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(121) Sachsen, Burgunder, Thüringer

Die Sachsen

Normalerweise tauchen die Sachsen in der Geschichtsschreibung der Völkerwanderung eher am Rande auf. Sie waren nur bedingt wanderlustig und ihr ursprünglicher Siedlungsraum lag ein wenig abseits der großen Geschehnisse. Gleichwohl wollen wir einen kurzen Blick auf diesen Volksstamm werfen, da er in der weiteren Geschichte eine gewichtige Rolle spielen sollte. Noch heute finden wir die Sachsen nicht allein im Namen dreier Bundesländer wieder. Zusammen mit den Angeln haben sie auch jenseits des Kanals als Angelsachsen einige Wirkungstreffer erzielt. So weit müssen wir aber weder zeitlich noch räumlich schauen, schon Karl der Große hatte seine liebe Not mit diesem Volksstamm.

 

Der Name der Sachsen beruht vermutlich auf einer Reihe von Kopierfehlern. Der Begriff leitet sich aus der Geographie des Claudius Ptolemäus (um 100 bis nach 160) ab, der im 2. Jahrhundert n. Chr. gelebt hat und zur Zeit Marc Aurels starb. Ptolemäus schrieb vermutlich über den Stamm der Aviones (»ΑΒΙΟΝΕΣ«), was dann in den nächsten über eintausend Jahren erst zu Axones (»ΑΞΟΝΕΣ«) und dann zu Saxones (»ΣΑΞΟΝΕΣ«) wurde. Copy and Paste gab es in der Spätantike und im Mittelalter nicht, da waren Übertragungsfehler sicherlich an der Tagesordnung. Noch heute sind wir ja vor Tippfehlern nicht gefeit. Leider hilft uns diese Begriffsgeschichte aber so gar nicht weiter, weil wir hinsichtlich jeglichen Wissens über die Avionen total blankziehen müssen.

 

Erst im 4. Jahrhundert finden wir gesicherte Quellen über die Sachsen, die 356 vom späteren Kaiser Julian II. gemeinsam mit den Franken als »die streitbarsten Völker am Rhein und am westlichen Meer« bezeichnet werden. Der genaue Siedlungsraum lässt sich allerdings nicht erschließen. Wenn wir von den Gebieten des heutigen Schleswig-Holstein, Niedersachsens und der Niederlande ausgehen, werden wir wohl nicht allzu sehr daneben liegen. Ebenso wie die Franken sind auch die Sachsen aus vielen kleineren Stämmen der Nordseegermanen, so den Chauken, den uns seit Arminius wohlbekannten Cheruskern und den Angrivariern entstanden.

 

Wie viele Germanen finden wir auch Sachsen im Dienst des Römischen Reiches. Wir haben schon gehört, dass sie um 440 als Foederaten nach Britannien geschickt wurden, um dort den römischen Einfluss zu sichern. Der Plan schlug fehl, die Sachsen waren eher am eigenen Einfluss interessiert und eroberten große Teile der Insel. So finden wir auch dort mit Wessex, Sussex, Essex und Middlesex noch heute ihren Namen in regionalen Bezeichnungen.

 

Im Keltischen und Irischen heißt England konsequenterweise nach den Sachsen Sasana. Diese Eroberung geschah gemeinsam mit den Angeln, von denen wir annehmen können, dass sie aus der Gegend Schleswig-Holsteins kamen, die heute noch ihren Namen trägt. In England haben sie sich namenstechnisch in East Anglia ebenso verewigt. Die Begründung des angelsächsischen Englands stammt also aus dieser Zeit. Die Bezeichnung blieb auch nach der normannischen Eroberung im Jahr 1066 prägend. Erwehren mussten sich die Angelsachsen der Scoten, die überraschenderweise aus Irland und nicht aus Schottland kamen. Dort lebten wiederum die Pikten, die ebenso gerne plündernd gen Süden zogen wie die Scoten gen Osten. 843 vereinigte der scotische König Kenneth I. MacAlpin (um 810 bis 858, reg. 843 bis 858) sein Königreich mit dem der Pikten, dem Heimatland seiner Mutter, und gab dem Norden Britanniens den Namen Schottland. Er ist im übrigen in 34. Generation ein Urgroßvater von Charles III. Nicht alle von uns können in ihrem Stammbaum so weit zurückblicken.

