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(38) Spartas Aufstieg

In den Jahren zwischen 1200 und etwa 800 v. Chr. ging es in Griechenland ähnlich zu wie in Kleinasien. Auch hier ist ein kultureller Rückgang während der »Dunklen Jahrhunderte« klar erkennbar, der sich vor allem in nicht mehr vorhandenen Schriftquellen und im einfacheren Charakter der archäologischen Funde manifestiert. Wie dort können wir auch in Griechenland allerdings nicht von einer gleichförmigen Entwicklung ausgehen, es gab - wie wir es auch in Phönizien gesehen haben - durchaus Orte und Inseln, die während dieser ja durchaus langen Zeit wirtschaftlich und kulturell florierten.

 

Olympia

Aus dieser Zeit stammt im Übrigen eine Idee, die auch heute noch – oder besser: wieder – modern und aktuell ist. Der Bäcker Koroibos von Elis siegte 776 v. Chr. bei den Olympischen Spielen im Stadionlauf über etwa 192 Meter. Dies sollen die Spiele der 28. Olympiade gewesen sein, aus den Spielen zuvor sind leider keine Siegerlisten überliefert. Eine Olympiade umfasst einen Zeitraum von vier Jahren, also müssten die Spiele der ersten Olympiade spätestens im Jahr 884 v. Chr. stattgefunden haben. Dies ist allerdings nur ein Rechenexempel, belegt sind die Spiele wie gesagt erst seit 776 v. Chr.

Wir dürfen uns diese nicht wie heute als Sportveranstaltung vorstellen. In Olympia im Nordwesten des Peloponnes kam man zusammen, um ein religiöses Fest zu Ehren von Zeus zu feiern. Die Menschen bejubelten dabei nicht die Sieger von über 300 Entscheidungen in mehr als 30 Sportarten wie heute allein bei den Sommerspielen. Es gab den Stadionlauf. Fertig. Zugegeben, mit der Zeit wuchs die Zahl der Wettkämpfe auf immerhin 18 an, neben der Leichtathletik kamen die Schwerathletik, das Reiten und der Fünfkampf mit Laufen, Springen, Werfen (Diskus und Speer) und Ringen dazu. Dabei es ging ans Eingemachte. Manche Teilnehmer in den Kampfsportarten konnten lediglich posthum zu Siegern erklärt werden. Die Verlierer verließen, so sie überlebten, gedemütigt den Ort und kehrten auf Nebenstrecken nach Hause zurück, um dem Spott zu entgehen.

Neben den sportlichen Wettkämpfen gab es auch musische. Der römische Kaiser Nero (37 bis 68 n. Chr., reg. 54 bis 68 n. Chr.) hat hier wie auch beim Wagenrennen teilgenommen. Er kehrte 67 n. Chr. mit 1.808 Ölzweigen als Siegeszeichen nach Rom zurück, teils aufgrund von Bestechung, teils weil er wie beim Wagenrennen der einzige Teilnehmer war. In der Siegerliste taucht er auch nur in sechs Disziplinen, unter anderm dem Lyraspiel und der Tragödiendichtung, auf. Aber wir greifen vor.

 

Troja?

Die griechische Geschichte wird bis zur endgültigen Eingliederung in das Römische Reich im Jahr 27 v. Chr. in drei Phasen eingeteilt. Das archaische Zeitalter reicht bis zu den Perserkriegen im frühen 5. Jahrhundert v. Chr., das klassische dann bis zur Eroberung durch Alexander den Großen im Jahr 336 v. Chr. Die Phase bis zur Römerzeit nennt sich schließlich das hellenistische Zeitalter. Und in dieser Reihenfolge schauen wir uns das jetzt an. Da der wesentliche Konflikt nicht, wie Homer einen vielleicht glauben lassen möchte, mit Troja, sondern mit den Persern stattfand – mehrfach sogar, und diese durchaus auch ein Weltreich schufen, besuchen wir sie etwas später in vielleicht zwei Blogfolgen mit der notwendigen Ruhe und Aufmerksamkeit. Dagegen ist die hellenistische Zeit nahezu ausschließlich durch die Taten Alexanders und seiner Nachfolger geprägt, so dass wir uns dann intensiv den Makedonen widmen werden. Und wir gönnen uns zwischendurch einen Ausflug in die Philosophie. Die Zeit, in der Sokrates, Platon und Aristoteles gelebt haben, wollen wir dann auch entsprechend würdigen.

