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(51) Griechische Philosophen - Vorsokratiker (2)

In der letzten Folge hatten wir versprochen, uns zehn Naturphilosophen anzuschauen, waren aber bei Nummer 5 stecken geblieben. Machen wir also mit Nummer 6 weiter, einem meiner Lieblinge. Wir werden gleich sehen, warum.

 

(6) Xenophanes

Dazu verlassen wir Kleinasien und wenden uns Italien zu, wo wir bei Pythagoras ja schon einmal vorbeigeschaut haben. Wir landen dieses Mal südlich von Neapel in Elea, dem heutigen Velia. Hier finden wir eine Reihe von Philosophen, die man zusammenfassend auch Eleaten nennt.

Eine der ersten war Xenophanes (etwa 570 bis 478 v. Chr., also mit einem langen Leben gesegnet). Auch er stammte ursprünglich von der ionischen Küste, zog aber mit 25 Jahren nach Italien. Seine Gedankenwelt kreiste um das richtige Gottesbild. Die vermenschlichte Form, wie sie sich beispielsweise in den Dichtungen Homers darstellte, lehnte er ab, da sie nur das idealisierte Abbild der menschlichen Gesellschaft sei. Wenn Pferde zeichnen könnte, würden die Götter wie Pferde aussehen, argumentierte er und stellte die Idee eines Gottes dagegen, der nur »mit des Geistes Denkkraft alles bewegt« und »weder dem Körper noch der Einsicht nach den sterblichen Menschen gleich« sei. Insofern gebe es auch keine personalisierten Götter in irgendeiner Hierarchie, ein Gott kann nicht geboren werden, da Vollkommenes nicht aus Unvollkommenem entstehen könne. Der Gott des Xenophanes ist allmächtig, einzig und mit menschlichem Verstand nicht fassbar. So ganz fremd klingt das auch Menschen in der heutigen Zeit nicht.

Xenophanes war allerdings auch ein Skeptiker, was ihn uns noch sympathischer macht. Dies bezeugen seine Verse:

 

»Sichere Wahrheit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen,

über die Götter und alle die Dinge, von denen ich spreche.

Selbst wenn es einem einst glückt, die vollkommenste Wahrheit zu künden,

Wissen kann er sie nie. Es ist alles durchwebt von Vermutung.«

 

Sehr schön. Mit diesem Rückenwind kommen wir nun zu Parmenides, einem weiteren Eleaten. Mit ihm wird es allerdings auch im engeren Wortsinn etwas schwergängiger.

 

(7) Parmenides und die Eleaten

Parmenides wurde in Elea zwischen 520 und 515 v. Chr. geboren und lebte bis etwa 460 bis 455 v. Chr. Er hat 2.000 Jahre vor Shakespeare Hamlet’s Frage »Sein oder Nichtsein?« bereits klar für das Sein beantwortet: »Nur Seiendes gibt es, aber das Nichts ist nicht.«

In gewisser Weise ist Parmenides das Gegenstück zu Heraklit. Postulierte dieser, man könne nicht zwei Mal in denselben Fluss steigen, alles sei in einem ständigen Prozess des Werdens, der Veränderung begriffen, ist Parmenides‘ Grundgedanke, dass das Grundprinzip der Welt ein unveränderliches Sein sei, das wir uns als »wohlgerundete Kugel« vorstellen sollen. Es sei auch nicht erfahrbar, sondern nur denkbar »… denn dasselbe ist Denken und Sein«. Über diese These ist viel gerätselt worden. Nur Seiendes lässt sich denken, nur durch das Denken ist das Seiende erfahrbar. Wer mag es wissen?

 

Parmenides betonte, dass das Seiende etwas »Einziges, Ganzes, Unbewegliches, Nichterschaffenes« sei. Etwas Seiendes könne nicht aus dem Nicht-Sein entstehen. Bewegung müsse ja irgendwo hinführen, also in das nicht existente (noch-)Nicht-Sein, und sei daher ausgeschlossen. Die Annahme von Veränderung sei keine Wahrheit, sondern Meinung, von denen es dann allerdings viele gebe. Letztlich seien sie Geschwätz. Und so weiter. Wir denken an Xenophanes und attestieren Parmenides immerhin, dass er die offene Frage seines Kollegen, wie man dann an die absolute Wahrheit gelangen könne, wenn auch sehr metaphysisch beantwortet hat. Wenn wir uns ein wenig von den konkreten Aussagen lösen, dann können wir Parmenides immerhin als einen der Urväter des Rationalismus begreifen, der nicht aus irgendeiner trügerischen Empirie zu Schlüssen kommt, sondern allein aus der Kraft des Denkens.

