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(131) Arcadius und Theodosius II.

Mit dieser Folge beginnen wir, uns mit der Geschichte des Oströmischen Reiches zu beschäftigen, das später auch als Byzantinisches bezeichnet wird.  Wir werden viele Kaiser kommen und gehen sehen, viele Erfolge, aber auch viele Rückschläge, bis die Geschichte 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen enden wird. Eine lange Wegstrecke.  Wir sind das gewohnt und lassen uns nicht abschrecken. Schauen wir also, welche Entwicklung das Oströmische Reich nach Theodosius nahm.

 

Konstantins Reorganisation des römischen Imperiums – die Zusammenführung der 120 Provinzen in fünfzehn Diözesen, die wiederum von in der Regel vier Prätorianerpräfekturen gesteuert wurden – führte zu einer immer weiter anwachsenden Verwaltung. Für den Osten waren zwei Präfekturen zuständig: Oriens mit unter anderem Kleinasien, Thrakien und der Hauptstadt Konstantinopel selbst und Illyricum, zu dem neben anderen Moesien, Makedonien, Thessalien, Epirus und Kreta gehörten. Gerade die Balkanprovinzen waren ja lange ein zwischen beiden Reichshälften nicht unumstrittenes Gebiet. Wir erinnern an die Zeit Stilichos.

 

Konstantin war durch seine Entscheidung, aus der strategisch günstig gelegenen Kleinstadt Byzantion die Hauptstadt des Römischen Reiches zu machen und nach sich selbst zu benennen, der eigentliche Urheber des Oströmischen, später Byzantinischen Reiches. Die Entwicklung nach Konstantin bis hin zu Arcadius haben wir behandelt, dann aber das Augenmerk erst einmal auf den Westen gerichtet. Schauen wir also, wie es mit und nach Arcadius weiterging.

 

Arcadius, ein Lurch?

Honorius und Arcadius waren die Söhne von Theodosius I.. Arcadius, mit 17 Jahren der Ältere der beiden, übernahm das Ostreich, der erst elfjährige Honorius den Westen. Seine Geschichte, die in den ersten Jahren von seinem Heermeister Stilicho geprägt war, kennen wir bereits.

 

Auch Arcadius hatte Berater und Begleiter. Zunächst war dies der Prätorianerpräfekt Rufinus (um 335 bis 395), dann bis 399 der Eunuch Eutropios, der uns als Sieger über den Hunnen Uldin schon begegnet ist. Auf ihn folgte ab 405 der ehrgeizige Anthemius, ebenfalls Prätorianerpräfekt. Auch Arcadius' Frau Aelia Eudoxia (um 380 bis 404), Tochter eines fränkischen Heermeisters unter den Westkaisern Gratian und Valentinian II., hatte bis zu ihrem frühen Tod nach einer Fehlgeburt wesentlichen Einfluss.

 

Die Spannungen zwischen dem westlichen und dem östlichen Reichsteil haben wir hinreichend beschrieben, auch dass Arcadius Stilicho die Unterstützung beim Kampf gegen Alarich entzog. Er hatte Sorge, dass sich ein erstarkendes Westreich gegen den Osten wenden und sich zumindest den Balkan und Griechenland einverleiben könnte. So konnte Alarich 407 in oströmisches Gebiet auf dem Balkan einfallen. Der Schaden blieb jedoch gering, da die Unterstützung aus dem Westen ausblieb. Dort gab es nach dem Rheinübergang der Vandalen, Alanen und Sueben andere Probleme. Honorius und Arcadius einigten sich, man wählte 408 sogar ein gemeinsames Paar Konsuln.

