Dass die Rivalität zwischen Sparta und Athen irgendwann zu einem offenen Konflikt führen musste, war vielen Beteiligten seit langem klar. Wir erinnern uns an Themistokles, der bereits früh begonnen hatte, Athen mit Mauern gegen Angriffe zu sichern. Nachdem die Perser ausgeschaltet waren, blieb allein Sparta als ernstzunehmender Konkurrent der im Attischen Seebund etablierten athenischen Vormachtstellung übrig.
Bündnisse
In den Jahren nach den Siegen über die Perser waren beide jedoch erst einmal mit sich selbst beschäftigt. In Athen trieben Ephialtes und Perikles die Demokratisierung voran. Sparta war mit den Folgen des großen Erdbebens und dem folgenden Aufstand der Messenier beschäftigt. Mit der Zeit konnten sie sich jedoch beide wieder mehr um ihre innergriechische Bündnispolitik kümmern. Sparta verband sich mit Theben, der größten Stadt Mittelgriechenlands, die sich seinerzeit auf die Seite der Perser geschlagen hatte. Athen befürchtete eine Einkreisung und suchte Verbündete auf dem Peloponnes, um so seinerseits für Sparta eine ständige Bedrohung zu schaffen. Argos im Nordosten der Halbinsel konnte als alter Rivale Spartas schnell als Bündnispartner gewonnen werden.
Auch Megara, nördlich von Korinth in Richtung Athen gelegen, also ein strategisch wichtiges Mitglied in Spartas Peloponnesischen Bund, wechselte die Seiten - in hohem Maß aus Eigennutz, da es sich in einem Grenzkonflikt mit seinem Nachbarn Korinth befand. Wir werden gleich sehen, dass diese Rechnung nicht ganz aufging.
Athen an vielen Fronten
Nun ging es ein wenig hin und her, manche fassen dies unter dem Begriff des Ersten Peloponnesischen Krieges zusammen. Wir wollen das nicht im Einzelnen aufdröseln. Athen übernahm sich ein wenig, kämpfte gegen Korinth und Ägina, die Insel, die schon so lange Kopfzerbrechen bereitete. Darüber hinaus schickte man auch noch ein Expeditionskorps nach Ägypten, um eine der dortigen Erhebungen gegen die Perserherrschaft zu unterstützen. Es war alles ein bisschen viel. Sowohl in Ägypten als auch in der Heimat gab es Rückschläge. 457 v. Chr. unterlag man den Spartanern in Böotien bei Tanagra recht deutlich und auch die Perser konnten den Aufstand in Ägypten 454 v. Chr. letztlich niederschlagen.
Aber die Athener wären keine Athener, wenn sie so einfach aufgeben würden. Durch die Langen Mauern wusste man sich in einer relativ sicheren Position und konnte zum Gegenschlag ausholen. Man unterwarf die Böotier, eroberte das lästige Ägina und rang den Spartanern zumindest den freien Abzug der Messenier ab, die sich in eine Bergfestung zurückgezogen hatten und nun in Naupaktos am nördlichen Ufer des Golfs von Korinth angesiedelt wurden.
Noch einmal gegen Persien
Ein wenig Sorge hatte man noch, wie der Perser auf die Unterstützung des ägyptischen Aufstands reagieren würden.
Kimon war 451 v. Chr. aus seiner Verbannung zurückgekehrt. Seine bekannte Sparta-Freundlichkeit wurde auch gleich ausgenutzt, um einen fünfjährigen Waffenstillstand mit dem Rivalen zu vereinbaren. So hatte man den Rücken frei und konnte sich für einen möglichen Angriff der Perser zur See wappnen. Dieser war nicht unwahrscheinlich. Zum einen hatten diese ja noch ein bis drei Rechnungen offen, vor allem war aber durch die Verluste aufgrund des ägyptischen Abenteuers die eigene Kampfkraft geschwächt. Die Perser hatten allerdings aus der Geschichte gelernt und verzichteten trotz ihres Brückenkopfs auf Zypern auf einen neuerlichen Angriff. Die Athener nahmen das als Einladung und schickten Kimon mit einer Flotte zur Klärung der Sachlage. Kimon kam bei diesem Kriegszug ums Leben, die Athener siegten jedoch neuerlich gegen die Großmacht aus dem Osten, was dann zu dem bereits beschriebenen Kalliasfrieden führte.