 

Eigentlich gebührte es Homer, dass wir mit ihm beginnen. Mit seinen Epen, der Ilias über den Trojanischen Krieg und der Odyssee über die zehn Jahre lang dauernde Rückfahrt des Kriegshelden Odysseus nach Ithaka, hat er Werke geschaffen, die sowohl in ihrer literarischen Eigenständigkeit als auch in ihrer politisch-gesellschaftlichen Wirkung für das antike Griechenland von herausragender Bedeutung sind und waren. Die Werke entstanden um 700 v. Chr., bildeten also den großartigen Auftakt für die spannende griechische Geschichte nach den Dunklen Jahrhunderten. Wir lassen sie dennoch im Bücherschrank, da es zwar Troja gegeben hat - man hat etwa zehn Hauptschichten ausgegraben -, aber die von Homer geschilderten Kämpfe, so sie denn stattgefunden haben, nicht entscheidend für die Entwicklung Griechenlands oder Kleinasiens gewesen sind. Ich hoffe, Du bist nicht zu enttäuscht.

 

Spartas Aufstieg

Selbst wenn wir annehmen, dass es ein mykenisches Gesamtreich mit einem König an der Spitze gegeben haben könnte, so ist dieses nach 1200 v. Chr. zerfallen und es haben sich viele kleine Stadtstaaten, Poleis, in der Einzahl Polis genannt, herausgebildet. Die Herrschaftsformen waren sicherlich nicht völlig identisch, insgesamt können wir aber in der archaischen Phase von einer Herrschaft der Oberschicht, also des Adels und des gehobenen Bürgertums ausgehen. Wir haben bei den Phöniziern schon bemerkt, dass in dieser Zeit der Adel sich sukzessive aus den Menschen bildete, die mit ihren wirtschaftlichen Unternehmungen nachhaltig erfolgreich waren und Besitz und Einfluss in ihren Familien weitergeben konnten. Manche Städte, wie Athen oder Sparta verfügten auch über ein gewisses Umland, dass – Chora genannt – zum Herrschaftsgebiet der Polis gehörte. Ähnlich wie die Phönizier gründeten die griechischen Städte im gesamten Mittel- und Schwarzmeerraum Tochterstädte, um Handel zu treiben und auch um dem Bevölkerungsüberschuss in den kleinräumigen Heimatstädten Herr zu werden.

 

Auf dem Festland, im Süden des Peloponnes am lakonischen Golf wurde Sparta die erste Polis mit einem größeren Einflussbereich. Sie entstand im Zuge der sogenannten Dorischen Wanderung, bei der der Volksstamm der Dorer aus Dalmatien kommend erst nach Mittelgriechenland zog. Dort wurde er um 1200 v. Chr. durch die Thessalier vertrieben und gelangte auf den Peloponnes. Die Forscher zweifeln allerdings, ob das wirklich so war. Die Mythen berichten immerhin von frühen Königen, einer davon angabegemäß ein Sohn des Zeus, Lakedaimon mit Namen, nach dem sich die Spartaner auch bescheiden wie sie waren Lakedaimonier nannten. Sie hätten ja auch eine Generation weiter zurückgehen können. Zeusianer klingt allerdings bei weitem nicht so gut.

 

Für den Aufstieg Spartas waren zwei Entwicklungen entscheidend, eine außen- und eine innenpolitische. Auf der einen Seite gelang es Sparta, Messenien im Südwesten des Peloponnes innerhalb von einhundert Jahren in zwei Kriegen (725 bis 715 und 650 bis 620 v. Chr.) zu unterwerfen und damit seine Machtbasis deutlich auszuweiten. Innenpolitisch entwickelte sich die Große Rhetra, eine Verfasstheit, die für einen nachhaltigen inneren Frieden sorgte. Dieser gesetzgeberische Rahmen wird einem Herrn Lykurg (um 820 v. Chr.) zugeschrieben, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass das Gesamtwerk durch einen Menschen erdacht und verkündet wurde. Es ist eher zu vermuten, dass sich das alles sukzessive herausgebildet hat.

