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(65) Der Erste Punische Krieg

Die Söhne des Mars

Mitte des 3. Jahrhunderts hatte Rom die Vorherrschaft über den italienischen Stiefel südlich der Poebene errungen, Karthago hatte unter Opfern Sizilien behauptet und war Vormacht im westlichen Mittelmeer. Dass die beiden alsbald zusammenstießen, verwundert nicht.

 

Der Anlass war eher nichtig. Der uns schon bekannte Herrscher von Syrakus, Agathokles starb, ohne die Soldaten seiner Söldnerarmee, Osker aus Kampanien, die sich »Marssöhne« oder Mamertiner nannten, bezahlt zu haben. Deren Zustimmung zu diesem Verhalten hielt sich in engen Grenzen. Sie besetzten daraufhin die Stadt Messana, das heutige Messina, und wären dort auch gerne geblieben. Hieron II. von Syrakus (etwa 308 bis 215 v. Chr.) besiegte sie jedoch 269 v. Chr., worauf sie die Karthager zu Hilfe riefen. Die kamen auch, stritten sich aber bald selbst mit den Mamertinern und bekämpften sie nun, gemeinsam mit dem alten Gegner Syrakus. Der nächste Hilferuf der Marssöhne blieb daher nicht aus. Er ging in Richtung Rom.

 

Das sah seine Chance, den nächsten Schritt zu gehen und den eigenen Machtbereich durch einen Stützpunkt auf Sizilien auszuweiten. Man kam, sah und siegte. Die Karthager zogen aus Messina ab, ihr Anführer Hanno (etwa 285 bis 255 v. Chr.) traute sich mangels Weisung aus der Hauptstadt nicht, in einen Konflikt mit Rom zu gehen. Das bekam ihm allerdings schlecht, nach seiner Rückkehr nach Karthago wurde er gekreuzigt. Ein wenig mehr Eigeninitiative hätte ihm sicherlich geholfen.

 

Der Tanz beginnt

Nun standen Karthago und Rom auf der Tanzfläche und beide konnten es sich nicht leisten, davon zu verschwinden. Für die Karthager ging es um den Erhalt Siziliens als Teil ihres Herrschaftsbereiches. Rom wollte sich nicht zurückziehen, da dies von den gerade erst unterworfenen Gebieten in Süditalien und den eigenen Bundesgenossen als Schwäche ausgelegt worden wäre, möglicherweise Auslöser für einen Aufstand in den erst jüngst unterworfenen Gebieten.

 

Als Erstes wurde der karthagische Verbündete Hieron besiegt, der 263 v. Chr. mit Rom Frieden schloss. Karthago schickte erst im darauffolgenden Jahr ein großes Heer nach Akragas, das wir heute als Agrigent kennen. Vier römischen Legionen gelang allerdings nach längerer Belagerung die Eroberung der Stadt. Die Karthager begannen daraufhin, in Süditalien ein wenig zu marodieren.

 

Rom zur See…

Die Entscheidung in diesem Krieg sollte jedoch auf dem Meer fallen. Hier schien Karthago aufgrund seiner langjährigen Seefahrertradition klar im Vorteil zu sein. Allein, die Sache lief anders.

Lange dachte man, dass die Römer auf die geniale Erfindung einer corvus genannten Enterbrücke gekommen seien. Diese Technik soll es ermöglicht haben, Seeschlachten nicht allein dadurch zu entscheiden, möglichst viele Schiffe mit dem eigenen Rammsporn am Bug zu versenken. Durch aus Herunterklappen der Brücken hätten die römischen Soldaten in Zweierreihen die gegnerischen Schiffe entern können und so mit der Erfahrung aus vielen Landschlachten den Vorteil auf ihre Seite gezogen. Mittlerweile existieren jedoch einige Zweifel an dieser Darstellung, so schön einleuchtend sie auf den ersten Blick auch sein mag. Auf jeden Fall ging die erste Seeschlacht für Rom noch verloren, aber 260 v. Chr. gab es bei Mylae einen überwältigenden Sieg. 259 v. Chr. konnte das karthagisch dominierte Korsika erobert werden, Sardinien wurde von Karthago nahezu freiwillig geräumt.

