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(39) Korinth und das Athen Solons

Wenn wir jetzt meinen, die Lebensweise der Spartaner sei irgendwie nichts für uns, dann sollen wir nicht glauben, dass es in den anderen griechischen Städten in der archaischen Zeit nur fröhlich zuging. Wir finden Tyrannen, allerdings auch den Versuch, über kluge Gesetzgebung das Wohl der Stadt und ihrer Bürger zu sichern. Schauen wir uns mit Korinth und Athen zwei Beispiele an.

 

Korinth

Die Bakchiaden

Wie in vielen griechischen Städten herrschte in Korinth, der Stadt an der Landenge am Übergang auf den Peloponnes, der Adel. Das klassische Königtum war eher selten, und wenn es existierte, wurde es eingehegt, so wie in Sparta durch die Ephoren. In Korinth regierte entsprechend ab 748 v. Chr. ein aristokratisches Geschlecht, die Bakchiaden. Sie stellten das jährlich wechselnde Stadtoberhaupt, den Prytanen. Ihnen gelang es, aus der besonderen Lage von Korinth mit Meereszugang nach Osten in die Ägäis und nach Westen über den Golf von Korinth in das Ionische Meer wirtschaftlich hohen Profit zu schlagen, den sie allerdings als Privateigentum ansahen. Daher wundert es uns nicht, dass sie außerhalb ihrer Familie wenig Freunde hatten. Andere Adelsgeschlechter wurden vertrieben, die normale Bevölkerung hatte wenig Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung. In einem Konflikt mit Kerkyra, dem heutigen Korfu, unterlagen die Korinther allerdings 660 v. Chr., vermutlich in der ersten Seeschlacht der griechischen Geschichte.

 

Kypselos

Diese Niederlage läutete das Ende der Bakchiaden ein, auch wenn der neue Machthaber Kypselos (vor 670 bis 627 v. Chr., reg. 657 bis 627 v. Chr.) wohl über seine Mutter ein Familienmitglied dieser Herrschersippe war. Diese hatte allerdings außerhalb ihres Standes geheiratet und war daher verstoßen worden. Kypselos setzte sich 657 v. Chr. mit seinen rhetorisch-demagogischen Fähigkeiten an die Spitze der unzufriedenen Einwohner, ermordete den regierenden Prytanen und übernahm selbst die Macht. Er regierte 30 Jahre, ihm folgte um 628 v. Chr. sein Sohn Periander (gest. 585 v. Chr., reg. 627 bis 585 v. Chr.).

 

Periander und die sieben Weisen

Periander führte den Staat weitere fast 45 Jahre und gilt als Prototyp des harten, aber politisch weitsichtigen Tyrannen. Man rechnete ihn zeitweise sogar zu den sieben Weisen, eine ursprünglich von Platon (428/427/424/423 bis 348 v. Chr.) erstellte Liste bedeutender Personen der griechischen Antike. Neben Platons Version, bei der er Periander durch den eher unbedeutenden Myson von Chenai (vermutlich 6. Jh. v. Chr.) ersetzt haben soll, gibt es auch eine Reihe von Alternativen, die wir aber nicht alle durchgehen wollen. Periander erschien auf der verbreitetesten von Demetrios von Phaleron (um 350 bis um 280 v. Chr.), einem Schüler Aristoteles' (384 bis 322 v. Chr.), erstellten Liste, vielleicht weil er der Welt Sinnsprüche wie »Halte dich an alte Gesetze, aber an frische Speisen« hinterließ. Auch Weisheiten wie »Voreiligkeit ist gefährlich« können wir nachvollziehen. Aus dem Mund eines Muster-Tyrannen aber zu hören, »Demokratie ist besser als Tyrannei« verwundert dann schon ein wenig. Vielleicht hatte er ja das demagogische Talent seines Vaters geerbt. Demokratische Volksrepubliken gelten ja bis heute nicht nur als vorbildliche Demokratien.

 

Periander regierte noch stärker als sein Vater als autoritärer Tyrann, aber man muss zugeben, dass er mehr an das Wohl des Staates und seiner Bewohner dachte, als es vormals die Bakchiaden taten. So befahl er eine Landzuteilung an arme Bauern, initiierte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und verbot den Erwerb von Sklaven. Unter seiner Herrschaft erreichte Korinth den Zenit seiner Macht, die zeitweise sogar bis nach Korfu reichte. Er überlebte seine Söhne, die Sage erzählt hier keine schönen Geschichten, und starb 585 v. Chr.