Krieg(e) und Frieden
Bald waren die fünf Jahre Waffenstillstand, die Kimon mit Sparta ausgehandelt hatte, um und es ging fröhlich zwischen den griechischen Städten weiter. In Böotien erhob man sich gegen die Vorherrschaft Athens, auch Megara und Euböa sagten sich los. 447/6 v. Chr. verlor Athen gegen die Böotier und damit das Sagen in Mittelgriechenland. Sparta sah eine Chance und schickte Truppen nach Attika. Perikles war nicht nur auf der Agora ein begnadeter Redner, er schaffte es auch, den spartanischen König Pleistoanax (um 470 bis 409 v. Chr., reg. 458 bis 445 und 426 bis 409 v. Chr.) zu überzeugen, dass es für beide Seiten besser wäre, wenn Sparta sich zurückzöge. Dies gab Athen die Möglichkeit, zumindest Euböa zurückzuerobern, und war den Spartanern Anlass genug, Herrn Pleistoanax mit dem Vorwurf, er habe sich von Perikles bestechen lassen, abzusetzen. Er ging für 19 Jahre ins Exil nach Arkadien, Nachfolger wurde sein Sohn Pausanias (reg. 445 bis 426 und 409 bis 395 v. Chr.). So richtig hatte Sparta aber auch keine Lust auf Krieg, wahrscheinlich war zu Hause doch noch ein wenig aufzuräumen. Man schloss 446/45 v. Chr. Frieden mit Athen und nahm sich vor, diesen 30 Jahre lang zu halten.
Es wird Dich nicht überraschen, dass diese Zeitspanne zu optimistisch gewählt war. Wenn Gegensätze sich anziehen, werden manchmal auch zerstörerische Energien frei. Die auf Beharren ausgerichtete konservative Landmacht Sparta stand als Königtum der sich zunehmend demokratisierenden, offenen Gesellschaft der Seemacht Athen gegenüber. Wir haben hie und da schon anklingen lassen, dass die Athener auch durchaus konsequent, hart, ja brutal vorgingen, wenn es um die Sicherung ihrer Interessen ging. Dennoch waren sie deutlich mehr auf Veränderung und Entwicklung ausgerichtet, also wenn Du so willst »moderner« als die Spartaner. Diese meinten, sich gegen die expansive Politik der Athener wehren zu müssen, um am langen Ende nicht tributpflichtiges Mitglied im Attischen Seebund zu werden. Wahrscheinlich lagen sie damit nicht so falsch, zumal es sicherlich nicht in der Art der Athener lag, sich woanders nicht einzumischen.
Verträge sind das eine, das reale Handeln das andere. Perikles war weiterhin der starke Mann in Athen. Er ließ nach Friedensschluss die Langen Mauern durch eine dritte verstärken. Sparta beobachtete dies eher misstrauisch. Gleichwohl hielt der Frieden immerhin 15 Jahre. Dann ging es los. Der Peloponnesische Krieg, über den wir dank des Geschichtsschreibers Thukydides viel wissen, begann 431 v. Chr. Wir nehmen uns dafür ein wenig Zeit.
Konflikte um Kerkyra
Wenn alles darauf wartet, dann genügen Kleinigkeiten, um eine Sache in Gang zu bringen. Diesmal war es eine Auseinandersetzung in Epidamnos, dem heutigen Durrës in Albanien. Wie so oft spielte sich der Konflikt Athen-Sparta hier im Kleinen ab. Volk und Bürger kämpften gegen die Aristokraten und vertrieben sie letztlich. Diese zogen sich auf das nahe Kerkyra (Korfu) zurück und baten dort um Hilfe. Das im Bürgerkrieg siegreiche Volk wandte sich entsprechend an Korinth, die andere Mutterstadt von Epidamnos. Die erste Seeschlacht gewann Kerkyra, was Korinth zu verstärkten Anstrengungen veranlasste. Kerkyra sah dies, wusste, dass es Hilfe brauchte, und erbat diese … in Athen. Ein wenig verkehrte Welt, aber wir sehen mal wieder, dass Machtpolitik dann doch über allem anderen steht. Nach Kerkyra waren ja die Aristokraten geflohen, die eigentlich vom demokratischen Athen keine Unterstützung erwarten durften. Aber darum ging es auch gar nicht. Kerkyra lag strategisch an exponierter Stelle, sowohl mit dem Blick auf eine Einkreisung des Peloponnes von der Seeseite her als auch als Stützpunkt für Handelsfahrten nach Westen. Da musste eine Seemacht wie Athen eingreifen, egal, wer da konkret gerade in welcher Rolle 'rumturnte.
Ganz einfach war die Geschichte aber nicht, da Korinth Mitglied im von Sparta beherrschten peloponnesischen Bund war und viele Athener nicht ohne Not an dem Friedensvertrag rütteln wollten. So einigte man sich schließlich, gebenedeit sei der politische Kompromiss, auf ein Defensivbündnis, schickte erst zehn, dann zwanzig Schiffe nach Kerkyra und wartete ab. Und das in einem sehr engen Wortsinn. Die Schiffe aus Athen griffen nicht ein, als die Korinther nun im zweiten Anlauf die kerkyraische Flotte besiegten. Im Anschluss wurden die Korinther allerdings dazu gezwungen, abzudrehen und nach Hause zu fahren, so dass sie den Sieg nicht ausnutzen konnten. Korinth beschwerte sich darauf bei Sparta.