 

In der Folgezeit rüsteten beide auf. Rom wollte das Momentum nutzen und den Krieg nach Nordafrika ins karthagische Kernland führen. In der Schlacht am Kap Ecnomus vor der Südküste Siziliens wurde 256 v. Chr. die karthagische Flotte erneut besiegt.

 

…Karthago an Land

Der Weg war frei. Die Römer konnten bei Aspis, auf der Halbinsel östlich von Karthago gelegen, landen und einen Brückenkopf errichten, den sie auch über Winter verteidigten. So wie die Römer sich aufschlauten, wie man Seeschlachten gewinnt, zogen die Karthager Experten für Landschlachten hinzu. Der Spartaner Xanthippos (um 250 v. Chr.) soll eine entscheidende Rolle gespielt haben, dass es 255 v. Chr. gelang, das römische Expeditionsheer unter dem Konsul Marcus Atilius Regulus (gest. um 250 v. Chr., amt. 267 und 256/255 v. Chr.) bei Tunis, immerhin nur 15 Kilometer von Karthago entfernt, vernichtend zu schlagen. Damit war die Gefahr einer absoluten Niederlage und Zerstörung des karthagischen Reiches abgewendet. Ein wenig verkehrte Welt also: die Landmacht Rom gewann auf See, die Seemacht Karthago an Land.

 

Stürme

Rom schickte 370 Schiffe, um die Truppen aus Afrika heimzuholen. Der Versuch der Karthager, dies zu verhindern, misslang - nach den bisherigen Erfahrungen nahezu erwartungsgemäß - bei Kap Bon. 130 der 200 karthagischen Schiffe gingen verloren, fast 90 Prozent davon wurden von den Römern gekapert. Die Karthager hätten sich gar nicht so bemühen müssen, denn auf der Rückfahrt geriet die römische Flotte in ein furchtbares Unwetter. Fast 300 Schiffe, 80 Prozent der Flotte, sanken und rissen 100.000 Menschen in den Tod. Es war die größte Katastrophe der gesamten Seefahrtsgeschichte bis heute, Armada, Wilhelm Gustloff, Titanic und Estonia zum Trotz. Eine Überladung der Boote durch die Landsoldaten mag der Grund für das Ausmaß des Unglücks sein. Nach der Niederlage von Kap Bon gab es keine karthagische, nach dem Sturm von Kamarina vor der Südküste Siziliens keine römische Flotte mehr.

 

Die enorme Willens- und Leistungskraft der Römer erkennen wir daran, dass schon nach wenigen Monaten 200 neue Schiffe gebaut waren, mit deren Unterstützung 254 v. Chr. die Eroberung Siziliens fortgesetzt wurde. Beispielsweise konnte Panormos, das heutige Palermo, erobert werden. Auch nach Afrika wagte man sich erneut. Diesmal gelang der Landgang jedoch nicht, bei der Rückfahrt kam man erneut in einen Sturm, der erneut viele Schiffe, über 100 sollen es gewesen sein, forderte.

 

Elefanten und Hühner

Für Karthago rächte sich in diesen Jahren, dass sie ihr unmittelbares Hinterland nie in den Griff bekommen hatten. Aufständische numidische Stämme wollten die Gelegenheit, dass Karthago mit Rom genug zu tun hatte, nutzen. Sie banden Ressourcen, die im Kampf gegen Rom fehlten. 251 v. Chr. fand Karthago endlich die Kraft zur Initiative und schickten eine Armee mit 30.000 Soldaten und 150 Kriegselefanten nach Sizilien. Leider – aus karthagischer Sicht – war diesem Unternehmen kein Erfolg beschieden. Der Angriff auf Panormos scheiterte, man fand sich schließlich in Lilybaeum eingekesselt und belagert. Wir kennen diese Situation aus dem Feldzug des Pyrrhus in Sizilien. Wie ihm damals gelang es jetzt auch den Römern nicht, diese Festung einzunehmen. Dies um so weniger, als es die Karthager schafften, trotz der römischen Seeblockade die Stadt regelmäßig vom Meer aus zu versorgen.

