EINE WELTGESCHICHTE

VOM URKNALL BIS MORGEN


Auf unserer Reise durch die Weltgeschichte haben wir mit dem Urknall begonnen, staunend die Entstehung des Lebens und die Entwicklung des Menschen beobachtet und sind über Mesopotamien und Ägypten in die Zeit der historischen Geschichtserzählung eingestiegen. Danach wir uns mit der griechischen Antike beschäftigt und sind mit Alexander bis nach Indien gezogen. Die Geschichte des Römischen Reichs hat uns lange beschäftigt. Das Ende des Weströmischen Reiches haben wir im Rahmen der sogenannten Völkerwanderung erlebt und schauen im Folgenden auf die Geschichte des Oströmischen Reiches, später auch das Byzantinische genannt.

 

Auf der Seite "Warum? Wie ? Was?" kannst Du sehen, welche Blogfolgen in welche Rubrik gehören und was die nächsten Kapitel sein werden.

 

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Die Folgen bauen aufeinander auf. Neueinsteiger im Zweifel also auch gerne mal in die Vorfolgen zurückblättern.


Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft ist eine Illusion, wenn auch eine sehr hartnäckige.

Albert Einstein


Die aktuelle Folge

(133) Anastasios und Justin I.: Religionspolitik und Konflikte im Osten

Anastasios ordnet die Finanzen …

Auf Zenon folgte der bereits sechzigjährige Flavius Anastasios. Seine Erhebung hatte er Zenons Frau Ariadne zu verdanken, deren Vertrauter er war. So vertraut, dass er bald auch ihr Ehemann war. Als Verwaltungsexperte konzentrierte er sich auf das, was er konnte und begann, die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Dazu schuf er den Posten des comes patrimonii, de facto eines Finanzministers. Die Idee hat sich bis heute gehalten, die Folge sanierter Staatsfinanzen leider nicht. Zu Zeiten von Anastasios funktionierte das noch. Bei seinem Tod soll der Staatsschatz sagenhafte 320.000 Goldpfund betragen haben.

 

… hegt die Isaurier ein …

Innenpolitisch gab es zwei wichtige Themen. Zum einen gelang es dem Kaiser, den Einfluss der Isaurier zu brechen. Zwar war er selbst durch die Witwe seines isaurischen Vorgängers an die Macht gekommen. Die Macht der von Leo geschaffenen Garde und den unter dem isaurischen Kaiser Zenon am Hof weiter gewachsenen Einfluss dieses Stammes sah er aber sicherlich nicht ganz zu Unrecht als potentielle Bedrohung der kaiserlichen Machtfülle. Der Erfolg von Anastasios in diesem Kampf, in dem er unter anderem auch Zenons Bruder Flavius Longinos (gest. nach 492, amt. 486 und 490) besiegte, war nicht nur für ihn, sondern für das oströmische Kaisertum von elementarer Bedeutung.

 

… und hat Stress mit den Patriarchen 

Schwieriger war das Kapitel der Religionspolitik. Das überrascht uns jetzt nicht wirklich. Anastasios hing tendenziell der miaphysitischen Sicht auf den christlichen Glauben an, wobei er sich selbst immer als orthodox katholisch bezeichnete. Zweimal, 495 und 511, musste Anastasios den Patriarchen von Konstantinopel auswechseln. Auch die Einsetzung von Timotheos I. (gest. 517, amt. 511 bis 517) half nicht. 512 kam es zu ernsthaften Unruhen.

 

Auslöser war eine neue Auslegung des Trishagions, eines Hymnus zur Lobpreisung Gottes. Dieser sollte in den Gottesdiensten nun mit der Ergänzung »der für uns gekreuzigt wurde« verwendet werden, was den Regeln des Konzils von Chalkedon widersprach. Timotheos wies diese Formulierung gleichwohl an und erntete Sturm. Wir müssen das an dieser Stelle nicht inhaltlich nachvollziehen, das würde uns zu sehr in die exegetischen Tiefen der seinerzeitigen Glaubensdiskussionen führen. Ich erwähne es nur, um deutlich zu machen, aus welchen Gründen es zu Staatskrisen kommen konnte. Es ging so weit, dass mit Flavius Aerobindus (um 460 bis nach 512) ein Gegenkaiser nominiert wurde, der jedoch vor dem entscheidenden Schritt einer wirklichen Usurpation zurückschreckte.