 

Psammetich (aber kein Ägypter)

Ihm folgte sein Neffe Psammetich (gest. 582 v. Chr., reg. 585 bis 582 v. Chr.), dessen Namen wir bei den Ägyptern schon einmal gehört haben. Woher diese Namensgleichheit kommt, können wir nur vermuten, Handelsbeziehungen mögen dahinterstecken. Dort war es ja die Zeit der 26. Dynastie und die Pharaonen hießen gerne Psammetich. Wir sollten aber gar nicht zu lange darüber nachdenken, da der griechische Psammetich bald Opfer einer Verschwörung und ermordet wurde. Korinth kam danach in den Einflussbereich Spartas, blieb regiert durch eine Oligarchie aber – wie alle Bundesgenossen des Peloponnesischen Bundes – relativ autark.

 

Es zeigt sich also, dass ein Tyrann die Verhältnisse auch für die einfachen Leute durchaus verbessern kann. Gleichwohl herrschte unter den Kypseliden ebenso wenig ein Rechtsstaat wie unter den Bakchiaden. Die Herrscher waren lediglich tauglicher.

 

Athen

Schauen wir nun etwa 100 Kilometer weiter nach Osten. Dort liegt mit Athen die Stadt, die mehr als andere für die griechische Geschichte der Antike steht.

In Athen wurde das Thema der Herrschaft anders gelöst, ein wesentlicher Grund, dass wir heute das antike Griechenland als Erstes immer mit Athen verbinden. Der Weg dahin war jedoch nicht klar und geradlinig. Ohne Tyrannis ging es auch hier nicht.

 

Der Kylonische Frevel

Ein Olympiasieger von 640 v. Chr. namens Kylon versuchte, seine Beliebtheit auszunutzen, und heuerte von seinem Schwiegervater Theagenes, der gerade kurzzeitig in Megara Tyrann war, ein paar Hilfstruppen an. Damit besetzte er 636 oder 632 v. Chr. die Akropolis. Es regte sich jedoch sofort Widerstand, die Aufständischen wurden eingeschlossen. Kylon entkam, aber seine Anhänger wurden zu Tode gesteinigt. Und das, obwohl sie sich beim Altar der Stadtgöttin Athene an einem geheiligten Ort befanden. Dieser Kylonische Frevel hing dem Anführer der Athener, Megakles, und seiner Familie, den Alkmeoniden, noch über mehr als 200 Jahre lang an und wurde immer wieder gerne politisch instrumentalisiert.

 

Regierungsgeschäfte

Megakles war Archon, davon gab es insgesamt neun in der Athener Staatsführung. Einer war formal König, der Titel hieß Basileus, wir finden diesen auch viel später bei den Herrschern des Byzantinischen Reiches wieder. Seine Befugnisse waren aber rein auf religiöse Themen beschränkt. Ein weiterer Archon war als Polemarchos für die militärische Seite verantwortlich und einer, der auch hauptamtlich Archon hieß, war so etwas wie der Regierungschef. Die sechs übrigen nannten sich Thesmotheten und waren für Rechtssetzung und –sprechung verantwortlich. Seit 682 v. Chr. betrug die Amtszeit der Archonten lediglich ein Jahr, vorher sollen es zehn gewesen sein. Alkmeon, vielleicht der Stammvater der Alkmeoniden, die wir gerade beim Kylonischen Frevel erwischt hatten, soll von 764/3 bis 752/1 v. Chr. letzter Archon auf Lebenszeit gewesen sein. Die Liste der Archonten zieht sich bis über das Jahr 275 n. Chr. hinaus, wenn auch die Rolle und Machtfülle sich mit der Zeit immer wieder geändert haben wird. Gewählt wurden sie vom Areopag, der Versammlung der Adeligen. Der Name Areopag leitet sich vom Versammlungsort, dem Hügel des Ares ab.

Kylon war mit seinem Versuch, sich zum Alleinherrscher aufzuschwingen, zwar gescheitert, Ruhe kehrte in Athen jedoch nicht ein. Aufgrund des Frevels wurden Megakles und seine Familie aus der Stadt verbannt. Der Begriff »Familie« ist hier sehr ernst zu nehmen, denn auch die Gräber der Ahnen wurden geöffnet und ihre Gebeine außer Landes gebracht. Kompromissloses Handeln muss nicht immer der Vernunft gehorchen.

