der Bevölkerung flogen ihm zu. Er war zudem reicher und Geld hilft mitunter ja auch, die Menschen zu überzeugen.

 

Als die Perser 491 v. Chr. Gesandte in die griechischen Städte schickten, die forderten, dem Großkönig Wasser und Erde als Zeichen der Unterwerfung zu schicken, hatten diese nicht überall Erfolg. Zwar gab es Poleis, die der Forderung Genüge taten. Auch Ägina gehörte dazu, was die Nervosität in Athen nochmal steigerte. Sparta und Athen weigerten sich. Die Spartaner warfen die Gesandten in eine Schlucht, die Athener in einen Brunnen, sie könnten sich dort Wasser und Erde ja selbst besorgen. Themistokles soll erfolgreich auf die Hinrichtung des Dolmetschers gedrungen haben, der es gewagt hatte, diese Befehle des Persers in griechischer Sprache zu formulieren. Das sind gravierendere Folgen, als man bei der Ausbildung gewöhnlich über Berufsrisiken erfährt.

 

Um die unbotmäßigen Städte zu maßregeln, bot Dareios I. 490 v. Chr. eine gewaltige Streitmacht von 600 Trieren, 800 Reitern und 25.000 Fußsoldaten auf. Mit dabei war auch Hippias. Du erinnerst dich vielleicht an den Sohn des Peisistratos, der zusammen mit seinem Bruder Hipparchos Tyrann in Athen gewesen war und dann vertrieben wurde. Zunächst verlief der Feldzug sehr erfolgreich, viele Inseln ergaben sich, das aufmüpfige Eretria, das schon den Aufstand von Milet unterstützt hatte, wurde erobert und niedergebrannt, viele Bürger nach Medien verschleppt. Das mag böse klingen, man darf aber nicht vergessen, dass die Griechen selbst als Sieger eher härter agierten. Die Männer hinzurichten und Frauen und Kinder in die Sklaverei zu verkaufen, war gängige Praxis. Da können wir fast schon von persischem Großmut sprechen.

 

Die Schlacht von Marathon

Nach der Eroberung Eretrias ging es aufs Festland, man landete bei Marathon, einer Ebene gegenüber von Euböa, nicht weit von Athen. Etwa 42 Kilometer vielleicht, wenn wir es uns recht überlegen.

In Athen tagte währenddessen die Volksversammlung. Unter dem Einfluss von Miltiades beschloss man, sich nicht in der Stadt zu verbarrikadieren – Eretria war abschreckendes Beispiel -, sondern den Persern in offener Feldschlacht gegenüber zu treten. Man erhoffte sich Unterstützung aus Sparta, so war es im vornherein verabredet worden. Ein sportlicher Herr namens Pheidippides (etwa 530 bis 490 v. Chr.) wurde losgeschickt, die Hilfe einzufordern. Er schaffte die 250 Kilometer in zwei Tagen – man fragt sich, warum die Marathonläufer auf ihre 42 Kilometer immer so stolz sind. Die Spartaner sagten, sie würden auf jeden Fall so bald als möglich kommen, nur gerade sei es schlecht, man feiere das Karneen-Fest und da dürfe das Heer nicht ausrücken. Blöd gelaufen. Es mag sein, dass der mit den Gebräuchen vertraute Hippias das Timing für den Angriff extra so gelegt hatte. Auf jeden Fall standen die Athener nur unterstützt durch die Platäer aus Böotien der persischen Übermacht gegenüber.

 

Wir wissen nicht, wie Miltiades die Chancen eingeschätzt hat. Er war einer von zehn Strategen und alle waren sich erst einmal einig, dass es klug wäre, auf die Spartaner zu warten. Die Stellung der Athener an einem Berghang an der Straße nach Athen, auf deren anderer Seite sumpfiges Gelände lag, war leicht auch gegen eine Übermacht zu verteidigen. Vorrücken und die Perser auf der Ebene anzugreifen, war eine andere Geschichte. Durch Spitzel unter den ionischen Griechen im Heer der Perser war man gut mit Informationen versorgt und konnte auf eine günstige Gelegenheit warten.

