· 

(134) Justinian: Pest, ein Gesetzbuch und ein Fan-Aufstand

Aufgrund von Justins Vorsorge verlief der Übergang auf seinen Nachfolger ruhig. Justinian war ja de facto bereits inthronisiert. Ein oberflächlicher Blick aus dem 21. Jahrhundert zeigt ihn uns als einen erfolgreichen Herrscher, dem es gelang, bedeutende Teile des alten Römischen Reiches wieder unter seiner Herrschaft zu vereinen. Die Entfernung von fünfzehn Jahrhunderten trügt allerdings ein wenig. Schauen wir, bevor wir uns mit den Leistungen Justinians beschäftigen, kurz auf die Rahmenbedingungen.

 

Eine kleine Eiszeit und die Justinianische Pest

Das herausragendste Ereignis war dabei die Justinianische Pest, die 541 ausbrach. Bereits fünf Jahre zuvor war es durch massive Vulkanausbrüche zu einer herben Abkühlung des Klimas gekommen. Dieses LALIA (Late Antique Little Ice Age) genannte Phänomen haben wir bereits bei den Gotenkriegen kennengelernt. In den zyklischen Wellen der Temperaturentwicklung war man zu dieser Zeit sowieso schon in einem Tal,  dem sogenannten "Völkerwanderungs-Pessimum", da sorgte die deutlich verminderte Sonneneinstrahlung durch den Vulkanstaub in der Atmosphäre für eine dramatische zusätzliche Verschlechterung. Die Geschichtsschreiber berichten, die Sonne sei über ein Jahr lang verdunkelt gewesen und die Ernten seien vernichtet worden. Ähnliche Berichte gibt es auch aus China und Indonesien. Dendrochronologische Untersuchungen zeigen, dass die Sommer um 540 zu den kältesten der letzten 1.500 Jahre zählen. Mehr als die Hälfte der Erdoberfläche soll von dieser kleinen Eiszeit betroffen gewesen sein. Vulkanausbrüche zur Eindämmung der Klimakrise? Wohl schwerlich das Mittel der Wahl.

 

Die hierdurch ausgelösten Probleme können wir uns in ihrem Ausmaß kaum vorstellen. Missernten bedeuteten viele Hungertote. Und die Überlebenden waren meist geschwächt, so dass Yersinia pestis 541 auf eine Bevölkerung traf, die diesem Bakterium kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Zuerst wurde in Ägypten von der Pest berichtet. Die Seuche breitete sich von dort schnell über den gesamten Mittelmeerraum aus. Bereits im Jahr 542 erreichte sie Konstantinopel. Auch in einem Grab in England aus dieser Zeit konnten Forscher das Bakterium identifizieren. Die Pestepidemie hatte den gesamten Kontinent im Griff. Zwei Jahre später erklärte man die Epidemie für beendet. An sich ein guter Trick, doch die Yersinien verstanden die Entscheidung nicht so ganz. So gab es immer wieder neue Epidemien, beispielsweise 577. Bis zum Ende des 8. Jahrhunderts finden wir immer wieder neue Berichte, die Ausbrüche in einem 8- bis 25-jährigen Rhythmus belegen. Danach scheint die spezielle Form von Yersinia pestis ausgestorben zu sein. Andere überlebten, wie wir aus den Pestepidemien im Mittelalter ab 1346 und in der Neuzeit, 1894 in der chinesischen Provinz Yunnan, wissen.

 

Es waren also keine einfachen Jahre für Justinian. Nach Schätzungen lagen die Opferzahlen im Oströmischen Reich zwischen 20 und 50 % der Bevölkerung. Für die Stadt Konstantinopel, wo die Menschen eng zusammen lebten, liegen diese Werte dabei eher an der oberen Grenze. Schauen wir also, was Justinian im Rahmen dieser Bedingungen alles erledigt bekam.

 

Codex Iustinianus

Bereits Theodosius II. hatte sich mit einer Systematisierung der Rechtsnormen beschäftigt und diese 438 in dem Codex Theodosianus zusammenfassen lassen. Justinian gab 528 den Auftrag zu einer umfassenden Erneuerung. Alle Anordnungen seit Kaiser Hadrian sollten in diesen neuen Codex Iustinianus einfließen, eine Mammutaufgabe. Dies umso mehr, als es in der Vielzahl der Regelungen durchaus Widersprüche gab und sich Rechtsempfinden und -praxis in den letzten vierhundert Jahren durchaus weiterentwickelt hatten. Wir leben heute auch nach anderen Regeln als unsere Vorfahren im Dreißigjährigen Krieg. Und man möchte froh drum sein.

 

Die Konzentration der Kaiser auf die Vereinheitlichung der Rechtsnormen hatte gerade in kritischen Zeiten eine hohe innenpolitische Bedeutung. Eine strukturierte, verschriftliche Jurisdiktion grenzte das auf der richtigen, nämlich auf Gottes Seite stehende Reich doch gegen alle anderen, heidnisch-barbarischen oder ketzerischen Ideologien ab. Hier zu investieren und Ordnung zu schaffen, bot hinreichend Möglichkeit, sich als gottgewollter Bewahrer der römischen Ordnung zu beweisen.

