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(53) Die philosophischen Schulen des Hellenismus

Nach den Naturphilosophen und den drei »Stars« aus der letzten Folge wollen wir jetzt noch auf fünf der philosophischen Schulen schauen, die sich parallel dazu oder in der Folge meist aufbauend auf den Gedanken von Sokrates, Platon und Aristoteles entwickelt haben. Diese Denkmuster sind uns vom Namen her aus dem Alltag geläufig, wenn etwa jemand stoisch seinen Weg geht oder sich das Ganze skeptisch anschaut.

Der Begriff des Hellenismus, den wir im Titel verwenden, meint den Zeitraum, der mit Alexanders Eroberungen beginnt, die die gesamte Welt Europas, Ägyptens und Mesopotamiens politisch und kulturell unter griechischen Einfluss zwang, wobei natürlich die überkommenen Religionen und Bräuche in den eroberten Gebieten nicht verschwanden, sondern sich mit den neuen griechischen Einflüssen synkretisch mischten. Als dann etwa ab 50 v. Chr. die Römer sukzessive in die Vormachtstellung rückten, endet auch das Zeitalter des Hellenismus. Die Gedanken der Philosophen wirkten fort.

 

Kyniker

Begründer der kynischen Philosophie war der Athener Antisthenes (um 445 bis 365 v. Chr.). Der heute bekannteste Vertreter ist allerdings sein Schüler Diogenes (vermutlich 413 bis 323 v. Chr.), der der Legende nach in einer Tonne lebte. Sein Grabmal soll ein marmorner Hund (kyon) geschmückt und auf die Angriffslust des Bestatteten hingewiesen haben. Auf jeden Fall gab dieser Marmorhund der philosophischen Richtung ihren Namen.

 

Die Kyniker trieb wie alle »Nachsokratiker« die Frage um, was es für ein glückliches Leben brauche. Sie predigten vor allem Verzicht und Bedürfnislosigkeit. Als Alexander auf Diogenes traf, fragte er ihn, ob er einen Wunsch habe. Diogenes antwortete, Alexander solle ihm aus der Sonne gehen. Selbst der mächtigste Mensch der Welt besitze nichts, was er gebrauchen könne, um glücklich zu sein, war die Botschaft. Innere Unabhängigkeit und Autarkie seien Voraussetzungen für ein glückliches Leben. Wer nichts besitze, habe keine Verlustängste und könne also auch nicht enttäuscht werden. "Freedom's just another word for nothing left to lose" singt Kris Kristofferson, wahrscheinlich, ohne sich bewusst zu sein, eine Hymne der Kyniker geschrieben zu haben.

So ganz bedürfnislos waren die Kyniker dann aber doch nicht. Sie beschränkten sich nicht allein darauf, für sich den als richtig erachteten Weg zu gehen, sie wollten auch die bestehende Ordnung in ihrem Sinn verändern, hatten also ein gewisses Sendungsbewusstsein, dass sich mit der Idee der Anspruchslosigkeit nicht wirklich vertrug. Hierzu provozierten und verspotteten sie die Menschen, die gedanklich noch nicht so weit waren, wie sie selber. Aus dieser Haltung ist unser Begriff des Zynismus entstanden, insbesondere auch mit dem Fokus einer gewissen Mitleidlosigkeit gegenüber Schwachen und Kranken. Ein wahrer Kyniker kümmert sich nicht um Leiden und Tod, bei sich nicht und dann natürlich auch nicht bei anderen.

