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(60) Rom - Die Anfangsjahre

Ursprünge

Wenn wir auf die Karte Italiens um 500 v. Chr. schauen, sehen wir von Rom noch relativ wenig, auch wenn die Stadt da schon 250 Jahre seit dem mythischen Gründungsdatum 753 v. Chr. existiert hat. Wir finden griechische Kolonien an der Küste Siziliens und Süditaliens, karthagische im Westen Siziliens, auf Sardinien und Korsika. Dann haben wir den Verbund der etruskischen Städte in Norditalien bis hinunter zum Tiber und unterschiedliche Stämme der Italiker, darunter die Umbrer, die Osker und Samniten, die Sabiner und die Latiner. Wie so häufig und wie in so vielen Weltgegenden vermutet man, dass diese Stämme aus dem Norden eingewandert sind, vielleicht um 1000 v. Chr., vielleicht auch früher. Erste Siedlungsspuren aus der Gegend stammen aus der Zeit um 1500 v. Chr. Auch wenn wir beispielsweise mit der Dorischen Wanderung eine ähnliche Erzählung aus Griechenland kennen, darf es natürlich nicht so klingen, als hätte es im Norden eine Vielzahl von Völkerschaften gegeben, die irgendwann beschlossen, in den menschenleeren Süden zu ziehen. Wie die genauen Wanderungsbewegungen in der Zeit waren, als es noch nicht üblich war, ausgedehnte Reiseberichte zu schreiben, wissen wir nicht. Es klingt zumindest plausibel, dass Menschen an allen Orten siedelten, die ein Leben ermöglicht haben. Bei Klimaveränderungen, die zu Kälteeinbrüchen und Dürren geführt haben, mag der Druck entstanden sein, in freundlichere Gegenden zu ziehen. Goethe hatte sein Mignon noch nicht geschrieben, der Wunsch, ins Land, wo die Zitronen blüh'n, zu ziehen, war auf jeden Fall deutlich älter. Dort wird es dann naturgemäß Auseinandersetzungen mit denen gegeben haben, die schon früher auf die Idee gekommen waren, sich in südlichen Gefilden niederzulassen - mit wahrscheinlich allen denkbaren Ergebnissen.

 

Wir wissen, dass in dieser Zeit im gesamten Mittelmeerraum viel Unruhe herrschte. Der Untergang des Hethiterreiches durch die Seevölker, auch deren Angriffe auf Ägypten sind uns noch gut in Erinnerung. Es ist also nicht ganz weit hergeholt, wenn wir annehmen, dass in diesen Wirren auch Menschen nach Italien gezogen sind, um sich dort niederzulassen und mit der dort ansässigen Bevölkerung, bzw. den Teilen, die nicht gerade unterwegs waren, um Großreiche zu vernichten, zu neuen Ethnien zu verbinden. So geht man beispielsweise davon aus, dass die Etrusker ihren Ursprung bei den ursprünglichen Einwohnern Norditaliens hatten, die sich mit phönizischen Einwanderern und aus dem Norden kommenden Gruppen vermischt haben. Genanalysen deuten auf eine Verwandtschaft mit den Ureinwohnern der iberischen Halbinsel, in die wahrscheinlich auch Stämme aus dem Norden eingewandert sind. Ein anderer Einfluss aus dem Osten wird gestützt durch Ähnlichkeiten der etruskischen Sprache mit Inschriften auf Lemnos und Parallelen zum Lydischen. Auch tragen die toskanischen Rinder kleinasiatisches Erbgut in sich. Sag‘ jetzt nicht, es sei uninteressant, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Mehr, als sich mit Genanalysen von Rindern zu beschäftigen, geht eigentlich nicht.