 

249 v. Chr. sollte Konsul Publius Claudius Pulcher (amt. 249 v. Chr.) die karthagische Flotte, die im Nordwesten Siziliens vor Drepana ankerte, vernichten, um so diese Versorgungslinie zu kappen. Die bisherigen Erfolge in fast allen Seeschlachten stimmten die Römer hoffnungsfroh. Vor der Schlacht befragte Pulcher die Götter, indem er den mitgeführten heiligen Hühnern Futter gab. Diese verweigerten jedoch die Nahrungsaufnahme, was ihnen nicht gut bekam. Mit den Worten »Wenn sie nicht fressen wollen, sollen sie trinken!« warf der Konsul sie über Bord und setzte seinen Angriff fort. Er hätte mal besser auf die Hühner hören sollen, denn der karthagische Admiral Adherbal (gest. 230 v. Chr.) besiegte ihn. Rom verlor 94 seiner 120 Schiffe, Karthago keines. Nachdem eine weitere Flotte wenig später wiederum in einem Sturm verloren ging, beschloss man in Rom, trotz aller Erfolge erst einmal auf den Bau einer neuen größeren Flotte zu verzichten. Mehr als 66 Schiffe durften es künftig nicht mehr sein.

 

Private Public Partnership

Der Sieg von Drepana brachte Karthago allerdings nicht die Wende. Zwar gelangen dem neuen Oberbefehlshaber Hamilkar Barkas (um 270 bis 229 v. Chr.) ab 247 v. Chr. auf Sizilien einige Erfolge. Rom kam nicht umhin, doch noch eine Flotte zu bauen. Dies gelang als Privataktion der aristokratischen Familien, da dem Staat selbst schlicht das Geld ausgegangen war. Die Aristokraten traten in Vorlage mit der Versicherung auf Rückzahlung im Falle eines Sieges über Karthago. Der kam dann auch relativ schnell. 241 v. Chr. waren die Hühner gnädiger und die karthagische Flotte wurde am 10. März bei den Ägadischen Inseln westlich Siziliens erneut deutlich geschlagen. Karthago musste einsehen, dass es keine Chance auf einen endgültigen Sieg hatte und dass ein Weiterkämpfen immer mehr und schneller zur Erschöpfung aller Ressourcen führen würde. Die Nachschublinien nach Sizilien waren aufgrund der verlorenen Seeherrschaft unsicher und Roms Kräfte waren auch an Land zu stark, als dass sie hätten vernichtet werden können.

 

Eine Niederlage ist teuer

Der Friedensvertrag brachte Rom Sizilien mit den umliegenden Inseln und viel Geld, Silber vor allem. Etwa 83 Tonnen mögen die vereinbarten 3.200 euböischen Talente gewogen haben. Karthago bekam zusätzlichen Stress dadurch, dass es ja mangels größerer eigener Streitkräfte und wirklicher Bundesgenossen mit einem Söldnerheer gekämpft hatte. Die Soldaten, viele aus Libyen, aber auch Kelten und andere, warteten auf ihr Geld und suchten nun Wege, wie sie es sich direkt holen konnten. Sie meuterten und brachten in den nächsten Jahren einige Städte in Nordafrika in ihren Besitz. Karthago musste in einem aufwändigen Krieg, der bis 237 v. Chr. dauerte, wieder für Ordnung im eigenen Hinterhof sorgen. Rom nutzte diese Zeit, um sich neben Sizilien mit Korsika und Sardinien seine zweite Provinz einzuverleiben. Von Karthago ließen sie sich die - vertragswidrige - Abtretung Sardiniens noch zusätzlich mit 31 Tonnen Silber bezahlen. Die Karthager konnten sich keinen neuerlichen Krieg leisten, zahlten, ballten die Faust in der Tasche und schworen Rache.

 

Erholung in Spanien

Mit dem Erfolg gegen Karthago war Rom einen nächsten großen Schritt auf dem Weg zum Imperium gegangen. Aus dem mittelitalienischen Kleinstaat war eine Großmacht geworden, deren Orientierung allerdings noch sehr nach Südwesten zeigte. Karthago war noch nicht geschlagen und es wird im römischen Senat jedem klar gewesen sein, dass man nach dem Krieg dort wenig Freunde hatte.