 

Drakonische Gesetze

Mit zuerst Drakon (um 620 v. Chr.) und dann Solon (etwa 630 bis 560 v. Chr.) versuchten in Folge zwei Männer, durch die Schaffung einer umfassenden Gesetzgebung, für eine nachhaltige Ordnung im Staat zu sorgen. Ähnlich wie Lykurg in Sparta ist Drakon dabei im Zweifel eine Kunstfigur, der man die berühmten »drakonischen Strafen« zuschreibt. Die heutige pejorative Konnotation dieses Begriffes muss nicht unbedingt der seinerzeitigen Realität entsprechen. Drakons während der 39. Olympiade im Jahr 622 oder 621 v. Chr. erlassenen Gesetze ersetzte die bisherige Selbstjustiz der Blutrache durch Gerichtsentscheidungen. Sie unterschieden zwischen vorsätzlichem Mord und Totschlag ohne Vorsatz, der nicht mit dem Tode, sondern nur mit dem Exil zu bestrafen sei. Diese Unterscheidung ist ja ein Prinzip, das wir heute noch kennen, auch wenn wir Drakons Idee, dass es daneben auch die Option einer straffreien Tötung geben kann, nicht mehr gutheißen. Da sind wir uns wahrscheinlich mit den ertappten Ehebrechern und nächtlichen Dieben der damaligen Zeit einig, auch wenn wir diese Gemeinschaft nicht unbedingt suchen. Die drakonischen Gesetze waren eben eine Kodifizierung des seinerzeit gültigen Rechtsverständnisses, ergänzt um feste Regeln, wie mit einzelnen Tatbeständen einheitlich umzugehen sei. Eine aus späterer Sicht empfundene Härte der Gesetze ist somit nicht Drakon, so er überhaupt existiert hat, zuzuschreiben, sondern ein Abbild des seinerzeitigen gesellschaftlichen Konsenses.

 

Solon - eine schwierige Ausgangslage

Auf Drakon folgte als Gesetzgeber Solon, dessen Existenz historisch als verbürgt angesehen werden kann.

In Athen brodelte es weiterhin. Die Kylon-Megakles-Affäre hatte die Anspannung, in der sich die Gesellschaft befand, deutlich werden lassen. Ursache war die zunehmende Ungleichheit der Lebensverhältnisse. Über die Zeit war es einigen Familien gelungen, immer mehr Land zu besitzen, durch Fleiß und geschicktes Unternehmertum, aber auch durch Raub und Mord, mit der Folge, dass viele andere Familien eben kein oder nur wenig Land besaßen. All diese konnten sich irgendwann nicht mehr aus eigener Kraft ernähren. Athen war zu dieser Zeit noch weit davon entfernt, eine der führenden Städte in Griechenland zu sein, dafür war die attische Landschaft zu wenig ergiebig. Eine Folge der drakonischen Gesetze war auch, dass das Schuldrecht kodifiziert und damit die schwierige Situation des besitzlosen Bevölkerungsteils erst recht deutlich wurde. Es drohte ein Aufstand.

 

Der Doppel-Wumms - Umverteilung und Landreform

Solon sollte es richten, 594 v. Chr. wurde er zum Archonten gewählt. Zu diesem Zeitpunkt, vielleicht aber auch erst zwanzig Jahre später, wurde er mit kaum begrenzten Vollmachten und sehr viel Geld ausgestattet. Das waren Beiträge der Reichen und Adeligen, die anscheinend erkannt hatten, dass letztlich ihr Leben und die Zukunft ihrer Familien auf dem Spiel stand. Wie groß die Sorge war, sehen wir an dem Umfang der Landreform, die Solon durchsetzte. Alle Pfandsteine auf attischem Boden, die Zeugnisse der Verschuldung der Kleinbauern, wurden entfernt, der Besitz ging an die ursprünglichen Eigentümer zurück.