 

Stoiker

In gewisser Weise können wir die Kyniker als Wegbereiter der Stoiker sehen, die ab etwa 300 v. Chr. an Bedeutung gewannen. Als Begründer gilt Zenon von Kition (vermutlich 333 bis 262 v. Chr.), der in Athen in einer bemalten Säulenhalle (Stoa) auf dem Marktplatz, der Agora, lehrte. Sie glaubten wie Sokrates und anders als die Sophisten an ein allgemeingültiges Naturrecht, dem sich jeder zu unterwerfen habe. Ihnen ging aber der aggressiv-weltverbesserwisserische Teil der Kyniker ab, auch wenn sie wie diese die Haltung hatten, dass jeder Mensch sich klaglos seinem Schicksal zu fügen habe. Das Naturrecht, die Naturgesetze sorgten dafür, dass alles, was passiert, notwendigerweise passieren muss, dass es eine übergreifende Kausalität und daher auch keinen Zufall gebe. Mit dieser Sichtweise stellte sich aber auch die Frage nach der individuellen Handlungsfreiheit, die es bei einer allumfassenden Kausalität ja nicht geben kann. Chrysippos (etwa 281 bis 208 v. Chr.) hat später eine Lösung dahingehend angeboten, dass die menschliche Vernunft es ermögliche, durch eine ausgeprägte Affektkontrolle die Wünsche, die einem die Triebregung eingebe, auf Sinnhaftigkeit und Konformität zum Naturrecht zu prüfen. An diesem Ethos habe sich menschliches Verhalten zu orientieren. "Nihil timere, nihil cupere", nichts fürchten und nichts wollen, sondern das Leben in Gleichmut ertragen, das ist das Ziel der Stoiker. Letztlich ist aber auch das ein Weg, der die ausschließliche Kausalität negiert. Mancher Politiker halten die »stoische Ruhe« in der Pflichterfüllung für ein Ideal, am bekanntesten ist der römische Kaiser Marc Aurel (121-180 n. Chr.).

 

Epikureer

Den Gegenentwurf zu den Stoikern bildeten (und sind) die Epikureer, die den Lehren des Epikur (um 341 bis 271 v. Chr.) folgten. Ähnlich wie die Kyniker oder Stoiker war auch Epikur auf der Suche nach dem Schlüssel für ein »gutes Leben«. Grundgedanke seiner Lehre war dann allerdings nicht, dass man Leiden aushalten müsse. Ihm ging es mehr um das Vermeiden solcher Situationen. Für viele steht der Epikureismus für ein Prinzip, den höchsten Lustgewinn zu erzielen und das Leben darauf auszurichten. Lust wird dabei im Sinne eines kurzfristigen sinnlichen Genusses verstanden. Aber so billig ist Epikur nicht zu haben. Er verlangt vom Menschen schon eine Bewertung, welche Nebenwirkungen eine bestimmte Verhaltensweise im zeitlichen Ablauf und für andere haben kann. Um bei sich und insbesondere auch anderen möglichst wenig Verdruss zu erzeugen, lautete Epikurs Rat: »Lebe im Verborgenen!« Dies würden wir gerne dem anstrengenden Schwippcousin aus Pirmasens zurufen. Uns fallen allerdings auf der politischen Bühne noch ein paar mehr Strategen ein, denen wir zu Weihnachten gut die Gedanken des Epikur hätten schenken können.

 

Anders als die Stoiker und insbesondere die Kyniker gingen seine Gedanken also nicht in Richtung einer besseren Gesellschaftsordnung, er blieb individualistisch bei dem einzelnen Menschen. Für diesen gelte aber, dass seine Wünsche zu unterteilen seien in (1) natürliche und notwendige, (2) natürliche und nicht notwendige und (3) nicht natürliche und nicht notwendige. Essen, Trinken, Schlafen, Schutz vor Kälte sind natürliche und notwendige Wünsche. Gut essen und in einem weichen Bett schlafen, das sind natürliche Wünsche, aber in dieser Form eben nicht zwingend notwendig. Diese können gerne befriedigt werden, wenn es denn für andere und für einen selbst später keine negativen Folgen hat. Wer sich kein Restaurant leisten kann, verzichtet eben und kocht zu Hause, ohne Groll und Neid. Die nicht notwendigen und nicht natürlichen Wünsche sind die, die wir haben, um andere zu beeindrucken. Mein Haus, mein Auto, mein Boot, so ähnlich wie in der Sparkassenwerbung vor einigen Jahren. Die Begründung für den Verzicht hierauf sieht Epikur sehr auf den Einzelnen und weniger auf die Gesellschaft bezogen. Er formuliert es wie folgt: »Wir bauen sehr auf die Mäßigkeit, nicht weil wir immer darben müssen, sondern um weniger Sorgen zu haben« oder »Keine Lust an sich ist ein Übel. Aber, was bestimmte Lustempfindungen erzeugt, zieht Störungen nach sich, die um ein Vielfaches größer sind als die Lustgefühle.« Zwischen einer epikureischen und einer hedonistischen Lebensweise liegen Meilen.