 

Etrusker

Viel können wir aber über die Etrusker nicht erzählen. Ein Vorläufer, die Villanova-Kultur, benannt nach einem Dorf zehn Kilometer östlich von Bologna, aus dem 10. Jahrhundert v. Chr., hat sich über ihre Friedhöfe in der heutigen Toskana erhalten. Auch von den Etruskern selbst, deren Kultur sich wohl aus der Villanova-Welt heraus entwickelt hat, wissen wir wenig und das wenige hat sich auch häufig über Grabbeigaben und -inschriften erhalten. Sie waren eines der ersten Völker, das in der Lage war, Eisen zu schmieden, was natürlich für die Menschen in den umliegenden Gegenden wie Griechenland oder Karthago hochgradig attraktiv war. Etrurien wurde reich und stark. Eigene Handels- und Kriegsflotten befuhren das Mittelmeer nach Marseille, Karthago oder Griechenland. Einen Eindruck über den Wohlstand der Etrusker geben die drei Tonnen Bronze, die man 1546 allein in dem Ort Tarquinii fand und mit denen man die römische Kirche San Giovanni in Laterano ausgestalten konnte.

 

Um 600 v. Chr. wurde ein Bündnis mit den Karthagern geschlossen. Gemeinsam konnte 540 v. Chr. die ionische Kolonie Massilia, das heutige Marseille, erobert werden. Dessen Gründungsstadt Phokaia in Ionien hatte mit den Persern zu tun und konnte nicht helfen. Viel mehr militärische Erfolge können wir aber nicht berichten. Vermutlich waren die Etrusker ähnlich den Phöniziern eher auf wirtschaftliche denn auf politische Macht aus. Hierfür spricht auch die innere Verfasstheit, die sich nicht in einer hierarchischen Ordnung herausgebildet hatte, sondern als eher loser Bund von zwölf Städten. Diese handelten dann aber eher gemeinsam und nicht gegeneinander. Vielleicht hätten die griechischen Städte mal für ein Praktikum vorbeischauen sollen, an Brüssel wollen wir gar nicht denken. Dabei herrschte auch in Etrurien das Prinzip der Eigenverantwortung. Alle Städtegründungen waren keine Aktionen des Staates, sondern waren Initiativen einzelner Adeliger und ihrer Familien. Es gibt die Theorie, dass auch Ruma, das spätere Rom, in diese Reihe gehört. Die zweite Gründungstheorie sieht eher einzelne von Sabinern und Latinern bewohnte Dörfer (zunächst auf dem Esquilin und dem Palatin), die mit der Zeit zu einer Stadt zusammenwuchsen, die dann irgendwann um 600 v. Chr. von den Etruskern übernommen wurde.

 

Die Expansion der Etrusker hatte aufgrund ihrer Methode natürlich enge Grenzen. Einzelne Familien konnten sich an einzelnen Orten niederlassen, eine gesamthafte Strategie, andere Völker zu erobern, stand nicht hinter dieser Vorgehensweise. So ist es nicht verwunderlich, dass die griechischen Küstenstädte im Süden des Stiefels und auch das dort im Landesinneren lebende Volk der Osker dem Expansionsstreben der Etrusker ein frühes Ende bereiteten. In der Seeschlacht von Kyme erlitten sie im Jahr 474 v. Chr. eine schwere Niederlage gegen eine griechische Flotte aus Syrakus, was ihre Seeherrschaft nachhaltig schwächte. Auch an Land ging ihr Einfluss mit der Zeit zurück. 396 v. Chr. eroberten und zerstörten die Römer das 18 Kilometer entfernte Veji, einer der wichtigsten etruskischen Städte. Vorher waren schon Ortschaften in Kampanien den Samniten zum Opfer gefallen. Die im Norden gelegenen Städte wollten es nicht darauf ankommen lassen und schlossen Bündnisverträge mit Rom. Unter Roms Führung kämpfte man lange gemeinsam gegen die Samniten (343 bis 290 v. Chr.). So war das Ende der Etrusker kein jähes, man assimilierte sich. Im Jahr 90 v. Chr. bekamen alle Etrusker römisches Bürgerrecht.