Zudem kaufte er auf Staatskosten die Menschen frei, die in Schuldsklaverei geraten waren, sich also als Person verpfändet hatten, da sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnten. Staatskosten heißt dabei, dass das Geld vorher den Reichen weggenommen wurde. Diese hatten zwar der Berufung von Solon als Ordnung schaffender Staatslenker zugestimmt, werden aber dennoch mit den Zähnen geknirscht haben. Und es ist auf der anderen Seite auch leicht nachvollziehbar, dass seine Reformen den Armen nicht weit genug gingen. Wir können uns also vorstellen, dass er sich nicht nur Freunde machte. Sein Zeugnis, er fühle sich »wie ein Wolf, der sich gegen eine Hundemeute nach allen Seiten verteidigen muss«, ist beredt.

 

Eine neue Ordnung

Solon beließ es bei nicht bei einer neuen Gesetzgebung. Wenn schon, denn schon, dachte er und sorgte gleich für eine neue Verfassung. Er erweiterte die Mitspracherechte der Bürgerschaft, indem er ein Vier-Klassen-System schuf. Das klingt jetzt nur bedingt nach Demokratie, war aber eine einschneidende Veränderung zur bisherigen unangefochtenen Herrschaft der adeligen Familien im Areopag. In diesen zogen jetzt auch wohlhabende Bürger ein, die mehr als 500 Scheffel pro Jahr an Einkommen erzielen konnten. Ein Scheffel umfasste dabei etwa neun bis zehn Liter bei flüssigen Produkten und etwa 8,75 Kilogramm bei festen Gütern. Unter dem Adel standen die Ritter mit einer Einkommensgrenze von 300 Scheffeln und der Fähigkeit, im Krieg als Reiter zu kämpfen. Die dritte Klasse, die Zeugiten, musste 200 Scheffel erwirtschaften können und in der Lage sein, sich im Kriegsfall als Fußsoldat (Hoplit) selbst auszurüsten. Der unterste Rang bestand aus den Theten, Lohnarbeiter und arme Bauern und Handwerker, die auch im Kriegsfall keine eigene Ausrüstung beibringen konnten. Sie wurden unter anderem als Ruderer eingesetzt. Die obersten drei Klassen bildeten ergänzend zum Areopag den Rat der Vierhundert, die Theten hatten zumindest Zugang zur Volksversammlung und damit auch zum Volksgericht. Die Sklaven, die es auch in Athen gab, tauchen hier natürlich nicht auf.

 

Eunomie

Leiten ließ sich Solon durch den festen Glauben an die Eunomie, das ist der Gedanke, dass es eine gottgegebene, gute ausgewogene Ordnung im Zusammenleben der Menschen gebe. Eunomia, eine Tochter des Zeus, steht in der griechischen Mythologie für Frieden und ist die Personifikation der gesetzlichen Ordnung. Solon war insofern auf der einen Seite ein "linker" Revolutionär, der massive Veränderungen zu Lasten der Reichen durchsetzte. Auf der anderen Seite prägte ihn eine eher konservative Grundhaltung, da sein Streben dahin ging, zur alten, bewährten Form des Zusammenlebens zurückzukehren, in der jeder Mitverantwortung für einen funktionierenden Staat zu tragen habe.

 

Die Größe seiner Person erkennen wir auch daraus, dass er sich nicht als Tyrann aufwarf, sondern nach Umsetzung seiner Reformen für zehn Jahre in Ausland ging. Seine Gesetze hinterließ er auf drehbaren Holztafeln und so für jedermann, der des Lesens kundig war, einsehbar. Noch 500 Jahre später konnte man diese im Rathaus von Athen besichtigen. Seine Bedeutung war so groß, dass man ihn zu den Sieben Weisen zählte, wobei wir schon bei Periander gelernt haben, dass unterschiedliche Menschen hier unterschiedliche Aufstellungen anfertigten. Wir könnten diese Mannschaft drei Mal besetzen und hätten immer noch einen Auswechselspieler, für ein Fußballmatch würde es also gerade reichen. Solon taucht allerdings mit Thales von Milet, Pittakos von Mytilene (etwa 640 bis 568 v. Chr.) und Bias von Pirene (6. Jh. v. Chr.) in nahezu jeder dieser Listen auf. Seine Texte sind in Versform überliefert und er erwarb sich auch Meriten bei der Eroberung der Insel Salamis, eine Unternehmung, für die er sehr geworben hatte, um die Handelsaktivitäten Athens zu befördern. Staatsmann, Weiser, Dichter, Militärstratege, er hatte schon was drauf, dieser Solon.

 

Das nächste Mal bleiben wir in Athen und schauen, was aus Solons Reformwerk wurde.