 

Innerhalb von nur 13 Monaten schaffte es die Kommission, die einhundert Jahre seit der Veröffentlichung von Theodosius‘ Vorgängerwerk nachzuarbeiten. Justinian erweiterte daraufhin im Jahr 530 den Auftrag. Man solle jetzt auch die sogenannten iuris consulti in die Arbeit mit einbeziehen. Dabei handelte es sich um Schriften von Rechtsanwälten, die als solche vom Kaiser legitimiert waren. Über die Jahrhunderte hatte sich hier ein unüberschaubares und in sich widersprüchliches Konvolut angesammelt. Der Rechtsgelehrte Flavius Tribonianus (gest. 542) bekam den Auftrag, sich durch diese Massen durchzuarbeiten und jedes einzelne consultum unvoreingenommen zu prüfen. Wir beneiden ihn nicht.

 

Das Ziel bestand darin, aus 2.000 Büchern mit 3 Millionen Zeilen ein konsolidiertes Werk aus 50 Büchern zu jeweils einem inhaltlichen Themenkreis mit insgesamt 150.000 Zeilen zu machen. Ende 533 wurde das Ergebnis, die Digesten (oder aus dem Griechischen: Pandekten), vorgelegt. Umfang und Bedeutung werden uns vielleicht klar, wenn wir uns vorstellen, dass Ursula in Brüssel oder Friedrich in Berlin auf eine ähnliche Idee kämen. Wir leben in anderen Zeiten.

 

Im Zuge der Erstellung gab es innen- und außenpolitisch einigen Gegenwind für Justinian, so dass er im Februar 532 sogar Tribonianus entlassen musste. Auf den Nika-Aufstand, der hierfür den Ausschlag gab, kommen wir gleich. Auch wenn es in dem fertigen Werk weiterhin widersprüchliche Aussagen gab, ist die Leistung, dieses in relativ kurzer Zeit fertiggestellt zu haben, nicht zu unterschätzen. Wir ziehen den Hut vor Tribonianus. Sein Werk wirkte lange nach. Justinian verschaffte es in Dante Alighieris (1265 bis 1321) Göttlicher Komödie die Rolle als Schutzherr von Recht und Gerechtigkeit.

 

Religionspolitik

Bleiben wir noch einen Moment auf der kulturpolitischen Schiene. Justinian schloss bereits 529 die platonische Akademie in Athen durch ein entsprechendes Lehrverbot. Im Jahr 387 v. Chr. hatte Platon auf dem nach dem attischen Heros Akademos benannten Hain Akademeia ein Grundstück gekauft und begonnen, Unterricht zu erteilen. Mehr als 900 Jahre später war nun damit Schluss.

 

Auf dem Hain selbst hatte bereits im März 86 v. Chr. der Erste Mithridatische Krieg für das Ende der Lehrtätigkeit gesorgt, als Sullas Soldaten Athen eroberten und das Gelände verwüsteten. Danach gab es immer wieder Neugründungen, zuletzt 410 durch den Neuplatoniker Plutarch von Athen (um 350 bis 432), den wir aber nicht mit dem bekannteren Schriftsteller Plutarch verwechseln dürfen, der dreihundert Jahre davor gelebt hat. Die Lehrer der Akademie verzogen sich an den persischen Hof. Sie flohen auch vor dem als Staatsreligion festgelegten Christentum, das sie klar ablehnten.

 

Die Schließung der Akademie ist ein Puzzlestein in Justinians Religionspolitik, die sich sehr auf das Christentum konzentrierte. Als Aufsteiger betonte der Kaiser sehr, dass seine Herrschaft direkt von Gott verliehen und nicht abhängig von irgendwelchen Erbfolgen oder aristokratischen Unterstützern war. Zur Betonung dieser Einzigartigkeit war es ihm wichtig, das Christentum in seinem Reich zu fördern. Nichtchristen wurden verfolgt, heidnische Bücher wurden verbrannt, beispielsweise im Jahr 562.

 

Auch Häretiker wie etwa die Miaphysiten hatten einen schlechten Stand. Bereits 529 kam es zu einem Aufstand der jüdischen Samaritaner, den Justinian blutig niederschlagen ließ. Die Samaritaner sind eine jüdische Religionsgemeinschaft, die heute noch über gut 800 Anhänger in Israel und im Westjordanland verfügt.

 

Um 550 wurde eine dem Bischof Nikolaus von Myra (um 270 bis um 343) geweihte Kirche errichtet. Der Förderung der Verehrung dieses Mannes haben wir den Nikolausbrauch am 6. Dezember, dem Todestag des Bischofs, zu verdanken. Vielleicht müssten wir ohne Justinian am Vorabend nicht unsere Schuhe vor die Tür stellen.