 

Einem glücklichen Leben stehen jedem zwei Ängste entgegen. Die Angst vor dem Tod und die Angst vor den Göttern. In Anlehnung an Demokrit versucht Epikur diese Ängste zu entkräften. Die Seelenatome werden sich verflüchtigen, der eigentliche Tod sei schmerzlos. »Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.« Diese sehr binär-digitale Sichtweise wird nicht jeder unterschreiben, der schon einmal beispielsweise die letzten Lebensjahre eines sehr alten Angehörigen oder Freundes begleitet hat, der oder dem mit der Zeit der Lebenswille verloren gegangen ist. Auch die Angst vor den Göttern sei unbegründet, da die Natur – so wie es die Stoiker auch formulieren – nach festen Regeln und Gesetzen ablaufe, das Schicksal jedes einzelnen also im Grunde determiniert sei. Auf den Konflikt einer solchen Sichtweise mit dem freien Willen eines vernunftbegabten Menschen haben wir schon hingewiesen.

 

Skeptiker

Aufgrund ihrer Bedeutung für die Philosophiegeschichte wollen wir den Skeptikern auch noch ein paar Worte gönnen. Pyrrhon (um 362 bis 270 v. Chr.) aus Elis auf dem Peloponnes war Begründer dieser Denkrichtung. Wobei das skeptische Hinterfragen natürlich bei allen Philosophen, die wir hier kennengelernt haben (und bei allen, die wir hier verschwiegen haben) eine wichtige Rolle gespielt hat. Pyrrhons Lehrmeinung war, dass es keine sicheren Werte und Wahrheiten gebe. Wir erinnern uns an Xenophanes. Nichts sei von Natur aus hässlich oder schön, gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht, wahr oder falsch. Er setzte damit in gewisser Weise die Tradition der Sophisten fort, die sich ja auch darin schulten, Reden und Gegenreden mit Argumenten zu jeder beliebigen Position zu finden. In deutlichem Gegensatz zu dieser offensiven Art forderte Pyrrhon allerdings eine absolute Zurückhaltung des Urteils. Man dürfe die Gedanken und Meinungen der anderen weder ablehnen noch annehmen. Freche Zeitgenossen nannten die Anhänger Pyrrhons auch Zetetiker oder Untersucher, die untersuchen und nie etwas finden. Mit der aus dieser Haltung entstehenden Gleichgültigkeit und Unerschütterlichkeit standen die Skeptiker durchaus den Anhängern der Stoa nahe, wenn sie auch im Kern deren Glaube an die Möglichkeit, ein gutes Leben zu führen, als vollkommen unmöglich und irrelevant ablehnten. Eine ähnliche Haltung entstand also aufgrund sehr unterschiedlicher Denkansätze. In der platonischen Akademie entwickelte sich in Folge der sogenannte akademische Skeptizismus, von dem wir uns nur den Satz des Arkesilaos (um 315 bis 241/240 v. Chr.) merken wollen: »Nichts ist sicher und nicht einmal das ist sicher«. Joachim Ringelnatz hat diese Weisheit viele hundert Jahre später auch  etwas abgewandelt übernommen: "Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht." Wir verzichten auf eine Weiterleitung an die Plagiatsjäger.