 

Die Ultras helfen

Anastasios bekam die Lage zunächst in den Griff, insbesondere indem er die seinerzeitigen Sozialen Medien auf seine Seite ziehen konnte. Dies waren die Demen. Sie gab es in weißer, roter, blauer und grüner Ausführung, wobei die Grünen und Blauen die Mächtigeren waren. Du denkst, ich rede wirr? Nicht mehr als sonst. Demen waren die sogenannten Zirkusparteien, also die Fanblöcke der entsprechenden Mannschaften bei den Wagenrennen, die jedoch auch maßgeblich die öffentliche Meinung prägten. Anastasios erschien vor den Demen ganz in Demut und ohne sein kaiserliches Diadem. Er zog die Menschen auf seine Seite, so dass sie ihn sogar aufforderten, seine Insignien wieder anzulegen.

 

Nicht ganz so einfach ließ sich Vitalian (gest. 520), ein Anhänger der Regeln von Chalkedon besänftigen. Er war Heerführer in Thrakien und zog dreimal vor die Mauern Konstantinopels. Am Ende wurde er 515 besiegt und musste nach Thrakien fliehen. Anastasios hatte sich innenpolitisch behauptet.

 

Westpolitik

In der Außenpolitik hatte er es im Westen mit den immer mehr erstarkenden germanischen Reichen zu tun. Für die Menschen in dieser Zeit handelte es sich dabei nicht wirklich um Außenpolitik, da diese Herrschaften immer noch formal als Teil eines gesamthaften Römischen Reiches betrachtet wurden. Die Burgunderkönige trugen beispielsweise den kaiserlichen Titel eines magister militum. Auch der Franke Chlodwig I. bemühte sich um die Anerkennung durch den Kaiser in Konstantinopel und konnte sich 508 um seine Ernennung vermutlich zum patricius freuen. Damit hatte er in diesem Ranking die gleiche Stufe wie der Ostgote Theoderich erreicht.

 

Dessen Herrschaft war von latenten Konflikten mit Anastasios gekennzeichnet, die allerdings nie wirklich eskalierten. Man vermutet ein Bündnis Ostroms mit den Franken gegen die Westgoten, das zu einer kurzen Auseinandersetzung mit den Ostgoten als deren potentiellen Verbündeten führte. 507 griff die oströmische Flotte Italien an. 510 kam es dann allerdings auch wieder zum Ausgleich zwischen beiden Herrschern. Im Grunde ließ Anastasios auch mangels konkreter Handlungsmöglichkeiten den Westen weitgehend in Ruhe, wandte sich nur gegen Angriffe Theoderichs auf umstrittene Gebiete in Illyrien, so z. B. die Stadt Sirmium, die dann trotz seiner Bemühungen spätestens 510 verloren ging.

 

Ostpolitik

Schwieriger war die Lage im Osten und Nordosten. Über die Donau griffen turksprachige Stämme, Vorläufer der Bulgaren, an und konnten 499 eine 15.000 Mann starke römische Armee in einen Hinterhalt locken und vernichtend schlagen. Anastasios ließ daraufhin 65 Kilometer westlich von Konstantinopel über eine Strecke von 56 Kilometern als Schutzgürtel die Langen Mauern errichten oder zumindest verstärken und ergänzen.

 

Auch im Osten endete die lange, seit 441 bestehende Friedenszeit, von der seine Vorgänger profitiert hatten. Im Konflikt um Nisibis hatte es ja schon zwischen Zenon und Kavadh I. Reibereien gegeben. Diese kochten nun wieder hoch. Der persische Großkönig hatte seine Probleme mit den rebellischen Mazdakiten, einer religiösen Reformbewegung, die wir trotz ihres vermeintlich eindeutigen Namens nicht als Gründerväter heutiger japanischen Autohersteller ansehen dürfen, gelöst und konnte sich wieder um die Römer kümmern.

 

502 stieß Kavadh nach Westen vor. Anastasios wollte zunächst verhandeln, musste aber 503 doch Soldaten schicken. Mangels einheitlicher und kluger Führung konnte selbst die mit 52.000 Mann nicht ganz so kleine Armee jedoch wenig ausrichten. Erst fiel Kavadh in den römischen Teil Armeniens ein, dann wurde Amida, das heutige Diyarbakır, belagert und erobert, wobei eine römische Armee von 40.000 Mann zurückgeschlagen werden konnte. Kein Ruhmesblatt für Anastasios. Er reagierte darauf, und dieses Mal machte er es richtig.