 

Zur Zeit der Völkerwanderung war die Eroberung Britanniens die wesentliche Leistung der Sachsen. Es war allerdings keine Bewegung des gesamten Volkes. Wesentliche Teile blieben in der Heimat, also grob gesagt in Nordwestdeutschland und den Niederlanden bis hinunter in den Nordwesten Frankreichs. Es kam im Folgenden immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den südlicher siedelnden Franken, die dabei meist die Oberhand behielten.

 

Im Jahr 631 unterlagen diese dann allerdings unter ihrem König Dagobert I. in der Schlacht bei der Wogastisburg – wo immer die gelegen haben mag, aller Wahrscheinlichkeit nach in Böhmen – einem gewissen Samo (etwa 600 bis 658, reg. 623 bis 658). Diesem fränkischstämmigen Kaufmann und Abenteurer war es gelungen, in Böhmen ein slawisches Herrschaftsgebiet aufzubauen. Die Sachsen boten daraufhin den Franken an, die Grenze gegen die Slawen zu verteidigen, wenn man ihnen die Tributzahlung von jährlich fünfhundert Kühen erlassen würde.

 

Diese Entwicklung fiel in eine Zeit, in der die Macht der Merowinger im Frankenreich sich dem Ende näherte. Thüringen, das (seit 632/633 sogar als selbständiges Herzogtum) zum fränkischen Herrschaftsgebiet gehörte, war mittlerweile umkämpft. Der dortige fränkische Herzog Radulf (gest. nach 642, reg. 632/633 bis nach 642) schloss nach einer weiteren Niederlage des austrasischen Königs Sigibert III. (etwa 630 bis 656, reg. 633 bis 656) notgedrungen Frieden mit den Wenden und den Sachsen, die sich also über die ganze Zeit in ihrem Siedlungsgebiet behaupten konnten.

 

Wir lassen es also erst einmal damit gut sein. Die Karolinger hatten dann später wieder ihre liebe Not mit den Sachsen, sie werden uns also noch einmal begegnen.

 

Die Burgunder

Burgund ist noch heute eine Landschaft in der Mitte Frankreichs, die nicht allein wegen ihres Weins berühmt ist. Das Volk der Burgunder soll aus Burgundarholm, dem heutigen Bornholm, stammen. Eine These, die allerdings nicht durch irgendwelche Fakten belegt ist. Der germanische Wortstamm burgund deutet sich begrifflich als »hoch« oder »hochgelegen«. Da Bornholm (wie jede Insel) aus Sicht der umgebenden Meeresoberfläche auf jeden Fall hochgelegen erscheint, wollen wir es freundlicherweise an dieser Stelle bei dieser Theorie belassen.

 

Von Bornholm seien die Burgunder irgendwann aufgebrochen und in den folgenden Jahrhunderten bis in das heutige Südwestdeutschland gelangt. Im 1. Jahrhundert n. Chr. noch an der Weichsel lebend, könnte es auf dem weiteren Weg nach Süden zu Aufspaltungen gekommen sein. Wahrscheinlicher ist es wohl, dass sich aus dem Verband immer wieder einzelne Gruppen lösten, die sich durch Verbindungen mit anderen Stämmen einen größeren Vorteil erhofften, so dass es wie bei den anderen Völkern auch, eben keine stringente einheitliche Wanderung »der Burgunder« gegeben hat. Wir finden Gruppen, die als Burgunder bezeichnet werden, sogar nördlich des Schwarzen Meeres als Verbände des hunnischen Reiches, und nicht zuletzt auch 451 auf Seiten Attilas auf den Katalaunischen Feldern.

 

Konzentrieren wollen wir uns auf die Einheiten, die im Westen den Grundstock für das spätere Burgunderreich bildeten. Der erste nachweisbare König dieser Burgunder war Gundahar (gest. 437), den wir ab 413 am Mittelrhein in der Gegend von Worms finden, wohin er mit angeblich achtzigtausend Kriegern gezogen war. Dabei nutzte er wohl auch den gemeinsamen Rheinübergang der Vandalen, Alanen und Sueben, dem er sich anschloss, ohne dann allerdings weiter durch Gallien zu ziehen. Wir müssen an dieser Stelle mal wieder darauf hinweisen, dass wir auf unsicherem Boden stehen. Für die genaue Lokalisierung (»Gegend von Worms«) gibt es keine Belege, allenfalls unsichere Indizien, auch aus dem Nibelungenlied des Mittelalters, in dem wir Gundahar als König Gunther erleben dürfen. Wir nehmen es jetzt mal als halbwegs plausible Möglichkeit so an. Wem die im 13. Jahrhundert entstandene mittelhochdeutsche Überlieferung dieses Epos zu beschwerlich zu lesen ist, dem sei die Nacherzählung von Franz Fühmann empfohlen.