 

Drei-Klassen-Gesellschaft

Wesentlicher Inhalt der spartanischen Verfassung war eine festgeschriebene Drei-Klassen-Gesellschaft. Den Spartiaten wurde zu Beginn durch Los ein Stück Ackerland zugeteilt, das nicht verschenkt oder verkauft werden durfte. Wann genau das geschah, ob es vielleicht eine Regelung der Großen Rhetra war, wissen wir nicht. Sie hatten in der Volksversammlung Stimmrecht, was sie von den Periöken, den Bewohnern des Umlandes unterschied. Diese waren frei, aber Sparta gegenüber zinspflichtig und stellten zusammen mit den Spartiaten im Kriegsfall den Kern des Heeres. Die dritte, unterste Klasse bestand aus den Heloten, Leibeigene, die die Landarbeiten verrichteten und im Kriegsfall als Trossknechte mitzogen oder auch als Leichtbewaffnete mitkämpften.

 

Die besiegten Messenier wurden als solch drittklassige Heloten eingestuft, was natürlich die ständige Gefahr eines Aufstands nach sich zog. Der Zweite Messenische Krieg, der immerhin etwa 30 Jahre dauerte (650 bis 620 v. Chr.) war die logische Folge. So ist es nachvollziehbar, dass die Spartiaten den Heloten jedes Jahr förmlich den Krieg erklärten. Wer als Helot nicht brav blieb und sich verdächtig machte, lebte aufgrund dieses Kriegsrechts dann nicht mehr lange. Bei einem Verhältnis von fünf Heloten auf einen Spartiaten mag dieses Misstrauen begreiflich sein. In der Hochzeit Spartas schätzt man die Bevölkerung auf 40.000 Spartiaten, 120.000 Periöken und 200.000 Heloten.

 

An der Spitze des Staates standen zwei Könige, die gleichzeitig auch Richter und Hohepriester waren. Das Königtum war innerhalb von zwei Familien jeweils erblich. Sie wurden durch die Gerusia, den Rat der Alten, d.h. der über 60-jährigen, und die Volksversammlung (Apella) unterstützt. Später wurde noch das Ephorat mit fünf leitenden Beamten geschaffen, deren Macht über die Jahre zusehends wuchs. Ephor konnte jeder Spartiat werden – immer nur für die Dauer eines Jahres. Insofern bot dieses Institut jedem Bürger die Möglichkeit, in die Machtelite aufzusteigen. Es wäre aber übertrieben, hier zu sehr auf eine demokratische und durchlässige Ausrichtung der lykurgischen Verfassung zu deuten.

 

Sparta - und sonst nichts

Gravierender und sehr verschieden zu anderen Städten und Staaten inner- und außerhalb Griechenlands war der hohe Grad an Selbstbezogenheit der Spartaner. Der Lebenszweck jedes einzelnen Spartiaten war, dem Staat zu dienen. Dem hatte sich alles andere unterzuordnen. Die körperliche Ertüchtigung der Jugend war ein wesentliches Ziel, um als Staat immer hinreichend kampfbereit zu sein. Jagd, Sport und Religion hatten einen erheblich höheren Stellenwert als gewerbliche Tätigkeiten wie Schifffahrt oder Handel. Die Gesetze schrieben ausschließlich eiserne Münzen vor, um eine persönliche Bereicherung durch Handelsaktivitäten zu unterbinden. Sparta lebte somit sehr autark und isoliert, Auslandsreisen waren nur mit ausdrücklicher Erlaubnis möglich. Und auch im täglichen Leben achtete der Staat darauf, dass alles seine Ordnung hatte und sich keine Individualität und Hierarchien innerhalb der Spartiaten entwickelte. Sie nannten sich selbst ganz ausdrücklich homoioi, was »Gleichgestellte« bedeutet. Bau und Einrichtung von Häusern, Kleidung, Musik, alles wurde reglementiert, um Verweichlichung zu vermeiden und die Kraft des Staates zu erhalten. So ist es nicht verwunderlich, dass wir aus der vielfältigen griechischen Geistesgeschichte eigentlich keinen einzigen Menschen aus Sparta finden, der ihr wesentliche Impulse gegeben hat. Schwächliche oder behinderte Kinder von Spartiaten wurden zu den Periöken geschickt, andererseits konnten Kinder von Periöken oder sogar Heloten bei entsprechenden Voraussetzungen von Spartiaten adoptiert werden und die Klassengrenze überwinden.