 

Größere Schwierigkeiten verursachten natürlich die Umwälzungen, die sich aus dem Hunnensturm entwickelten. Im Osten hatte der Friedensschluss Theodosius‘ mit den Persern für Ruhe gesorgt, auch wenn große Teile Armeniens, künftig Persarmenien genannt, ja an die Perser abgegeben werden mussten. Insgesamt richtete Arcadius seine Politik sehr viel mehr auf diplomatische Lösungen aus, als es damals üblich war. Dies wurde ihm häufig als Schwäche ausgelegt. Ob er wirklich der zurückgezogene, lichtscheue Lurch war, der willenlos und wie ein Stück Vieh von seinen Beratern beherrscht wurde, wissen wir nicht. Der häufige Wechsel bei den Beratern mag im Gegenteil auch zeigen, dass Arcadius auf seine Unabhängigkeit achtete und es strikt vermied, sich zu sehr in die Abhängigkeit eines einzelnen Menschen zu begeben. Zudem suchte er zwar notwendigerweise Rückhalt beim Militär, stärkte allerdings auch immer mehr den zivilen Sektor.

 

Ein Bischof macht Ärger

Werfen wir also einen Blick auf die innenpolitischen Entwicklungen. Es überrascht uns nicht, dass hier die Religion wieder im Mittelpunkt stand. Johannes Chrysostomos (um 350 bis 407) war noch von Theodosius I. als Bischof von Konstantinopel eingesetzt worden und trat kurz nach dessen Tod im Februar 398 dieses Amt an. Er machte sich mit scharfen, kritischen Predigten, die auch vor dem Hof keine Scheu kannten, in der Aristokratie wenig Freunde. Dafür war er beim Volk beliebt. Sein ihm später im 6. Jahrhundert verliehener Beiname Chrysostomos, was soviel wie »Goldmund« bedeutet, kam nicht von ungefähr. Die Verästelungen der dogmatischen Lehrmeinungen waren ihm herzlich egal, er schaute auf die Praxis. Und was er sah, gefiel ihm nicht wirklich. Viele Priester lebten mit sogenannten »geistlichen Schwestern« unter einem Dach – die Folgen der Regelung des Konzils von Nicäa 325. Und das Leben ist bunt. Gottesdienste fanden statt, wenn es den reichen Bürgern passte, das arbeitende Volk blieb meist außen vor.

 

Johannes wandte sich gegen diese Praktiken und jeglichen Luxus. So verkaufte er die teure Einrichtung seines Bischofspalastes, um Geld für die Armen geben zu können. Wir denken kurz an Franz-Peter Tebartz-van Elst (geb. 1959) und ahnen, dass dies der Oberschicht nicht nur gefiel. Namentlich mit der Kaiserin Eudoxia erwuchs ihm eine Feindin. Zunächst suchte sie ihn durch großzügige Geschenke an die Kirche zu bestechen. Nachdem er aber nicht aufhörte, gegen den Luxus der Reichen zu predigen, ließ sie ihn verbannen. Kurz darauf musste sie ihn aber schon wieder zurückholen, da die entstandenen Unruhen im Volk nichts anders zu beschwichtigen waren. Als Johannes dann in gewohnter Manier weitermachte und sich weigerte, eine silberne Statue von Eudoxia zu weihen, musste er erneut in die Verbannung. Auf dem Weg nach Armenien, wo er in die entlegenste Provinz des Reiches gehen sollte, starb er.

 

Er ist bis heute eine der prägenden Gestalten der Kirchengeschichte. Wir lernen aus seinem Schicksal viel über die Zustände der Kirche, die starke Rolle der Kaiserin und in Negation die nicht ganz so starke von Arcadius. Und wir freuen uns, zu lernen, dass jemand der eher pragmatisch und lösungsorientiert an die Themen herangegangen ist, bis heute verehrt wird.

 

Die zahllosen Palastintrigen um Arcadius, die auch zu seinem häufigen Beraterwechsel beitrugen, lassen wir beiseite – sie würden eine eigene Folge füllen. Am Ende setzte sich mit Anthemius ein fähiger Mann durch, dem es gelang, als Regent das Ostreich insbesondere gegen die Versuche Stilichos, die Oberherrschaft im gesamten Imperium für den Westen zu gewinnen, zu behaupten. Er behielt diese Rolle auch nach Arcadius‘ Tod im Jahr 408. Dessen Sohn, Theodosius II. war erst sieben Jahre, da bot sich die Fortführung der Regentschaft natürlich an.