 

Neuplatoniker

Zum Ende unseres Ausflugs in die antike griechische Philosophie wollen wir uns den Neuplatonikern zuwenden. Dies ist zeitlich ein großer Sprung. Der Neuplatonismus war im Römischen Reich die tonangebende philosophische Schule. Alle anderen, die wir hier durchgegangen sind, waren dann erst einmal nicht mehr en vogue.

Kurz also die Welt der Neoplatoniker, deren Begründer ein Mann aus Mittelägypten namens Plotin war. Er lebte von 205 bis 270 n. Chr., also eine ganze Ecke nach seinen Kollegen, die wir bisher behandelt haben. Plotin greift die Ideenlehre Platons wieder auf. Er hebt aber die gedankliche Zweiteilung der Welt, wie Platon sie postuliert hat, auf. Das Licht Gottes, oder des »Einen«, wie Plotin es nennt, bestrahlt alles in unterschiedlicher Intensität, je nachdem wie nah das Objekt zu diesem Licht steht. Die »ewigen Ideen« Platons stehen ganz nah an diesem Licht, die menschliche Seele schon weiter entfernt, die größte Entfernung haben die materiellen Dinge, der menschliche Körper, die Natur, alles Gegenständliche. Das Unbelebte, also Steine, Erde, Wasser ist dabei noch ein wenig weiter vom göttlichen Licht entfernt als die belebte Natur. Über seine Seele trägt jeder Mensch dieses Licht in sich und über totale Versenkung und Loslösung von allem Körperlichen und Äußerlichkeiten ist der Mensch in der Lage, zu spüren, wie sich die Seele mit dem Licht, also letztlich mit Gott verbindet. Wir spüren in diesen Gedanken auch den Einfluss der östlichen, indischen Mystik, die Plotin wahrscheinlich während seiner Lehrjahre in der kosmopolitischen Stadt Alexandria kennenlernte und die ihn so fasziniert hat, dass er sich 243 n. Chr. einem Kriegszug des römischen Kaisers Gordian III. (225 bis 244, reg. 238 bis 244) gegen die persischen Sassaniden anschloss. Gordian hatte jedoch wenig Erfolg, wurde schnell besiegt und im Anschluss von den eigenen Soldaten ermordet, so dass Plotin auf diesem Zug wenig neue mystische Erfahrungen machen konnte. Er war froh, das Abenteuer heil überstanden zu haben.

 

Wir beenden nun unseren philosophischen Exkurs. Wir haben die Vorsokratiker kennengelernt, die als Naturphilosophen verstehen wollten, wie die Welt funktioniert. Demokrit hatte hier schon ein ganz rundes Bild entworfen. Sokrates wendete die Gedanken hin zum Menschen und wollte verstehen, wie man ein gutes Leben führen kann. Platon und Aristoteles waren die beiden Riesen der antiken Philosophie. Platons Ideenlehre und Aristoteles‘ auf Sinneserfahrung und Logik basierendes Konzept waren für die nachfolgenden Generationen und philosophischen Schulen prägend.

 

Hier mag sich jeder aussuchen, ob er es eher mit den Kynikern, Stoikern, Epikureern oder Skeptikern hält. Die große Frage des Sokrates, was denn ein gutes Leben sei, ist auch heute noch offen. Wir wollen es im neuen Jahr wieder versuchen.

 

Nach dem Abschluss unserer Tour d’Horizon durch die griechische Philosophiegeschichte kommen wir dann in der nächsten Folge wieder auf unseren eigentlichen Pfad der politischen Weltgeschichte zurück und werden sehen, wie Alexander alles das, was wir bisher kennengelernt haben, durcheinanderwirbeln wird. Inwieweit ihm das Aristoteles, sein Lehrer, in den Kopf gesetzt hat? Wir wissen es nicht.