· 

(36) Israel

Semiten und Indogermanen

Spätestens an dieser Stelle müssen wir uns mit einem Thema auseinandersetzen, das wir bisher nicht betrachtet haben. Wenn Du in Büchern gerade zur Geschichte Kleinasiens liest, findest Du häufig Angaben, dass ein bestimmter Volksstamm indogermanischen oder semitischen Ursprungs ist. In älteren Büchern finden sich dann schreckliche Passagen über »seit Jahrhunderten faulende Völker und Staaten der Semiten« oder die Beschreibung der Semiten als »Rassenfremde«, die »Entnordung« und »Subversion« nach sich ziehen. Klingelt etwas? Weil das so fürchterlich und auch so irrelevant für die Geschichte ist, die wir hier erzählen, haben wir diese Frage, welche Herkunft welcher Volksstamm hat, bisher weitestgehend ignoriert. An dieser Stelle geht das nicht mehr. Wir werden auch in Zukunft auf Situationen stoßen, in denen der Antisemitismus zu einer treibenden Kraft wurde. Also wollen wir jetzt kurz auf die Fakten schauen und dann immer wieder bedenken, dass Menschen immer nur Menschen sind, und nicht Angehörige von irgendetwas. So haben wir die ägyptischen Pharaonen als solche beschrieben und nicht als Libyer, Nubier oder Ägypter. Aus unserem Betrachtungswinkel waren sie die Herrscher des ägyptischen Reiches und nur in dieser Rolle haben wir sie gesehen.

 

Wenn wir uns die Fakten anschauen, dann sind Indogermanen die Menschen, die eine indogermanische Sprache sprechen, die sich aus einem wissenschaftlich rekonstruierten »Proto-indoeuropäisch« abgeleitet haben, dass vor 5.000 bis 6.000 Jahren ursprünglich vielleicht in den Steppengebieten nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres gesprochen worden sein soll. Aufgrund der Wanderungen der Nomaden verbreitete sich die Sprache. Indogermanen sind insofern keineswegs Angehörige einer einheitlichen Kultur oder Ethnie. Ähnliches lässt sich zu den Semiten sagen, nach der Bibel Abkömmlinge von Noahs Sohn Sem. Auch hier prägt die Sprache und nicht die Ethnie den Begriff. Wer arabisch, hebräisch, aramäisch, akkadisch, babylonisch, assyrisch oder maltesisch spricht, ist Semit, slawische, keltische, griechische, iranische oder germanische Sprachen machen einen zum Indogermanen. Das mag jetzt dramatisch verkürzt sein. Wichtig ist aber schon, dass es aufgrund der Vielzahl der Wanderungsbewegungen einzelner Völker und der damit einhergehenden Vermischungen schwerlich eindeutige ethnische Abgrenzungen zwischen Semiten und Indogermanen geben kann. Wenden wir uns also wieder unserem Thema zu und achten nicht auf diese Unterscheidungen.

 

Von Abraham über Joseph zu Moses

Dass die neolithische Revolution mit der Entwicklung vom nomadisierenden Jäger zum sesshaften Bauern wesentlich auch in Palästina stattfand, haben wir bereits gesehen. Jericho ist uns als vermeintlich älteste Stadt ja schon begegnet. Die eigentliche Geschichte des alten Israels wäre mangels belastbarer Quellen schnell erzählt. Wir orientieren uns hier ein wenig an der Geschichte, wie wir sie in der Bibel finden.

Abraham, ursprünglich Abram, war Amurriter und soll aus Ur in Mesopotamien stammen. Um 2100 v. Chr. bricht er auf Geheiß von Jahwe, des Gottes der Israeliten, auf nach Kanaan, wo ihm zahlreiche Nachkommenschaft versprochen wurde. Sein Enkel Jakob macht dies mit zwölf Söhnen wahr, die zu den Stammvätern der zwölf Stämme Israels werden. Jakob erhält auch den Ehrennamen Israel, was »Kämpfer mit Gott« bedeutet, da er in einen unentschieden ausgehenden Ringkampf mit einem Boten Jahwes gerät. Der Lieblingssohn Jakobs, Joseph wird aus Neid von seinen Brüdern an Händler verkauft, die ihn nach Ägypten verschleppen. Joseph macht dort Karriere und wird Wesir. Aufgrund einer Hungersnot muss Jakobs Familie nach Ägypten ziehen, wo Joseph vorausschauend durch das Anlegen großer Getreidelager vorgesorgt hatte. Joseph gibt sich seinen Brüdern und seinem Vater zu erkennen und die Familie versöhnt sich. Man bleibt vorerst in Ägypten, Jakob stirbt und bestimmt seinen vierten Sohn Juda zum Oberhaupt des israelitischen Volkes.