 

Theodosius II. ist Kaiser, Anthemius regiert

Anthemius agierte noch bis zu seinem Tod 415 als Regent. Er verfolgte eine vorsichtige Politik. Besonders achtete er darauf, keinen Stress mit den Persern zu bekommen, und schloss mit ihnen einen Freundschaftsvertrag. Arcadius hatte den persischen Großkönig Yazdegerd I. sogar zum »Aufseher« für seinen kleinen Sohn Theodosius bestimmt, vielleicht vergleichbar mit einer heutigen Patenschaft. Als Patengeschenk wurden 1.300 Römer freigelassen, die 395 von den Hunnen gefangen genommen und mittlerweile von den Persern »befreit« worden waren. Nach Anthemius Tod kam es zwar 420/21 und 441 zu kurzen, wenn auch blutigen Konflikten, insgesamt war es aber eine insgesamt friedliche Phase in den beiderseitigen Beziehungen.

 

Im Westen kam Stilichos Tod Anthemius zupass, da dessen Machthunger sich auch immer gen Osten gerichtet hatte. So konnten beide Reichshälften wieder zu einem harmonischeren Nebeneinander finden. In dieser aktuellen Ruhephase bereitete der kluge Anthemius den Staat auf kommende Konflikte vor. Konstantinopel wurde beispielsweise durch die schon erwähnte Landmauer befestigt, die heute in Istanbul noch in einigen Teilen zu besichtigen ist. Auch am Isthmus von Korinth wurde eine aufgrund ihrer Länge von sechs Meilen, knapp acht Kilometer, später Hexamilion genannte Mauer errichtet, wahrscheinlich eine Reaktion auf die Züge Alarichs und potentielle Gefährdungen aus dem Westen.

 

Die keusche Schwester übernimmt

Nach dem Tod Anthemius übernahm Theodosius‘ ältere Schwester Aelia Pulcheria die Regentschaft und wurde zur augusta gekrönt. Sie legte ein Keuschheitsgelübde ab und verhinderte so, dass es zu Zwistigkeiten zwischen ihrem Bruder und einem potentiellen Ehemann von ihr kommen konnte. Wir wissen nicht, ob dies freiwillig geschah, aber wer hätte sie zwingen können? Allenfalls ihr dreizehnjähriger Bruder. Wie auch immer, das Leben am Hof nahm auf jeden Fall immer mehr klösterliche Anmutungen an. Die Jungfräulichkeit Pulcherias sollte an die der Gottesmutter Maria erinnern. Aus dieser Parallele schöpften die Schwester des Kaisers und mit ihr der gesamte Hof ein hohes Maß an Ansehen in der Bevölkerung, eine Verankerung des Kaisertums in Konstantinopel, die für die Nachfolger eine stabile innere Basis ihrer Machtausübung lieferten.

 

Ein paar Probleme entstanden nach der Heirat von Theodosius, da dessen Frau Athenaïs (um 400 bis 460), die sich nach ihrer Taufe Aelia Eudocia nannte, auch nach einer aktiveren Rolle strebte. Pulcheria setzte sich jedoch durch und Eudocia musste ins Exil, wo sie ein paar Jahre später auch starb. Nicht das Schicksal, dass sie sich als Gattin des Kaisers ausgemalt hatte. Aus der Ehe entstammte als einziges überlebendes Kind die Tochter Licinia Eudoxia (422 bis um 493), die 437 mit ihrem Vetter, dem Westkaiser Valentinian III. verheiratet wurde.

 

Kulturpolitik

Die Frömmigkeit insbesondere Pulcherias spürten vor allem die Juden. Synagogen wurden geschlossen und in Kirchen gewandelt. Juden durften nicht über Christen zu Gericht sitzen und keine christlichen Sklaven halten. Sklaverei an sich war jedoch kein Problem. Es kam allerdings zu keinen Judenverfolgungen. Im Gegenteil, 423 wurde es explizit verboten, Juden und Heiden Gewalt anzutun, wenn sie sich ruhig und gesetzeskonform verhielten.

 

Bereits Theodosius I. hatte das Abhalten der Olympischen Spiele untersagt, sein Enkel schloss 426 das zugehörige Zeus-Heiligtum und beendete das Abhalten der Spiele. In inoffiziellem Rahmen wurde diese allerdings bis weit ins 6. Jahrhundert hinein weiter abgehalten.