 

Bürgerrecht

Dieses römische Bürgerrecht besaßen zunächst qua Geburt lediglich die männlichen Einwohner der Stadt Rom. Damit waren aktives und passives Wahlrecht, das Recht, Verträge zu schließen, Freizügigkeit bei der Wahl des Wohnsitzes im gesamten Römischen Reich, Steuerfreiheit für lokale Steuern, eine gewisse Immunität, das Recht, vor Gericht zu klagen und der Schutz vor Folter und Todesstrafe verbunden. Wir werden noch sehen, dass insbesondere die letztgenannten Rechte in der Praxis dann doch nur eine bedingte Gültigkeit hatten. Gleichwohl war es natürlich ein erstrebenswerter Status, römischer Bürger zu sein. Die Zahl wuchs ständig, in Teilen wurde es besiegten Städten zu gewissen Teilen – beispielsweise ohne das Wahlrecht – zugestanden. Auch freigelassene Sklaven erhielten ein eingeschränktes Bürgerrecht, ihre Nachkommen dann schon das volle. Auch Frauen hatten immer nur eingeschränkte Rechte, insbesondere auch bei der politischen Teilhabe. 212 n. Chr. verlieh dann Caracalla (188 bis 217, reg. 198 bis 217) nahezu allen Einwohnern des gesamten Römischen Reiches das Bürgerrecht.

 

Der Aufstieg Roms

Kümmern wir uns also um Rom. Dort sollen von 753 bis 509 v. Chr. sieben Könige geherrscht haben. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich um eine etruskische Gründung gehandelt hat, dann liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um etruskische Adelige gehandelt hat. Vielleicht haben sie auch einen Vertreter der einheimischen Latiner zum Bürgermeister gemacht. Wir sparen uns die Legenden um Remus und Romulus, Wölfinnen und trojanische Helden wie Aeneas, auch wenn diese rein Sex&Crime-mäßig einiges zu bieten haben, nicht zuletzt den berühmten Raub der Sabinerinnen, um den in Rom existierenden Männerüberschuss zu kompensieren. Auch die Ähnlichkeit der lateinischen Wörter lupa für Wolf und lupanare als umgangssprachlicher Begriff für Bordell lässt Raum für Phantasien. Wenn Du an die Geschichte mit Romulus, Remus und der Wölfin glauben willst: Es steht nirgendwo, dass es nicht so war.

 

Halbwegs sicher können wir ab dem fünften König von einer etruskischen Herrschaft ausgehen. Tarquinius Priscus (reg. angebl. 616 bis 578 v. Chr.) war Etrusker und übernahm um 600 v. Chr. die Herrschaft über die Siedlung.

Diese lag günstig an einer Tiberfurt, an der sich zwei Handelsstraßen, der Via Latina Richtung Südosten nach Capua und die Via Salaria als Salzstraße nach Nordosten in den Apennin, trafen. Der Tiber war schiffbar und bot Zugang zum Mittelmeer. Zudem boten die berühmten sieben Hügel Schutz vor den Sümpfen am Ufer mit ihren krankheitsbringenden Mücken, Fliegen und ähnlichen zugewandten Bewohnern. Auf dem Palatin, Namensgeber für unser Wort Palast, soll es die ersten Siedlungen gegeben haben, Kapitol und Aventin sind die beiden anderen Felsen direkt am Ufer, während Quirinal, Esquilin, Viminal und Caelius ein wenig weiter vom Ufer entfernt liegen. So war die Lage günstig, auch wenn sie unmittelbar wenig attraktiv schien. Ungesunde Sümpfe, kein fruchtbares Land, da gab es vermeintlich bessere Gegenden. Einige etruskische und latinische Siedlungen lagen in freundlicheren Gegenden im Umland. Das latinische Alba Longa finden wir südöstlich etwa 20 Kilometer entfernt am Westufer des Albaner Sees. Der dritte König Roms, Tullus Hostilius (angebl. 710 bis 640, reg. angebl. 672 bis 640 v. Chr.), soll es zerstört und seine Bewohner auf dem Caelius angesiedelt haben. Dem etruskischen Veji, das nordnordwestlich ebenfalls in der Nähe lag, erging es später nicht besser, wie wir schon wissen. Die Lage Roms am Tiber war eine Grenzlage zwischen den Etruskern und dem Latinischen Bund im Süden. Das kann gefährlich sein, Rom schaffte es, die Lage zu seinem Vorteil zu wenden. Der durch den Tiber mögliche gute Zugang zum Meer machte den Im- und Export von Waren viel einfacher.