 

Mit Flavius Celer (gest. nach 520) fand er einen neuen Oberkommandierenden, der den Persern hinreichend Probleme bereitete und sogar bis in die Nähe der Hauptstadt Ktesiphon vorrücken konnte. Da Kavadh mit den Hephthaliten neuerliche Probleme bekam, kam es 506 zu einem Waffenstillstand, der zwanzig Jahre halten sollte. Amida musste allerdings teuer zurückgekauft werden. Als Gegengewicht zu dem starken persischen Stützpunkt Nisibis ließ Anastasios die Festung Dara-Anastasiopolis errichten, nicht zur Freude der Perser und Kriegsgrund für die nächste Auseinandersetzung im Jahr 526.

 

Nachfolgeprobleme: Justin setzt sich durch

Am 10. Juli 518 starb Anastasios. Er hatte unter Schwierigkeiten sein Reich stabilisiert. Ein großes Problem hinterließ er jedoch. Wer sollte sein Nachfolger werden? Auch wenn die Kaiserwürde an sich nicht erblich war, hatten Söhne doch immer ganz gute Chancen, den Job des Vaters zu übernehmen. Anastasios war jedoch kinderlos gestorben, aber es gab zumindest drei Neffen. Diesen fehlten jedoch Kraft und Ehrgeiz, sich durchzusetzen. So bemühten sich einzelne Heerführer um den Thron. Nach einigen Ränkespielen wurde es schließlich der Kommandeur der kaiserlichen Garde, der 68-jährigen Flavius Iustinus (um 450 bis 527, reg. 518 bis 527), den wir als Justin I. kennen.

 

Justin, der Begründer der Justinianischen Dynastie, war ein wirklicher Aufsteiger. Er stammte aus der Gegend von Naissus, heute Niš in Serbien. Wahrscheinlich war er Legastheniker. Zumindest benutzte er für seine Unterschrift eine vierbuchstabige Holzschablone. So konnte wenig schiefgehen. Immerhin unterschrieb er mit Purpurtinte, man war ja schließlich Kaiser.

 

Orthodoxe Religionspolitik

In der heiklen Religionspolitik nahm er im Gegensatz zu seinen Vorgängern eine deutlichere orthodoxe Haltung ein. Am 25. März wurde nach intensiven Verhandlungen die Kirchenunion mit dem Papst Hormisdas vereinbart und das Akakianische Schisma beendet. Die führende Rolle des Papsttums wurde bestätigt, die Miaphysiten in Ägypten und Umgebung gerieten immer mehr in die Defensive. Seine Klarheit in religionsphilosophischer Sicht bekamen auch die Arianer im Oströmischen Reich zu spüren. Insbesondere sofern sie gotischstämmig waren, wurden sie verfolgt, vielleicht auch als Reaktion auf die Hinrichtung des Philosophen Boethius durch Theoderich, der diesem eine Verschwörung zugunsten Konstantinopels vorgeworfen hatte.

 

Wir haben schon gelernt, dass Theoderich 525 den Papst Johannes I. nach Konstantinopel schickte, um zu vermitteln. Dem greisen und gebrechlichen Kirchenfürst wurde in der oströmischen Hauptstadt ein triumphaler Empfang bereitet. Justin warf sich vor ihm auf den Boden und ließ sich durch Johannes erneut krönen. Seine Verbundenheit mit der katholischen Kirche kann man schwerlich deutlicher ausdrücken. Dem Papst bekam der Besuch dagegen gar nicht. Das enge Einvernehmen zwischen Johannes und Justin deutete Theoderich als Verschwörung gegen sich und die Goten. Er ließ Johannes nach dessen Rückkehr gefangensetzen. Am 18. Mai starb das Kirchenoberhaupt hinter Gittern.

 

Insgesamt blieb es zwischen den Ostgoten und dem Oströmischen Reich aber noch friedlich, die kommenden Kriege wurden allerdings immer mehr absehbar. Entspannter war das Verhältnis zu den Vandalen, wo 523 mit Hilderich ein König ans Ruder kam, der ebenfalls die orthodox-katholische Religionsauslegung unterstützte.