 

Auf dem Weg dahin hatten die Burgunder im 4. Jahrhundert am oberen und mittleren Main gelebt, wo sie mit den Alemannen um Raum und Ressourcen, insbesondere wohl auch Salzquellen, kämpften. Dabei kam es häufiger zu römisch-burgundischen Koalitionen gegen die Alemannen, so etwa 356 unter Kaiser Constantius II.

 

Am Main fanden sie zunächst also ein Agreement mit Rom, demzufolge sie die Grenzen sichern sollten. 413 wurden sie von dem damaligen Heermeister und späteren Kaiser Constantius III. auf der linksrheinischen Seite angesiedelt. Eine Generation später zogen sie weiter westwärts gen Belgien, um Beute zu machen und gegebenenfalls auch ihr Reich zu erweitern. Noch war Rom stark genug, um entsprechende Plünderungs- und Eroberungszüge zu unterbinden. Aëtius besiegte sie 435. In den darauffolgenden beiden Jahren wurden sie sogar nahezu vollständig vernichtet. Schuld waren die Hunnen, die Etzelschlacht im Nibelungenlied erzählt davon. Initiator, vielleicht sogar direkter Heerführer war aber sicherlich wieder Aëtius.

 

Die vollständige Vernichtung der linksrheinischen Burgunderherrschaft bedeutete jedoch nicht vollständige Vernichtung eines jeglichen Burgunders und schon gar nicht die des klangvollen Namens. So finden sich bereits sechs Jahre später hinreichend Menschen, verbliebene Burgunder und solche, die sich diesen angeschlossen hatten, die sich seitens der Römer ein neues Siedlungsgebiet, die Sapaudia, zuweisen ließen. Bevor Du jetzt Deinen Atlas hervorkramst, Du wirst diese Region dort nicht finden. Den Namen wollen wir dennoch nennen, da sich aus diesem später der Begriff Savoyens herausbildete, das uns viel später noch beschäftigen wird. Vorerst verorten wir dieses »Land der Tannen« am Genfer See bis hinüber in die Nähe der Rhône und nach Norden bis in den Aargau. Damit sollten sie den Weg zwischen Italien und Nordgallien sowie zwischen Rhône und Oberrhein über den Umschlagplatz Yverdon am Neuenburgersee sichern, auch gegen ihre »Erbfeinde«, die Alemannen. Für die in diesem Gebiet siedelnden Römer waren die Neuankömmlinge sicherlich auf der einen Seite Konkurrenten um Land, Wohnraum und Ressourcen. Auf der anderen Seite boten sie allerdings auch einen gewissen Schutz, den der schwächer werdende Kaiser und seine Heermeister nicht mehr ausreichend garantieren konnten. Zwar befand sich Ravenna gerade in einer Konsolidierungsphase, nicht zuletzt auch durch die 442 vertraglich getroffene Regelung mit den Vandalen, aber die Gesamtentwicklung war doch eher vom Erstarken fremder Mächte, in Gallien vornehmlich der Westgoten und Franken geprägt.

 

Als erstem Herrscher in dem neuen Gebiet kennen wir Gundioch (gest. 473, reg. wohl 436 bis 473), der vielleicht sogar ein Sohn des 436 gefallenen Gundahars war. Von Gundiochs Sohn Gundobad haben wir schon gehört. Er hatte im weströmischen Reich als Neffe Ricimers eine tolle Karriere als Heermeister und patricius gemacht, sich 474 aber doch entschlossen, als König in sein burgundisches Reich zurückzukehren. Lieber Kapitän auf einem kleinen, als Offizier auf einem großen Schiff, mag er sich gedacht haben, zumal, wenn das große Schiff nur noch bedingt seetauglich schien. Das mit der Kapitänsrolle war jedoch keineswegs ausgemacht. Erst einmal folgte Gundiochs Bruder Chilperich I. (gest. um 480, reg. 473 bis um 480) auf dem Thron, den wir nicht mit seinen fränkischen Namensvettern durcheinanderbringen dürfen.