 

Investitionen in die Infrastruktur

Den Sümpfen rückten die Römer mit Steinen und Geröll von den Hügeln bei. Ab 630 v. Chr. wurden sie zugeschüttet, so dass am Ende der Boden bis zu drei Metern über dem ursprünglichen Niveau lag. In diesem Zusammenhang entstand auch das Forum Romanum als Zentrum der Stadt. Durch Handel und erfolgreiche Kämpfe gegen die umliegenden Stämme wuchs Rom. Die Herrscher investierten in Infrastruktur, Stadtmauern und Tempel. So wurde man immer attraktiver und zog immer mehr Menschen an.

 

Die Verfassung war eine Mischung aus Monarchie, Oligarchie und Demokratie. Neben dem König, der vor allem für das Heer und die Kriegsführung verantwortlich war, gab es einen Adelsrat, aus dem sich der Senat entwickelte, und eine Volksversammlung. Diese tagte zweimal im Jahr, um über innere und äußere Angelegenheiten zu beraten und abzustimmen. Wir müssen bei diesen Begriffen aber sehr vorsichtig sein und sie immer in Relation zur realen Größe des frühen Roms betrachten, das zur Zeit der letzten Könige vielleicht 20.000 bis 30.000 Einwohner hatte. Das ist etwa die Größe von Husum, Neukirchen-Vluyn oder Syke, die - bei allem notwendigen Respekt - jetzt weniger für ihr Heer und ihren Adelsrat bekannt sind.

 

Einige der Grundstrukturen der römischen Gesellschaft, die über die nächsten Jahrhunderte Bestand hatten, sollen ihren Ursprung in der Königszeit gehabt habe. Numa Pompilius (angebl. 753 bis 672 v. Chr., reg. 715 bis 672 v. Chr.), zweiter König nach dem legendären Stadtgründer Romulus (reg. angebl. 753 bis 716 v. Chr.), hat demnach die Grundregeln der römischen Religion und ihrer Institutionen festgelegt. Der Begriff des Pontifex, den heute noch der Papst trägt, stammt beispielsweise aus dieser Zeit. Auch ein Kalender, der die Festtage ordnete, soll das Verdienst des Numa Pompilius sein. Servius Tullius (reg. angel. 578 bis 535 v. Chr.), der sechste in der Reihe, schuf den Zensus, ein Verfahren zur Zählung und Einstufung der römischen Bürger, und damit die Grundlage für die nach Reichtum gestaffelte, hierarchische Machtstruktur der römischen Gesellschaft.

 

Wie genau der Wechsel von dieser Staatsform in eine rein republikanische erfolgte, wissen wir nicht genau. Ob der letzte König, Tarquinius Superbus (gest. um 495 v. Chr., reg. angebl. 534 bis 509 v. Chr.), wirklich im Jahr 509 v. Chr. gestürzt wurde oder ob die Monarchie in Kriegswirren unterging, in denen der König floh und von den Römern nicht wieder in die Stadt gelassen wurde – den Beinamen Superbus hatte er seiner Arroganz und seinem Hochmut zu verdanken – es lässt sich nicht genau sagen. Irgendwann zwischen Ende des 6. und Mitte des 5. Jahrhunderts muss es auf jeden Fall passiert sein.

 

Das nächste Mal haben wir dann schon eine Republik.