 

Ausdruck seiner tiefen Gläubigkeit wurde jedoch eine andere Kirche, die Hagia Sophia, die er 532 bis 537 nach ihrer Zerstörung während des Nika-Aufstands prächtigst wieder aufbauen ließ. Die Kuppel mit einem Durchmesser von 31 Metern ruht auf nur vier Säulen und ist noch heute die größte Ziegel-Kuppel der Architekturgeschichte, die auf lediglich vier Tragepunkten errichtet worden ist. Das mag zwar auch daran liegen, dass aus Ziegeln gebaute Kuppeln etwas aus der Mode sind. Wir wollen uns dennoch vor den Ingenieuren und Architekten der gewaltigen Kirche, die seit 1453 und nun wieder seit 2020 als Moschee genutzt wird, verneigen.

 

Der Nika-Aufstand

Die Herrschaft Justinians hatte mit dem schon erwähnten Nika-Aufstand eine schwierige Bewährungsprobe zu überstehen. Wie 512 unter Anastasius waren es zwanzig Jahre später im Jahr 532 wieder die Fangruppen der Demen, die sich gegen den Kaiser wandten. Die grünen und die blauen Zirkusparteien waren die Treiber. Das namensgebende Nika für "Sieg" war das Losungswort der Aufständischen.

 

Auslöser war wohl die Forderung nach Freilassung von zwei zum Tode verurteilten Unruhestiftern, beide Mitglieder der Zirkusparteien. Sie hatten im Gegensatz zu anderen eine Hinrichtung überlebt, weil der Balken des Galgen brach. Mönche retteten die beiden Delinquenten und gaben ihnen Kirchenasyl. In der Folge schaukelten sich die Forderungen nach Begnadigung immer weiter hoch, weitere Forderungen kamen hinzu. Sie wurden drei Tage später dem wie üblich in seiner Loge sitzenden Kaiser von der Masse der Zuschauer beim Wagenrennen zugerufen. Auf diesem Brauch beruht der noch heute gebrauchte Begriff der Akklamation. Der Kaiser lehnte ab.

 

Den fruchtbaren Boden für diese Forderungen hatte Justinian selbst bereitet. Die von ihm betonte Unabhängigkeit seiner allein auf Gottes Gnade beruhender Herrschaft kam bei der Oberschicht nicht gut an, die Steuererhöhungen, die er zur Finanzierung der Perserkriege erließ, bei keinem. Am 13. Januar 532 kam es im Hippodrom zu den ersten Unmutsäußerungen. Am 14. Januar ging die Randale weiter und weitete sich auf das Stadtgebiet aus. Nach Justinians Weigerung, die Verurteilten zu begnadigen, hatte die Masse das Haus des Stadtpräfekten gestürmt und in Brand gesetzt. Nun entsprach der Kaiser den Forderungen nach der Entlassung von drei Ministern. Neben dem merkwürdigerweise unbeliebten Finanzminister und Steuereintreiber Johannes der Kappadokier (um 490 bis nach 548) musste auch unser Freund Tribonianus gehen.

 

Es war aber zu spät, die Lage ließ sich mit Zugeständnissen nicht mehr unter Kontrolle bringen. Justinian rief reguläre Truppen herbei, da sich die lokale Palastgarde nicht einmischen wollte. Am 17. Januar kam es zu den ersten Auseinandersetzungen mit den von Justinian alarmierten Einheiten. Die Aufständischen riefen mit Flavius Hypatius (gest. 532) zwar am 18. Januar noch einen Gegenkaiser aus, die Lage kippte jedoch zusehends zu ihren Ungunsten. Hypatius war der Neffe des ehemaligen Kaisers Anastasius, der sich seinerzeit nicht hatte gegen Justin durchsetzen können.

 

Es heißt, Justinian wollte in den Tagen zuvor schon aufgeben, aber seine Frau Theodora (um 500 bis 548) habe sich geweigert zu fliehen. Schließlich rettete die Armee den Kaiser. Narses verhandelte und gewann Zeit. Er sprach mit den Anführer der blauen Demen-Partei, gab ihnen Gold und erinnerte sie daran, dass Hypatius ja immer die Grünen unterstützt hätte. Das war ein kluger Move. Die Blauen zogen durch Geld und gute Worte überzeugt ab, die Grünen standen dagegen mit offenem Mund da und staunten. Aber nicht lange, denn Belisar drang mit seinen Truppen in den Circus ein und schlug den Aufstand schließlich blutig nieder. Hypatius und sein Bruder Flavius Pompeius (gest. 532) wurden hingerichtet, auch eine Reihe von Unterstützern aus dem Adel bezahlten mit dem Tod.

 

Insgesamt sollen bei den Unruhen 30.000 Menschen umgekommen sein, das sind gut 5% der damaligen Bevölkerung Konstantinopels. Wenn wir das auf heutige Städte mit rivalisierenden Fangruppen wie Hamburg, Glasgow oder Rio de Janeiro übertragen würden, landen wir bei schwer vorstellbaren Größenordnungen. Hoffen wir mal, dass es sich bei den Angaben um die handelsüblichen Übertreibungen in solchen Berichten handelt.

 

Justinian hatte danach im Inneren Ruhe. Erst gegen Ende seiner Herrschaft trauten sich wieder einige, zu opponieren. Wir nutzen diese Ruhe das nächste Mal, um auf Justinians Außenpolitik zu schauen.