 

Innen- und kulturpolitisch wurden in der Regierungszeit von Theodosius II. zwei weitere Entwicklungen angestoßen. Zum einen setzte er eine Kommission ein, die aus den vielen seit Konstantin I. erlassenen Gesetze und Verordnungen ein in sich stimmiges, systematisch aufgebautes Gesetzeswerk schaffen sollte. Dies gelang nicht, immerhin wurden die Erlasse jedoch gesammelt und aktualisiert und 438 als Codex Theodosianus veröffentlicht. Diese Sammlung erhielt auch im von Valentinian III. regierten Westreich Gültigkeit, immer noch galt das Römische Reich als ein Staat.

 

Die zweite langfristig wirkende Entwicklung, die Theodosius anstieß, war, dass er ab 438 Griechisch als Amtssprache bei Gericht und in der Verwaltung zuließ. Hier trennte sich die Entwicklung beider Reichsteile, unter Herakleios kam es dann Anfang des 7. Jahrhunderts zur vollständigen Ersetzung des Lateinischen im Osten.

 

Der Osten wird stärker

Insgesamt war das Verhältnis zum Westreich in diesen Jahren durchaus kooperativ und vom Gedanken der grundsätzlichen Reichseinheit geprägt. Pulcheria stellte eine Statue von Honorius in Konstantinopel auf, Theodosius schickte Truppen, die den sechsjährigen Valentinian vor der Usurpation durch Johannes bewahrten und seine Kaiserkrönung sicherstellten. Später sollte Valentinian ja auch seine Tochter Licinia Eudoxia heiraten. Auch gegen die Vandalen half er, 431 und 441, wobei er beim zweiten Mal die bei Sizilien liegende Flotte zurückrufen musste, da er die Kräfte im Kampf gegen die Perser benötigte. Wir sehen aber, dass es immer der Osten war, der dem Westen zu Hilfe kam. Dies hatte seine Gründe.

 

Die Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung waren im Ostteil des Reiches deutlich besser als im Westen. Dies galt, obwohl der Balkan eine Krisenregion war, der Hunnensturm zunächst das Ostreich traf und die Auseinandersetzungen mit den Persern im Osten immer wieder für Unruhe sorgten. Mit Kleinasien, Syrien, Palästina und Ägypten gab es aber eine Reihe von Provinzen, die von Kriegswirren weitgehend unbehelligt ihren Geschäften nachgehen konnten. Sie garantierten verlässlich Steuereinnahmen, wobei besonders Ägypten als reichste und wirtschaftlich stärkste Region die Lebensversicherung für den Kaiser in Konstantinopel war.

 

Der Stadt selbst kam ebenfalls eine ganz zentrale Bedeutung zu. Alle Völker, die von Norden oder Osten über die Donau drängten, konnten sich entweder nach Südosten wenden und versuchen nach Kleinasien zu gelangen. Oder sie zogen weiter nach Westen und schauten, was es nördlich oder südlich der Alpen so zu finden gab. Konstantinopel war jedoch mittlerweile so gut befestigt, dass die ja auf Bewegung ausgerichteten Heere der Hunnen, Awaren oder Goten nicht über die Mittel verfügten, die mächtigen Mauern der Stadt zu überwinden. Auch die Fähigkeit, die Meerengen am Bosporus oder bei den Dardanellen zu überwinden, war einem normalen Reitervolk nicht in die Wiege gelegt worden. Also begnügte man sich meist damit, auf dem Balkan noch die letzten essbaren Vorräte zu finden und dann weiter nach Westen zu blicken. Die Kaiser in Ravenna und ihre Heermeister litten in Folge nicht unter Langeweile. Wir wissen das schon.

 

Am 28. Juli 450 starb Theodosius. Er fiel vom Pferd und brach sich das Rückgrat. Seine Tochter war ja mit Valentinian III. verheiratet, der jetzt vielleicht auf die Herrschaft im gesamten Römischen Reich hätte spitzen können. Vielleicht tat er das, aber Konstantinopel war weit weg und dort sorgte man für Fakten. Die schauen wir uns dann das nächste Mal an.