 

Diplomatische Konflikte mit den Persern

Am meisten gärte es im Osten, in Persarmenien. Dabei stand diesmal ein eher diplomatisches Gefecht im Vordergrund. Der lazische König Tzath I. (reg. etwa 522 bis nach 527) ließ sich 522 in Konstantinopel taufen, ein klares Bekenntnis nicht allein zum Christentum, sondern auch zur oströmischen Oberherrschaft für sein an der südöstlichen Schwarzmeerküste, in der Gegend des heutigen Georgien, gelegenes, kleines Königtum. Klein, aber fein, denn zum einen lag dort seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. ein Schwerpunkt der Eisenverarbeitung der Antike, zum anderen endete hier die Seidenstraße, eine wichtige Handelsverbindung in den Fernen Osten.

 

Der Seitenwechsel, den Tzath mit seiner Taufe in Konstantinopel vollzog, kam bei den Persern natürlich nicht so gut an. Kavadh beließ es bei einer Protestnote. Er hatte hinreichend innenpolitische Probleme, da gebrauchte er keinen Konflikt an der Reichsgrenze.

 

Kavadhs ältester Sohn und damit der geborene Thronfolger war ein Sympathisant der Mazdakiten, so dass dessen jüngeren Bruder Chosrau bessere Chancen hatte, Kavadh nachzufolgen. Zur Untermauerung dessen Anspruchs bat dieser Justin, Chosrau als Adoptivsohn anzunehmen. Ein ungewöhnlicher Move unter Erbfeinden. Justion blieb auch vorsichtig und lehnte ab. Er befürchtete, dass sich aus einer solchen Adoption künftige Ansprüche der Sassaniden auf den oströmischen Thron ableiten lassen könnten. Am langen Ende war diese Sorge wahrscheinlich gar nicht so unbegründet.

 

So blieb das Verhältnis zu den Persern gespannt, konzentrierte sich jedoch noch auf die Kämpfe im Vorfeld des Kaukasus. Kavadh versuchte die Iberer, einen kaukasischen Volksstamm, der nichts mit der iberischen Halbinsel zu tun hatte, und die in seinem Einflussgebiet lebenden persischen Stämme gegen die Römer aufzuwiegeln. Justin verfolgte seinerseits eine Politik, sich über Bündnisse wie das mit den Lazen gegen Einfälle der Steppenvölker abzusichern.

 

Bündnispolitik

So waren 515 beispielsweise die Sabiren, wahrscheinlich ein turkstämmiges Volk, nach Armenien vorgestoßen. Diesen Überraschungen wollte man durch einen Kordon von Pufferstaaten vorbeugen. Die Römer freuten sich über den Seitenwechsel Tzaths, kamen mit einer sabirischen Stammenfürstin ins Geschäft und vertrugen sich 528 mit dem Hunnenführer Gordas (reg. etwa 503 bis 528). All diese Bündnisse dienten natürlich hauptsächlich der Abwehr der latenten persischen Gefahr.

 

So suchten die Römer auch im Süden bei den Arabern Verbündete und fanden sie beispielsweise bei den Aksumiten und den Gassaniden. Das sind alles Namen und Stämme, die als lokale Mächte in der Oberflächlichkeit unserer Erzählung häufig gar nicht auftauchen. Die Komplexheit und Vielschichtigkeit der jeweiligen politischen Situationen können wir nur ansatzweise begreifen. In dieser demütigen Haltung wollen wir aber nun schauen, wie es mit Justin weiterging.

 

Der schickte zunächst mit dem uns beispielsweise aus den Gotenkriegen bereits bekannten Belisar und, nachdem dieser keinen durchschlagenden Erfolg erzielen konnte, dessen Kollegen Sittas (gest. 538) zwei junge Feldherren nach Persarmenien, um dort ein wenig für Unruhe zu sorgen. Insgesamt konnte sich Justin über zu viel Ruhe und Langeweile nicht beklagen, zumal in diesen Jahren auch Erdbeben beispielsweise die Metropole Antiochia heimsuchten (526 und 528) und auch die Araber immer wieder weit auf römisches Gebiet vorstießen.

 

In dieser schwierigen Gemengelage starb Justin am 1. August 527 in den hohen Siebzigern. Die Nachfolge war geregelt, er hatte seinen Neffen Flavius Petrus Sabbatius Iustinianus, den wir als Justinian kennen, bereits am 1. April zum Mitkaiser erhoben, so dass es kein Gerangel darüber geben sollte, wer als Nächster auf dem Thron sitzen würde.

Nun freilich starren Sinnes zu behaupten, dass das, was ich gesprochen habe, auch unbedingte Wahrheit sei, das schickt sich nicht für einen, der zu denken pflegt.

Platon