 

Treibende Kraft in Karthago war Hamilkar Barkas, der Feldherr, der nicht als Sieger, aber auch unbesiegt hatte Sizilien räumen und um Frieden bitten müssen. Er suchte eine Kompensation für die Erträge, die aus dem Handel mit den drei großen Inseln im Westen Italiens weggebrochen waren. Die Lösung war schnell gefunden, sie lag auf der Hand. Mit Gades hatte man im Süden der iberischen Halbinsel bereits einen Stützpunkt, die Straße von Gibraltar ließ sich auch ohne große Kriegsflotte überqueren – also ging es 237 v. Chr. auf nach Spanien. Die Eroberung ging relativ leicht vonstatten – und sie lohnte sich. Spaniens Silber- und Kupfervorkommen sanierten den Haushalt Karthagos und ermöglichten Gedanken, wie man die Schmach der Niederlage gegen Rom wettmachen könnte.

 

Hamilkar hatte seinen neunjährigen Sohn Hannibal (247 bis 183 v. Chr.) und dessen jüngeren Bruder Hasdrubal (245 bis 207 v. Chr.) mit auf den Feldzug genommen. 229 v. Chr. kam er im Kampf mit dem iberischen Stamm der Vettonen bei Toledo in einem Hinterhalt ums Leben. Ihm folgte erst sein Schwiegersohn Hasdrubal (270 bis 221 v. Chr.), der Neu-Karthago, das heutige Cartagena, gründete. Er erhielt den Beinamen »der Schöne«, was uns hilft, Namensverwechslungen mit Hamilkars leiblichem Sohn zu vermeiden.

 

In Rom wurde man zusehends nervös. 226 v. Chr. verhandelte eine römische Delegation mit Hasdrubal. Man einigte sich auf den Ebro als Nordgrenze des karthagischen Einflussbereiches. Rom war zufrieden, weil es auf diese Weise sicherstellen konnte, durch Karthager nicht im anstehenden Kampf mit den Kelten gestört zu werden, und Karthago hatte ein vertraglich gesichertes Recht auf fast die ganze iberische Halbinsel. Da Hasdrubal noch lange nicht am Ebro stand, konnte auch Karthago sehr zufrieden sein. Na super, könnte man denken. Denkste.

 

Stress mit den Römern

Dieser Vertrag war für Rom eine politische Notwendigkeit. First things first, sagt der Brite. Und first waren im Moment die Kelten. In Illyrien und in der Po-Ebene gab es vor dem Zweiten Punischen Krieg entscheidende Erfolge gegen diese. Nachdem das abgehakt war, kam der nächste Punkt auf der Tagesordnung: Karthago, den letzten Rivalen im westlichen Mittelmeer. Man hatte ihn vertraglich ruhiggestellt, solange man anderweitig beschäftigt war. Nun konnte es losgehen. Dass sich Karthago an die geschlossenen Verträge hielt, war zwar unschön, aber nicht entscheidend. Einen Kriegsgrund zu konstruieren, ist noch selten schwergefallen.

 

Der schöne Hasdrubal wurde 221 v. Chr. von einem Sklaven ermordet, die Soldaten riefen Hannibal als neuen Oberbefehlshaber aus. Ob das dem Rat in Karthago so konvenierte, war ihnen egal. Wahrscheinlich tat es das, wir wissen nichts anderes. So war es Hannibal, der 220 v. Chr. eine römische Gesandtschaft empfing, die ihm erklärte, dass er Sagunt, beim heutigen Valencia und also eindeutig südlich des Ebros und damit im vertraglich zugesicherten karthagischen Einflussbereich gelegen, nicht angreifen und erobern dürfe, da es einen Beistandsvertrag mit Rom gebe. Hannibal hörte sich das an, schickte die Gesandten nach Hause und eroberte 219 v. Chr. Sagunt.

 

Römische Gesandte protestierten in Karthago, beriefen sich auf einen drei Jahre alten römischen Schutzvertrag für Sagunt und verlangten die Auslieferung von Hannibal. Karthago sah hier – zu Recht – keine Veranlassung und verabschiedete die römische Delegation. Die fuhren dann auch ab, ließen jedoch die Kriegserklärung gleich da.

 

Den spannenden Verlauf des Zweiten Punischen Krieges schauen wir uns dann das nächste Mal an.