  

Seinem Schüler Zenon (etwa 490 bis 430 v. Chr.) wollen wir auch einen kurzen Blick gönnen. Er war Verfechter und Verteidiger seines Meisters und nutzte hierfür die dialektische Methode der Paradoxa. Die Geschichte von Achilles und der Schildkröte, die dieser trotz seiner Schnelligkeit nie überholen könne, kennst Du sicherlich. Damit versuchte Zenon die Unmöglichkeit von Bewegung darzustellen. Nun, wir wissen, dass es anders ist, es lässt sich auch mathematisch beweisen

 

Aus der eleatischen Schule, deren Gedankenwelt auf der des Parmenides fußt, können wir noch den aus Samos stammenden Melissos (um 490 bis 430 v. Chr.) erwähnen, der die Grundsätze der gemeinsamen Philosophie in einer Kausalkette zusammenfasst:

  • Aus Nichts kann nichts Seiendes entstehen. Also ist alles, was da ist, schon ewig da.
  • Alles Ewige hat keinen Anfang und kein Ende, ist also unendlich.
  • Alles Ewige und Unendliche ist unbegrenzt und somit eines. Räumliche und zeitliche Grenzen wären das Gegenteil von ewig und unendlich.
  • Alles Ewige, Unbegrenzte, was eins ist, ist notwendigerweise gleichartig. Unterschiedliche Teile, also Vielfalt, würde wieder Grenzen bedeuten.
  • Dieses gleichartige, ewige, unbegrenzte Eines ist zwingend bewegungslos, da es keinen Ort außerhalb geben könne, wohin es sich bewegen könnte.
  • Damit ist es auch emotionslos, kann Leiden, Schmerz und Freude nicht empfinden, da diese Gefühle Veränderungen implizieren.

Finde den Fehler. Wenn wir bedenken, dass Melissos im Hauptberuf Befehlshaber der samischen Flotte war und diese in einen Aufstand gegen die Athener führte, verwundern diese Gedanken schon und wir fragen uns, wie er das mit seinem täglichen Handeln in Einklang brachte. Argumenten von Untergebenen, die sich auf diese Theorie der Unbeweglichkeit berufen haben, wird er nicht lange zugehört haben. Wir danken ihm aber für eine etwas fass- und begreifbarere Darstellung der eleatischen Philosophie. Gleichwohl gehen wir etwas kopfschüttelnd weiter - was, wie wir gerade gelernt haben, eigentlich kaum möglich ist. Wir probieren es mit ein wenig Trotz dennoch.

 

(8) Empedokles

Einen gewissen Ausgleich zwischen den sich sehr diametral gegenüberstehenden Theorien von Heraklit und Parmenides versuchte Empedokles (um 495 bis 435 v. Chr.) aus dem sizilischen Akragas beim heutigen Agrigent.

Empedokles hatte viele Talente und nutzte sie als Magier, Dichter, Politiker, Mediziner oder Ingenieur. Wie alle Philosophen zu dieser Zeit wollte er den Regeln, nach der die Welt, die Natur funktionierte auf den Grund gehen. Auch er ging von den vier Grundelementen Erde, Wasser, Feuer und Luft aus, die er mit der Logik des Parmenides als unvergänglich und unveränderlich ansah. Das ja durchaus veränderliche Weltgeschehen, das Werden und Vergehen erklärte er mit der steten Mischung und Trennung dieser Elemente. Für diesen Prozess des Mischens und Trennens seien zwei Kräfte verantwortlich, die er mit »Liebe« und »Hass« bezeichnete und die nicht unmittelbar, sondern nur in ihrer Wirkung erfahrbar seien. Setzte sich die Liebe ganz durch, gelangte die Welt in den Idealzustand einer harmonischen, homogenen Durchmischung der vier Grundstoffe und würde sich als ideale Kugel präsentieren, so wie Parmenides es formuliert hatte. Liebe und Hass sind in ständigem Widerstreit und lösen sich als beherrschendes Element immer wieder ab. So kommt dann das Heraklit‘sche Denken auch zu seinem Recht.