Um 1200 v. Chr., also zur Zeit des Seevölkersturms, soll der berühmte Auszug der Israeliten aus Ägypten stattgefunden haben. Wenn man für Wanderungen nach Ägypten durchaus Belege findet, erinnere Dich an die Hyksos, gibt es für eine massive Rückwanderung und insbesondere Landnahme in Kanaan keine Hinweise. Gleichwohl mag es einer kleineren Gruppe durchaus gelungen sein, diesen Weg zu gehen und insbesondere daraus eine spannende Geschichte zu machen. So mag es auch einen historischen Moses gegeben haben und auch seinen Aufstieg auf den Berg Sinai und den Empfang der zehn Gebote. Unten warteten dann eben nicht ganz so viele Menschen. Moses führte die Israeliten in das gelobte Land Kanaan zurück, das sie zu Zeiten Jakobs verlassen hatten müssen. Zwischen 1250 v. Chr. und 1100 v. Chr. erfolgte die sukzessive Eroberung der Stadtstaaten auf dem Gebiet, auf dem wir auch heute wieder Israel auf der Landkarte finden. Hierin hat der mit Eretz Jisral bezeichnete Anspruch Israels auf sein Staatsterritorium gegen alle Ansprüche der Palästinenser seinen Ursprung.

 

Erste Reichsbildungen

Bis etwa zum Jahr 1000 v. Chr. lebten die zwölf Stämme eher in losem Zusammenhalt, Streitigkeiten wurden durch Einzelpersonen, den sogenannten Richtern, geschlichtet. Unter diesen fand man sich auch zur Abwehr äußerer Bedrohungen zusammen. Äußerer Druck, insbesondere durch die Philister, führte in Folge zu einem engeren Zusammenschluss unter dem ersten gemeinsamen König Saul (um 1050 v. Chr.). Seine Nachfolger David (um 1000 v. Chr.) und Salomo (reg. um 970 bis 931 v. Chr.) schufen ein zusammenhängendes Herrschaftsgebiet mit Jerusalem als Hauptstadt. Salomon wird der Bau des ersten Tempels zugeschrieben, wirkliche Belege gibt es allerdings nicht, alle drei sind uns lediglich aus der Bibel bekannt. Historisch wahrscheinlicher sind zwei Reiche, Juda im Süden westlich des Sees Genezareth einschließlich Jerusalem und Israel im Norden bis hoch zu den Aramäern und den phönizischen Stadtstaaten. Diese beiden Reiche tauchen in der Bibel erst in nach-salomonischer Zeit auf.

 

Babylonische Gefangenschaft

Aus dem Schicksal von Juda und Israel können wir nun lernen, dass Erfolg auch gefährlich sein kann. Das Nordreich, Israel, florierte und profitierte von der Schwäche Ägyptens und der Staaten in Kleinasien und Mesopotamien. Als Assyrien stärker wurde und auf Eroberungszug ging, war Israel ein lockender Brocken, den man sich 722/21 v. Chr. gerne als Vasallenstaat einverleibte. Teile der Bevölkerung wurden deportiert und durch Menschen aus anderen Provinzen des assyrischen Großreichs ersetzt. Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem war dagegen zu klein und unbedeutend. Man ließ es in Ruhe.

Der erwähnte Lernprozess war keiner, auf den sich die Herrscher von Juda einlassen wollten. Sie bemühten sich, ihren Einflussbereich zu vergrößern und das vermeintliche Machtvakuum im Norden auszunutzen. Dies war verbunden mit einer Kulturrevolution, die auf eine zentrale Rolle der Priesterschaft des Jerusalemer Tempels zielte. Treiber hierfür war König Josia (um 647 bis 609, reg. etwa 640 bis 609 v. Chr.), der damit auch den Monotheismus für den Gott Jahwe förderte. Der babylonische König Nebukadnezar II. setzte diesen Unabhängigkeits- und Vorherrschaftsbestrebungen 597 und spätestens 587/6 v. Chr. durch die zweimalige Eroberung Jerusalems ein Ende. Ein Teil der jüdischen Oberschicht wurde nach Babylon in die berühmte Babylonische Gefangenschaft verschleppt. Gerade dieses Exil sorgte für die Verfestigung und Verstärkung der Glaubensrichtlinien der jüdischen Theologie. Mit der Eroberung Babylons durch den persischen Großkönig Kyros II. 539 v. Chr. keimte Hoffnung auf, die der Großkönig als Verfechter einer toleranten Religionspolitik 538 v. Chr. auch einlöste. Unter seinem Nachfolger Dareios I. (etwa 550 bis 486 v. Chr., reg. 522 bis 486 v. Chr.) wurde zwischen 520 und 515 v. Chr. auch der zerstörte Tempel in Jerusalem neu errichtet. Nicht alle Juden kehrten zurück. Kurz nach 200 v. Chr. konnte der Seleukide Antiochos III. (etwa 241 bis 187 v. Chr., reg. 223 bis 187 v. Chr.) noch 2.000 jüdische Familien aus Babylon und Mesopotamien nach Kleinasien umsiedeln, um sie dort als stabilisierenden Faktor zu etablieren.