 

Als gemeldet wurde, die persische Reiterei schiffe sich wieder ein, mussten die Griechen schauen, was sie tun. Die einen wollten zurück nach Athen und die Stadt gegen die Perser verteidigen, von denen man annahm, dass sie nun über die See kommen und vom Hafen her angreifen würden. Die anderen wollten die Chance in Marathon nutzen. Miltiades bevorzugte diese Option und setzte sich durch – mit einer Stimme Mehrheit. Sofern die Reiterei wirklich nicht eingreifen konnte, standen die Chancen nicht schlecht. Zwar waren die Griechen zahlenmäßig unterlegen, vielleicht im Verhältnis 2:3. Hinsichtlich Bewaffnung und Ausrüstung waren sie den Persern aber mindestens einen Schritt voraus. Helm, Brustpanzer, Rock aus Lederlappen, Beinschienen, Schilde, Langspeere und starke Schwerter halfen gegen die persischen Pfeile, kurzen Lanzen und Krummsäbel besser als die Lederkleidung der Perser, die auch keinen Helm, sondern Turban trugen, gegen die Waffen der Griechen. Miltiades machte die Flanken stark, schwächte dadurch bewusst die Mitte. Die Strategie war erfolgreich, an den Flügeln wurden die Perser in die Flucht geschlagen. Die griechischen Truppen verfolgten diese jedoch nicht, sondern wandten sich zur Mitte und konnten so auch dort siegen. Wermutstropfen war, dass die zurückgeschlagenen Perser so den Großteil ihrer Schiffe erreichen und retten konnten. 192 Griechen starben in der Schlacht, bei den Persern sollen es 6.400 Krieger gewesen sein.

 

Das athenische Heer zog sich schnell in Richtung Athen zurück. Ob es vorher den berühmten Boten, auch hier spricht man von Pheidippides, gegeben hat? Wir lassen die vielen Marathonis auf der ganzen Welt gerne in dem Glauben, auf historischen Spuren zu wandeln. Wenn es hilft, dass sich der ein oder andere mit den Perserkriegen auseinandersetzt, ist es ja eine gute Sache. Die Perser hatten dann letztlich keine Lust auf eine zweite Begegnung und zogen sich gänzlich zurück. Die Spartaner waren mittlerweile auch eingetroffen und konnten so wenigstens ein wenig mitfeiern, obwohl ihnen wahrscheinlich nicht so recht danach zu Mute war.

 

Den Effekt, den dieser Erfolg für die Entwicklung in Athen hatte, ist nicht zu überschätzen. Das Selbstbewusstsein stieg, man hatte unglaublicherweise auch ohne die Hilfe der Spartaner dem Angriff einer Weltmacht siegreich widerstanden. Dieses Selbstbewusstsein der Bürger, die ja den Sieg im wahrsten Wortsinn eigenhändig erfochten hatte, sollte grundlegend für die weitere politische Entwicklung hin zur Demokratie sein.

 

Miltiades' Ende

Miltiades selbst konnte seinen Erfolg nicht lange genießen. Die Kykladen, eine Inselgruppe in der Ägäis nicht weit von Athen entfernt, hatten sich den Persern angeschlossen. Da damit zu rechnen war, dass der Großkönig einen erneuten Zug gegen Griechenland befehlen würde, war es klug, dieses Vorfeld zu bereinigen. Zudem lockten Gut und Geld, dass man dort erbeuten konnte. Man bewilligte Miltiades also Schiffe und Mannschaften und er fuhr los. Paros, eine der größeren der Kykladeninseln, widersetzte sich jedoch und Miltiades musste nach 26 Tagen Belagerung aufgeben. Es war also eher mäßig ausgegangen mit dem Eintreiben von Gut und Geld, was die Athener Bürger dann auch nur mäßig gut fanden. Das Volksgericht fand Miltiades des Betrugs schuldig, er starb kurz nach dem Urteil an einer Verwundung, die er sich auf Paros zugezogen hatte. Aufgrund seiner hohen Verdienste hatte man ihn nicht zum Tode, sondern nur zu einer, allerdings hohen Geldstrafe verurteilt, die dann sein Sohn Kimon (um 510 bis 450 v. Chr.) entrichtete.

 

Die persische Gefahr war noch nicht endgültig abgewendet. Wir schauen das nächste Mal, wie man dem Zug des Xerxes begegnete.