Konflikte um Poteidaia
Dies war nicht die einzige Beschwerde Korinths. Im zweiten Fall ging es um Poteidaia, auf der Chalkidike gelegen, also weit weg von Korinth, Athen und Sparta. Poteidaia war ebenso wie Kerkyra und Epidamnos eine korinthische Gründung und der Mutterstadt weiterhin eng verbunden. Diese schickte jedes Jahr einen hohen Beamten zur Unterstützung. Auf der anderen Seite war Poteidaia ein zahlungskräftiges Mitglied im Attischen Seebund. Athen sah die Verbindung seines Verbündeten nach Korinth auch vor dem Hintergrund der Kerkyra-Affäre zunehmend kritisch und verlangte den Abbruch der Beziehungen und Ausweisung der korinthischen Beamten. Es wäre schön, wenn zusätzlich Geiseln gestellt würden und die südlichen, seeseitigen Verteidigungsmauern könnten gerne auch abgerissen werden. Athen wollte den Präzedenzfall eines Austritts aus dem Seebund verhindern und deutlich machen, dass mit ihm an dieser Stelle nicht zu spaßen sei. Wir haben am Beispiel von Naxos vierzig Jahre zuvor bereits gesehen, dass man in diesem Punkt absolut kompromisslos agierte. Dies wurde für den Erhalt der eigenen Vorrangstellung in der Ägäis als absolut zwingend empfunden. Es gab ja auch andere unsichere Kantonisten, denen kein Beispiel gegeben werden sollte. Auch das stets schwierige Ägina oder Mytilene aus Lesbos waren auf der Suche nach einem Weg aus der Abhängigkeit von Athen. Alternativen gab es allerdings nicht wirklich viele, eigentlich nur eine und die hieß Sparta.
So schickte Athen Soldaten nach Poteidaia. Korinth tat ein Ebensolches. Sparta hielt sich im Hintergrund, raunte aber vom berechtigten Kampf für die Freiheit und stellte Hilfe zumindest in Aussicht. Sparta als Vorkämpfer für freie Gesellschaften, man muss sich wundern.
Megara in Not
Nicht nur aus Korinth kamen Bittgesuche nach Sparta. Megara haben wir als Rivalin von Korinth schon kennen gelernt. Wir wissen auch, dass durch den Zwist zwischen Korinth und Athen die Megarer sich den Athenern verbunden fühlten. Letztere taten aber einiges, um diese Verbundenheit zu zerstören. Im Ersten Peloponnesischen Krieg hatte Megara bereits gegen Athen gekämpft und die Athener verhängten nun 434 v. Chr. ein Wirtschaftsembargo gegen die Nachbarstadt. Der Handelshafen wurde blockiert, in Athen wurde beantragt, jeden Megarer, der attischen Boden berühre, hinzurichten. In Sparta wurden die Bittgesuche aus Megara dringlicher, Rivalität zu Korinth hin oder her.
Bald ist High Noon
Wenn man denn Führungsmacht sein wollte, musste man seinen Bundesgenossen helfen können und die eigene Machtposition verteidigen. Das galt für Athen wie für Sparta. Zudem waren zumindest Athens Kassen durch die Beiträge der Verbündeten des Seebundes und die Erträge der Silberminen mittlerweile wieder voll, so dass es Perikles, der seit langem die Konfrontation als unausweichlich ansah, ein guter Zeitpunkt für den Show-down schien. Auch große Männer können irren.
Die Karten waren verteilt, es konnte losgehen. Sparta mit dem Peloponnesischen Bund im Rücken stand Athen mit seinem Attischen Seebund gegenüber. Weitere Bundesgenossen kamen auf beiden Seiten dazu, so Kerkyra und Zakynthos als strategisch wichtige Inseln im Westen des Peloponnes auf Athener Seite, und auf Seiten Spartas beispielsweise Makedonien im Norden sowie Böotien und Phokis im Nordwesten Athens auf dem Festland. Neutral blieben Achäa im Norden des Peloponnes, Epiros ganz im Nordwesten sowie Ätolien, zwischen Epiros und Böotien in Mittelgriechenland gelegen.
Den gesamten Krieg hat Thukydides wie gesagt ausführlich beschrieben. Sein Bericht hat den unschätzbaren Vorteil, dass er selbst nicht nur zu dieser Zeit gelebt hat, sondern auch als einer der Strategen Athens unmittelbar beteiligt war. Das unterscheidet sein Werk sehr von anderen, die im Zweifel im Abstand von mehreren Jahrhunderten aufgeschrieben haben, was sich wohl zugetragen haben mag. Aber wir lesen ja heute auch Bücher über den Dreißigjährigen Krieg, die 400 Jahre nach dessen Ausbruch entstanden sind. Ich weiß, der Vergleich hinkt, aber wir wollen Plutarch (um 46 bis 119 n. Chr.) und die anderen, auf die wir unser Wissen aufbauen, ja nicht im Regen stehen lassen.
Es ist schlechterdings nicht möglich, die Geschichte dieser Auseinandersetzung hier in voller Länge, Breite und Schönheit darzulegen. Wir konzentrieren uns auf die wesentlichen Entwicklungen, nehmen uns aber auch ein wenig Zeit, weil wir an diesem Beispiel Glanz und Elend der griechischen Geschichte wunderbar vorgeführt bekommen. Thukydides sei Dank.