 

Im Alter von sieben Jahren wurden alle Jungen den Familien entzogen und die nächsten 23 Jahre gegliedert nach Altersklassen von jungen Erwachsenen trainiert und erzogen. Das Lagerleben endete mit dem 30. Lebensjahr. Aus dieser sehr militärischen Erziehung der Jugend resultierte ein Ethos, bei dem Tapferkeit, Selbstaufgabe und Heldenmut im Mittelpunkt standen. Wer feige war oder schien, war unten durch und nicht mehr Mitglied der Gesellschaft. Von den 300 Spartanern, die 480 v. Chr. am Thermopylen-Pass unter Führung von Leonidas (reg. 489 bis 480 v. Chr.) gegen die Perser kämpften, überlebte einer, der dann allerdings alle Bürgerrechte verlor und sozial geächtet wurde. Das Überleben einer solchen Kampfes war ein klares Zeichen von Feigheit. Das berühmte Zitat des Simonides von Keos (557/556 bis 468/467 v. Chr.), dessen Urheberschaft allerdings zumindest strittig ist, das auf einem Gedenkstein an den Thermopylen gestanden haben soll und in der Übersetzung von Friedrich Schiller lautet

"Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest

Uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl",

gibt einen schönen Einblick in Ethos und Denkweise der Spartaner.

 

Durch die Konzentration der Jungen auf die militärische Ausbildung war es Aufgabe der Frauen, die Haushalte zu führen und für die Einnahmen zu sorgen, die die Familien, das Militär und der Staat benötigten. Wir müssen in unserer Zeit nicht weit zurück oder heute über wenige Landesgrenzen hinweg schauen, um Staaten zu finden, denen die spartanische Grundhaltung einer absoluten Entindividualisierung nicht nur unsympathisch sein dürfte. Allerdings hat es dort dann schnell seine Grenzen, die Staatsführer kämpfen nicht mehr selbst und das mit den Eisenmünzen … lassen wir das.

 

Außenpolitisch ging es grundsätzlich erfolgreich weiter, auch wenn es eine zähe und langwierige Geschichte blieb. Nach Messenien unterwarf Sparta um 550 v. Chr. Arkadien in der Mitte des Peloponnes. Auch Argos im Nordosten wurde 546 v. Chr. vernichtend geschlagen, blieb aber ein ständiger Rivale. Das spartanische Gesellschaftsmodell war sicherlich keines, was aus sich heraus attraktiv war. Aufgrund der sehr auf Machterhalt und den militärischen Sektor konzentrierten Politik hatten Spartas Erfolge keine massiven Folgen für die umliegenden Städte und Länder. Man konzentrierte sich auf die Region des Peloponnes, die man beherrschen wollte und deren Städte man nach dem Erfolg über Arkadien und Argos im Peloponnesischen Bund zusammenband.

Mit ihrer radikalen Philosophie hatten die Spartaner zunächst Erfolg. Wir werden bei den Perserkriegen noch sehen, welche Bedeutung die spartanischen Hopliten, so nannten sich die Soldaten, für die Freiheit Griechenlands bekommen sollten. Und auch im Peloponnesischen Krieg (431 bis 404 v. Chr.) gelang es Sparta, letztlich auch Athen zu unterwerfen und zur unangefochtenen Führungsmacht in Griechenland zu werden, eine Rolle, mit der sie dann allerdings wenig anfangen konnten.

 

Aber bereits 464 v. Chr. stand das Menetekel an der Wand. Die messenischen Heloten nutzten ein schweres Erdbeben zum Aufstand, der sich wiederum viele Jahre hinzog. Die Aufständischen hatten sich auf den 800 Meter hohen Berg Ithome zurückgezogen, wo sie von den Spartanern nicht besiegt werden konnten. Sogar die Athener wurden von Sparta zur Hilfe geholt, aber bald auch wieder nach Hause geschickt, da man ihnen und ihren demokratischen Ideen nicht so recht traute. Eine Entscheidung, die in Athen wenig Begeisterung auslöste und mit ein Grund für den Streit der kommenden Jahrzehnte werden sollte. Letztlich einigte man sich mit den Heloten auf dem Berg auf einen freien Abzug. Die unsichere Basis der spartanischen Herrschaftsform wurde jedoch mehr als deutlich. Wir haben jetzt ein wenig vorgegriffen, aber ein Blick auf diese Entwicklung hilft uns bei einer Einschätzung der spartanischen Lebensform.

 

Das nächste Mal kümmern wir uns dann ein wenig um Athen.