 

Da Chilperich kinderlos war, folgten ihm die Söhne Gundiochs, zu denen auch Gundobad zählte. Zwei waren bereits verstorben. Es blieb neben Gundobad, der in dem 461 zur Hauptstadt erhobenen Lyon residierte, sein jüngerer Bruder. Das war ein Herr namens Godegisel, der in einem kleineren Gebiet rund um Genf herrschte. Auch von diesen beiden haben wir schon gehört, als sich der Franke Chlodwig auf Godegisels Seite in den Streit der beiden einmischte. Letztlich konnte sich dennoch Gundobad mit Hilfe der Westgoten sowie freiwilliger Tributzahlungen an Chlodwig durchsetzen. Sein Bruder wurde mit der für die damalige Zeit typischen Konsequenz getötet und die Burgunder hatten wieder nur einen Herrscher.

 

Gundobad konnte das Burgunderreich weiter konsolidieren. 490 plünderte er Ligurien, zeigte sich danach aber versöhnlich und ließ 494 die sechstausend Gefangenen dieses Beutezuges wieder frei. In Erkenntnis der begrenzten Möglichkeiten des im Vergleich eher kleinen Burgunderreiches suchte er Allianzen mit anderen. Sein Sohn Sigismund heiratete die (uneheliche) Tochter des Ostgotenkönigs Theoderich mit dem schönen Namen Ariadne (475 bis 520), die, vielleicht um Verwechslungen mit der Dame mit dem Wollknäuel zu vermeiden, den Beinamen "Ostrogotho" erhielt.

 

Wahrscheinlich auch unter dem Einfluss seiner Frau trat Sigismund 497 zum katholischen Glauben über. Anders als vor allem bei den Vandalen, war das Glaubensbekenntnis für die Burgunder kein die Gemeinschaft konstituiv prägendes Merkmal. Der Übertritt des Königssohns vom Arianismus löste also keine Staatskrise aus, auch wenn Gundobad nicht wirklich erfreut war. Dahinter mag auch gestanden haben, dass die Burgunder versuchten, sich durch eine Annäherung an das Oströmische Reich gegen die beiden starken Nachbarn, die Franken und die Ostgoten, zu behaupten. Nach seinem Herrschaftsantritt suchte Sigismund zudem, die Absicherung des Landes durch kluge Heiraten fortzusetzen. Seine Tochter Suavegotta (nach 495 bis nach 549) wurde 517 mit Theuderich I., dem ältesten Sohn Chlodwigs, verheiratet.

 

Leider hatte Theuderich noch drei Brüder, die sich durch eine Schwägerin nicht von kriegerischen Aktivitäten gegen die Burgunder abhalten ließen. Anlass war die uns bereits bekannte Ermordung von Sigismunds Sohn Sigerich durch seinen Vater im Jahr 523. Sohnemann war dem König wohl zu gefährlich geworden. Er hatte zudem wohl auch Stress mit seiner neuen Stiefmutter, die im Zweifel die Putschgerüchte schürte. Sigerich war aber immerhin ein Enkel Theoderichs, weshalb die Ostgoten also nachvollziehbarerweise erzürnt waren. Diesen Zwist nutzten Theuderichs Brüder, die mit ostgotischer Unterstützung die Burgunder schlagen und Sigismund mit seiner Frau und zwei Söhnen gefangen nehmen konnten.

 

Nachfolger wurde daraufhin dessen Bruder Godomar II. Gemeinsam mit den Ostgoten konnte er 524 bei Vézeronce die Franken besiegen. Dieser Gegenangriff machte den fränkischen König Chlodomer so nervös, dass er vorsichtshalber Sigismund und seine Familie kopfüber in einen Brunnen stürzen ließ. Das bekam diesen nicht wirklich gut, machte Sigismund aber immerhin zum Märtyrer der katholischen Kirche. Solltest Du an Sumpffieber oder Bruchleiden laborieren, mag er helfen. Im Erzbistum München-Freising wird immer am 2. Mai an ihn gedacht. Kaum jemand wird die ganze Geschichte kennen. Als Kindsmörder wird man sonst ja doch eher weniger verehrt.

 

Godomar konnte seinen überraschenden Erfolg über die Franken nicht lange genießen. 532 hatten diese bei Autun wieder dank Childebert I. und Chlothar I. die Oberhand. Im Jahr 534 hörte Burgund dann ganz auf, ein selbständiges Reich zu sein. Es wurde neben Austrasien (im Nordosten mit der Hauptstadt Reims, später Metz) und Neustrien (im Nordwesten, Hauptstadt Soissons) zum dritten fränkischen Teilreich mit der Hauptstadt Châlon-sur-Saône. Unter dieser fränkischen Oberherrschaft können wir die Burgunder nun für eine gute Weile alleine lassen. Wir werden ihnen auf jeden Fall wieder begegnen.