 

Von Alexander zu den Römern

Auf die Detailgeschichte der folgenden Jahrhunderte verzichten wir. Alexander war ja überall und zog also auch durch Palästina. Nach seinem Tod herrschten erst die Ptolemäer, die ihren Herrschaftsschwerpunkt in Ägypten hatten. 198 v. Chr. eroberte Antiochos III. Palästina für das seleukidische Reich. Unter beiden Regimes herrschte weitgehende kulturelle Autonomie. Zwei Richtungen konkurrierten, deren Unterschied in der Adaption der hellenistischen Lebensweise lag. Die Oberschicht freundete sich zunehmend damit an, sogar bis zu dem Punkt, dass der Jerusalemer Tempel dem Zeus geweiht wurde. Demgegenüber hielt insbesondere die Landbevölkerung an der monotheistischen Religion fest. Dies führte zum Makkabäer-Aufstand unter Judas Makkabäus (gest. 160 v. Chr.), der es 164 v. Chr. schaffte, die seleukidische Armee aus Judäa zu vertreiben. Durch eine geschickte Pendeldiplomatie vor allem auch mit Rom gelang es, die Unabhängigkeit des Staates bis 63 v. Chr. zu erhalten. Dann eroberte Pompeius (106 bis 48 v. Chr.), nachdem er Kleinasien und die Seleukiden unterworfen hatte, auch Palästina. Der Machtkampf, der in Folge in Rom die politische Szene beherrschte, und auf den wir später tiefer eingehen werden, führte erst Julius Caesar, dann Marcus Antonius (83 bis 30 v. Chr.) und schließlich Octavian als Kaiser Augustus an die Spitze. Die jüdischen Parteien versuchten hierbei, auf das richtige Pferd zu setzen. Sehr gut gelang dies Herodes (73 bis 4 v. Chr., reg. 37 bis 4. v. Chr), der sich frühzeitig auf die Seite Octavians schlug, auch wenn er lange von der Gunst dessen Rivalen Marcus Antonius profitiert hatte. Er wurde als König eingesetzt und sein Herrschaftsgebiet wurde erweitert. 20 v. Chr. begann er, den 515 v. Chr. wieder aufgebauten sogenannten zweiten Tempel umzugestalten und zu erweitern.

 

Die römische Vorherrschaft schmeckte naturgemäß nicht jedem. 66 n. Chr. kam es zu einem Aufstand, der sich zum Jüdischen Krieg (66 bis 74 n. Chr.) ausweitete. Bei der Niederschlagung wurde 70 n. Chr. auch der zweite Tempel zerstört. Ein weiterer Aufstand unter Führung von Simon bar Kochba (gest. 135 n. Chr.) wurde in den Jahren 132 bis 136 n. Chr. von Hadrian niedergeschlagen. Diesmal gingen die Römer sehr rigoros vor. Aus der relativ milden Reaktion nach dem ersten Aufstand hatten sie gelernt, dass dies nicht vor weiteren Erhebungen schützt. Am Ende des Bar-Kochba-Aufstands waren die meisten Menschen in Judäa tot oder versklavt. Dies war – nach der Babylonischen Gefangenschaft – der eigentliche Beginn der jüdischen Diaspora. Der Glaube an eine Rückkehr in das Gelobte Land unter Führung des Messias hielt die Menschen jüdischen Glaubens über Jahrhunderte unter schwierigsten Bedingungen zusammen.

 

Damit wollen wir die Geschichte Israels an dieser Stelle erst einmal beenden. Es wird sicherlich Gelegenheit geben, an der ein oder anderen Stelle auf das Schicksal der Juden zu schauen, an vorderster Stelle natürlich im 20. Jahrhundert. Wir können uns darauf nicht freuen.

 

Das nächste Mal besuchen wir Kreta und die Minoer und schauen auf das mykenische Reich.