Dreimal alleine?
Nach dem Tod seines Vaters Theodomir war nun Theoderich Alleinherrscher der Goten. So ganz allein war er jedoch nicht. Strabo war ja immer noch da, der von Konstantinopel als »Alleinherrscher über die Goten« eingesetzte Konkurrent. Zweimal "alleine" ist klassenlogisch schwierig. Daneben gab es ja auch noch Zenon, seit 474 Kaiser in Konstantinopel, der sich auch gerne als Alleinherrscher verstand. Die nächsten Jahre waren also von dem Dreiklang der beiden Gotenverbände und dem Oströmischen Reich geprägt.
Nicht alle Pläne gehen auf
Zenon hatte in seiner Regierungszeit (bis 491) mit drei größeren Usurpationsversuchen zu kämpfen, bei denen die rivalisierenden Goten natürlich in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse fröhlich mitmischten. Strabo verzockte sich dabei zunächst ein wenig. Er unterstützte mit Basiliskos einen Usurpator, der sich nicht durchsetzen konnte. Zenon fand vor diesem Hintergrund die Freundschaft Theoderichs deutlich zielführender. Dieser wurde zum magister militum ernannt und als amicus populi Romani geehrt. Wichtig war, dass er gegen Strabo zog.
Die Idee war gut, klappte aber nicht. Theoderich und Strabo erkannten, dass es für beide vorteilhafter sein könnte, wenn sie sich gemeinsam gegen den Kaiser stellten. Das war auf dem Papier ebenfalls eine gute Idee. Aber auch sie scheiterte. Zenon bekam Wind von der Sache und lockte Strabo wieder auf seine Seite. Das brachte natürlich Theoderich auf Zinne. Er zog plündernd durch die Gegend und konnte am Ende sogar Dyrrhachion, das heutige Durrës, an der Adria einnehmen. Aus dieser sicheren Position bot er dem oströmischen Diplomaten Adamantius (amt. 474 bis 479), seines Zeichens Stadtpräfekt von Konstantinopel, an, er wäre gerade im Flow und könnte gerne dabei helfen, Italien von Odoaker zu befreien und Julius Nepos wieder zum Kaiser zu machen. Ein visionärer Gedanke, wie wir sehen werden.
So weit war es aber noch nicht, zunächst musste Theoderich einen herben Rückschlag verdauen. Der römische General Sabinianus Magnus (gest. 481) konnte Theoderichs Tross und Nachhut in seine Gewalt bringen. Irgendwelche Eroberungspläne in Richtung Italien oder selbst Richtung Balkan oder Griechenland waren damit Makulatur. Nun kam ihm – ungewollt und indirekt – Strabo zu Hilfe.
Zenon hatte von dessen Machenschaften die Faxen dicke und zog ein Kaninchen aus dem Hut. Das waren die Bulgaren, die zu dieser Zeit neu auf der Bildfläche erschienen, und mit denen er sich schnurstracks verbündete. Wir werden irgendwann auch noch einen kurzen Blick auf sie werfen. Zwar gelang es Strabo schnell, dieser Gefahr Herr zu werden, sein anschließender Feldzug gegen die Stadt Konstantinopel selbst scheiterte jedoch kläglich. Nun sollte es gegen Griechenland gehen, aber auf dem Weg dorthin stürzte er vom Pferd in einen Speer, seufzte und verschied.
Theoderich setzt sich durch
Rekitach (gest. 484), seinem Sohn, gelang es nicht, die Truppen seines Vaters hinter sich zu vereinen. Auch die Ermordung seiner beiden Brüder half hier entgegen aller Erwartung nicht weiter. Die Soldaten hatten ein gutes Gespür für den weiteren Fortgang der Weltgeschichte und liefen in großen Scharen zu Theoderich über. Damit war dieser wieder stark genug, um Zenon einen Vertrag abzutrotzen. 483 wurde er erneut Heermeister und – das war außergewöhnlich – 484 Konsul des Römischen Reiches. Zudem erhielten die Goten Siedlungsland in Dakien und Moesien. Für Zenon war dies trotz dieser Zugeständnisse ein gutes Geschäft, da Theoderich ihm gegen den Usurpator Illus (gest. 488) helfen konnte. Bei seiner Inauguration als Konsul nutzte Theoderich im Übrigen die Gelegenheit, Rekitach, den Sohn seines langjährigen Widerparts auf offener Straße eigenhändig zu erschlagen. Damit schlossen sich ihm auch die Reste der thrakischen Goten an und er war unbestritten der König aller (Ost-)Goten.
Die Eroberung Italiens
Theoderich war nun in einer ähnlichen Situation wie zuvor Strabo. Trotz seiner Wahl zum Konsul traute Zenon ihm nicht über den Weg. Der Anführer der Goten musste in Konstantinopel bleiben, während seine Leute für den Kaiser gegen Illus kämpften.