 

Die Thüringer

Mit Thüringen verbinden wir heute sehr konkrete Vorstellungen. Auf Klöße und Würste wollen wir hier nicht näher eingehen. Die geographische Lage des Bundeslandes kennen wir und haben damit den ersten Anhaltspunkt, wo wir diejenigen Thüringer verorten könnten, die vor 1500 Jahren gelebt haben. Leider war damals die Kunst der Anfertigung von Landkarten noch nicht ganz so weit und auch die Erzählungen der Berichterstatter lassen das ein oder andere Mal die gebotene Neutralität vermissen. Wir kennen das und werden deshalb auch jetzt nicht verzweifeln. So ganz daneben liegen wir ja nicht, wenn wir auf das heutige Thüringen schauen. Wie weit sich zu welchem Zeitpunkt thüringischer Einfluss ausdehnte, ist allerdings kaum zu beantworten. Chlodio (um 430), als Vater des namensgebenden Merowech ein Vorfahr der merowingischen Dynastie, soll in der Festung Dispargum im Gebiet der Thüringer gelebt haben. Ob mit Dispargum Duisburg oder Duysbourg in Belgien gemeint sein könnte und ob diese Gegenden irgendwann mal von den Thüringern beherrscht wurden? Wir wissen es nicht. So weit westlich würden wir diesen Stamm eigentlich nicht vermuten, können es aber auch nicht ausschließen.

 

Hinsichtlich der Ethnogenese der Thüringer gibt es unterschiedliche Theorien. Wir wissen nicht, ob es eine Gruppe von Terwingen war, die nach der Vertreibung durch die Hunnen sich Ende des 4. Jahrhunderts in Mitteldeutschland angesiedelt hat, wie einige glauben. Dagegen spricht, dass Ptolemäus bereits im 2. Jahrhundert die Teurier erwähnte, die nördlich des Erzgebirges gelebt haben sollen. Andere sehen die zu den Alanen gehörenden Tanaïten als Namensgeber. Die Erfolge der Thüringer in der Pferdezucht mag für eine Nähe zu den Reitervölkern im Osten sprechen. Es ist aber eine sehr weit gesponnene Indizienkette, auf die wir uns lieber nicht verlassen wollen. Man stochert, kurz gesagt, im Dunkeln.

 

Um 400 taucht der Begriff der Toringi auf. Ähnlich wie bei den anderen Völkern, die wir kennengelernt haben, war dies wohl eine Sammelbezeichnung für Stämme, u.a. die Heruler, die sich zusammengefunden hatten. Sie gerieten dann schnell unter hunnische Herrschaft und mussten Attila bei seinem Zug nach Westen unterstützen. Bei den Katalaunischen Feldern unterlagen sie zusammen mit ihm Aëtius und den Westgoten. Immerhin konnten sie sich dann nach Attilas Tod 454 und der Schlacht am Nedao in Pannonien von der Fremdherrschaft befreien. Dort hatte ja der Gepide Ardarich die Hunnen unter Attilas Söhnen Ellac und Dengizich vernichtend geschlagen.

 

Zu Beginn des 6. Jahrhunderts war das Thüringerreich mit das mächtigste der Germanenreiche außerhalb der – ehemaligen – römischen Reichsgrenze. Aufgrund der regionalen Nähe bestanden Konflikte insbesondere mit den Alemannen. Hier konnten die Thüringer sich noch weitgehend durchsetzen, am Ende waren die Franken aber auch für sie zu stark. Wir haben schon kurz von dem Abkommen gehört, dass der Ostgote Theoderich mit dem thüringischen König Herminafried geschlossen hatte. Um 510 wurde diese Verbindung durch die Ehe Herminafrieds mit Theoderichs Nichte Amalaberga (gest. nach 540) untermauert.

 

531 war es dann aber schon vorbei mit der Herrlichkeit. Die Franken siegten an der Unstrut, Herminafried wurde zu Verhandlungen nach Zülpich gelockt und dort umgebracht. Das Schicksal teilten die meisten Mitglieder seiner Familie. Auch für die Überlebenden war es nach der Niederlage eher schwierig. Von der erzwungenen Ehe Radegundes mit Chlothar I. haben wir schon gehört. Das Thüringerreich war nun integraler Teil des Herrschaftsgebiets der Franken. Das Bündnis mit den Ostgoten hatte nicht geholfen. Schauen wir also mal, was die so getrieben haben und warum sie der Ausbreitung der Franken nördlich der Alpen nicht entgegenstanden.