 

(9) Anaxagoras

Mit Anaxagoras (um 499 bis 428 v. Chr.) kommen wir nach Ionien und Italien nun endlich auch einmal direkt nach Griechenland, und zwar nach Athen. Obwohl, Anaxagoras stammte auch aus Ionien, wirkte aber ab etwa 462 v. Chr. in Athen, wo er Lehrer und Berater von Perikles war. 430 v. Chr. wurde er jedoch von dort verbannt und starb in Lampsakos am Hellespont, heute heisst der Ort Lapseki.

Anaxagoras machte aus den treibenden Kräften des Empedokles, also Liebe und Hass, ein Prinzip, das er »Geist« (griechisch nous) nannte. Basis von allem seien unendlich viele kleine Teilchen. Wie Legosteine gebe es unterschiedliche Arten, die in Summe alle Eigenschaften bereits in sich trügen. Er selbst oder vielleicht auch erst später Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) nannte dies Homöomerien (Gleichteilchen). Der Geist sorge nun als Ordnungsprinzip dafür, dass diese Teilchen sich mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften zu den Objekten formen, die wir sehen und begreifen können. Dabei komme es zu keiner absoluten Trennung, sondern in jedem Objekt sind die Homöomerien mit allen Eigenschaften enthalten. Dies ist dann der Unterschied zu den Legosteinen und deutet eher in Richtung von Stammzellen. Die Nahrung und der menschliche Körper werden auf diese Weise miteinander verbunden, was den Prozess der Ernährung erst möglich mache. Im Übrigen war er Astronom. Er erkannte in der Sonne einen rotglühenden Stein, der Mond dagegen sei ein kalter, der sein Licht von der Sonne erhalte. Beeindruckend für die Menschen war, dass Anaxagoras angeblich einen Meteoriteneinschlag voraussagte, eine Fähigkeit, die er leider nicht weitergegeben hat.

 

(10) Demokrit

Von dem Konstrukt der Homöomerien ist es nicht mehr weit zum Modell der Atome. Dies hat dann Demokrit aus Abdera in Thrakien (etwa 460 bis 370 v. Chr.), ein Schüler des wenig bekannten Leukipp (5. Jh. v. Chr.), beschrieben. Süß, bitter, warm, kalt, farbig seien lediglich »Meinungen«, in Wahrheit gebe es nur Atome und leeren Raum. Auch Seele und Bewusstsein würden aus Atomen bestehen, die sich beim Tod eines Menschen voneinander trennen und sich zu anderen Seelen zusammenschließen können. Demokrit verbindet das ewig Seiende des Parmenides, das er in den unteilbaren Atomen sieht, mit dem ewigen Werden von Heraklit, da sich die Atome laufend zu neuen Objekten formen. Dabei kommen sie ohne den »Geist« als treibenden Faktor aus, den Anaxagoras noch zum Kern seiner Philosophie gemacht hatte. Den Atomen wohne eine Bewegungsenergie inne. Das Zusammenführen von Atomen zu Objekten sei damit Folge von Zufall und Notwendigkeit aufgrund der Eigenschaften der Atome und ihrer Bewegung. Weiter gedacht heißt dies auch, dass es zwischen unterschiedlichen Objekten (und Menschen) keine qualitativen Unterschiede geben kann, da alle aus den gleichen Grundstoffen nach gleichen Regeln, den Naturgesetzen, entstanden sind – und auch wieder vergehen werden. In dieser Gedankenwelt brauchte es eigentlich keine Götter mehr. Die Frage nach einem Schöpfer stellte sich Demokrit nicht, da dies sofort die Frage nach dem Schöpfer des Schöpfers nach sich zog. Vieles aus seiner Gedankenwelt kommt uns vertraut vor. Er war sicherlich kein Schlechter.

 

Das nächste Mal schauen wir uns die drei Großen an - Sokrates, Platon und Aristoteles. Wenn wir uns dabei mal nicht verheben…