486/487 kam es mal wieder zu Konflikten. Der Kaiser versuchte erneut, die Bulgaren gegen die Goten aufzubieten. Und erneut scheiterte dieser Plan. Also vertrug man sich wieder. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, das Spiel kennen wir mittlerweile. Beide erkannten, dass sie dieses Hin und Her noch endlos ohne eindeutiges Ergebnis würden spielen können. So kamen sie auf die Win-Win-Lösung, dass Theoderich im Auftrag des Kaisers nach Italien ziehen solle, um dort Odoaker in seine Schranken zu verweisen und die Macht des römischen Kaisertums im Westen zu sichern. Ob es wirklich eine Abrede oder eher ein eigenständiger Entschluss Theoderichs war, den Zenon dann in seinem Sinne umdeutete, wissen wir nicht genau. Auf jeden Fall hatten beide etwas von dieser Lösung und der Konflikt in Konstantinopel war gelöst.
Theoderich dachte noch kurz "Hab' ich doch gleich gesagt" und zog im Herbst 488 los. Mit dabei waren etwa achtzig- bis einhunderttausend Menschen, ein Viertel davon kampffähige Soldaten. Nicht das ganze Volk der Goten begleitete ihn. Wir erinnern uns, dass einige den Hunnensturm in der ursprünglichen Heimat nördlich des Schwarzen Meeres abgewettert hatten. Diese Krimgoten verzichteten auf eine Teilnahme an Theoderichs Zug nach Italien ebenso wie einige der pannonischen oder thrakischen Goten, die sich lieber vor Ort direkt in den Dienst des Kaisers stellten.
Der Zug nach Norden verlief nicht problemlos. Die Versorgung des gesamten Trosses war das eine, die Gepiden das andere Problem. Ardarich, der Sieger von Nedao 454, ist uns ja schon begegnet und wir wissen auch, dass die Goten das von ihm errichtete kurzlebige Reich unterwerfen konnten, ohne sie endgültig auszuschalten.
Bereits das Jahr 469 hatte einen gotischen Sieg an der Bolia gesehen. Es war gegen eine Koalition von Stämmen gegangen, zu denen auch die Gepiden gehörten. Diese hatten danach durch Theodomirs Zug nach Süden im Jahr 473 in ihrem Siedlungsgebiet im heutigen Ungarn und Rumänien etwas Luft bekommen. Nun stand man sich 488 an der Donau beim heutigen kroatischen Vukovar gegenüber.
Wir können vermuten, dass Odoaker von der Aktion Wind bekommen hatte und versuchte, Theoderichs Ausgreifen nach Italien mit Hilfe der Gepiden im Keim zu ersticken. Wenn es so gewesen sein sollte, nützte es ihm nichts, denn die Goten konnten die Stellung der Gepiden überrennen. Deren König Thraustila (gest. 488) fiel. Theoderich hatte doppeltes Glück. Neben dem Sieg fielen ihm auch die Vorräte des Gegners in die Hände, willkommene Beute für das chronisch unterversorgte gotische Heer. So konnte er beruhigter weiterziehen, auch wenn er sich immer wieder gegen sarmatische Angriffe zur Wehr setzen musste. Die julischen Alpen waren das Ziel, am Isonzo an der heutigen italienisch-slowenischen Grenze wartete Odoakers Heer.
Die weitere Geschichte kennen wir, Theoderich siegte am 28. August 489 und konnte sich am langen Ende gegen Odoaker durchsetzen. Auch wenn es Rückschläge gab, die er nur mit Hilfe westgotischer Verbände auffangen konnte, war er am Ende der Sieger. Es gebrauchte allerdings eine zweijährige Belagerung, bis er am 5. März 493 in Ravenna einziehen konnte. Die Wahl der Kaiserresidenz durch Honorius im Jahr 402 war seinerzeit ja wohlüberlegt gewesen. Der örtliche Bischof Johannes II. von Ravenna (gest. 495) vermittelte die Einigung mit Odoaker: beide sollten doch gerne gemeinsam über Italien herrschen. Die Erfahrungen mit Doppelspitzen waren damals noch nicht so ausgeprägt wie bei einigen Parteien heute. Theoderich war auf jeden Fall kein glühender Anhänger, keine zehn Tage nach seinem Einzug in die Hauptstadt erschlug er bei einem Bankett eigenhändig seinen Mitregenten Odoaker, so wie er es mit Strabos Sohn Rekitach auch getan hatte. Dieses ständige Erschlagen von Konkurrenten war doch schon eine unangenehme Charaktereigenschaft des Königs, insbesondere für die Be- und Getroffenen. Aber sie war erfolgreich: Theoderich war erneut Alleinherrscher. Nach den Goten war ihm nun auch Italien untertan.
Das nächste Mal schauen wir dann, wie es Theoderich als Herrscher eines großen Reiches dann so anstellte.