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(29) Erst Wirrwarr, dann Ramses

Unklare Nachfolge

Echnaton hatte (mindestens) sieben Kinder, sechs Töchter und als einzigen bekannten Sohn Tutanchaton, den wir unter seinem später angenommenen Namen Tutanchamun kennen. Dieser war allerdings bei Echnatons Tod noch zu klein, um direkt die Herrschaft zu übernehmen. In den Herrscherlisten tauchen daher zuvor noch die Namen Semenchkare und Neferneferutaon auf, die (nacheinander) zwischen 1335 und 1332 v. Chr. regiert haben. Es gibt hier eine Vielzahl von Theorien, wer sich hinter diesen Namen versteckt und ob es überhaupt zwei unterschiedliche Personen gewesen sind.

Bei Neferneferuaton geht man sicher davon aus, dass es sich um eine Frau gehandelt hat. Bei Semenchkare gibt es zumindest Anhaltspunkte dafür. Am beliebtesten sind Theorien, die in beiden Nofretete selbst und/oder eine Tochter von ihr und Echnaton sehen.

Die Klärung dieser Frage ist schwierig, da in dieser Zeit Inzest kein Tabu war und in den Schilderungen Ehefrauen durchaus auch Töchter sein können. Wenn also über eine Ehefrau Echnatons berichtet wird, muss das nicht unbedingt Nofretete gewesen sein, sondern es kann sich auch um eine seiner mit ihm verheirateten Töchter gehandelt haben. Echnaton werden sogar Ehen mit dreien seiner Töchter zugeschrieben.

Insbesondere in den Familien der Pharaonen wurde zum Erhalt des vermeintlich besonderen königlichen Blutes viel zwischen Geschwistern und auch zwischen Eltern und Kindern geheiratet und für Nachwuchs gesorgt. Der diesem Verhalten zugrunde liegende Gedanke, die eigene »göttliche« Blutlinie rein zu halten, ist nicht typisch ägyptisch. Aus Genanalysen wissen wir, dass es beispielsweise im steinzeitlichen Irland ähnlich inzestuöse Verhältnisse in den Familien der Elite gegeben haben muss. Auch für die Inka oder auf Hawaii sind diese Praktiken bekannt.

 

Auf Neferneferuaton, wer immer es genau war, folgte dann 1332 v. Chr. Tutanchamun als Herrscher. Er war jung und ließ sich schnell beeinflussen, den Aton-Kult seines Vaters zugunsten der alten Götter zu kassieren. So nannte er sich eben Tutanchamun und nicht Tutanchaton, wie es seine Eltern bestimmt hatten. Seine Bedeutung erhielt er allerdings weniger aus seiner Regierungszeit, sondern aus der für uns erfreulichen Tatsache, dass seine letzte Ruhestätte von den Grabräubern verschont geblieben ist. So können Forscher aus der Untersuchung seiner Mumie und den Grabbeigaben ableiten, dass er wahrscheinlich von Geburt an einen Klumpfuß hatte und wahrscheinlich in Folge eines Unfalls mit seinem Streitwagen ums Leben gekommen ist. Dafür spricht die distale juxta-epiphysäre Femurfraktur, auf deutsch ein Bruch des linken Oberschenkels an dessen unterem Ende, sowie weitere Verletzungen. Die jungen Leute und ihre schnellen Wagen, ein Problem, dass die Zeiten überdauert hat.

 

Tinder auf ägyptisch

In diesem Zusammenhang wird auch auf einen Brief verwiesen, der um diese Zeit beim Hethiterkönig Schuppiluliuma I. eintraf. »Siehe ich bin im Zustand der Familienlosigkeit. Sende mir einen Sohn von dir, und die zwei großen Länder werden zu einem Land werden, und du wirst mir deine Geschenke bringen lassen, und ich werde mich über sie freuen; und ich werde dir ebenso meine Geschenke bringen lassen, und du wirst dich über sie freuen!«. Die hethitische Übersetzung klingt präziser: »Mein Gatte ist gestorben. Einen eigenen Sohn aber habe ich nicht. Von dir aber sagt man, dass du viele Söhne besitzt. Wenn du mir einen Sohn von dir gibst, soll er mein Gatte werden. Niemals aber werde ich einen meiner Diener nehmen und ihn zu meinem Gatten machen. Eine solche Befleckung fürchte ich.«

Das alles klingt logisch, wenn man glaubt, dass Tutanchamuns Frau einen neuen Mann von ebenbürtiger Herkunft sucht und gleichzeitig einen Weg, die unter Echnaton vernachlässigte Nordflanke gegen die Hethiter zu befrieden. Die Quellenlage ist aber nicht so eindeutig, andere Forscher sehen eher Nofretete, die nach Echnatons Tod ihre Stellung sichern wollte, als Absender. Dies passt allerdings nicht ganz zu dem in den Briefen genannten Namen, der leider nur in der hethitischen Übersetzung erhalten ist. Die Rückübersetzung ins Ägyptische deutet eher auf Tutanchamun als auf Echnaton als dem verstorbenen Ehemann.

 

Tutanchamun starb 1323 v. Chr. im Alter von erst etwa 20 Jahren, vermutlich aufgrund eines Unfalls, und hatte, wie es im Brief geschrieben ist, keinen Sohn als natürlichen Nachfolger. Dass seine Frau Anchesenamun, die im Übrigen auch seine Schwester war, dann nach einem hethitischen Prinzen Ausschau hielt, ist nicht unwahrscheinlich. Nach dem Tod von Echnaton und Nofretete, die ja vielleicht als Semenchkare oder als Neferneferuaton auch ein paar Jahre als Pharao regierte, wird es für die Kinder schwierig gewesen sein, sich gegen die Hof- und Priesterkamarilla durchzusetzen, die in ihre alten Machtpositionen zurückwollten. Die Allianz mit den Hethitern mag da als kluger Ausweg erschienen sein. Eine dritte Absender-Kandidatin ist Meritaton, die Schwester von Anchesenamun. Es gibt die Überlegung, dass Nofretete vor Echnaton starb und dieser dann seine älteste Tochter Meritaton geheiratet haben könnte. Dies sei hier aber nur der Vollständigkeit halber erwähnt, und als Erinnerung, dass wir uns mit allen Gedanken und Spekulationen auf dünnstem Eis bewegen.

 

Gottvater wird Pharao

Wie ging es nun weiter? Schuppiluliuma las den Brief und überlegte, was er damit anfangen sollte. So etwas habe er noch nicht erlebt, ließ er wissen. Die Vorteile eines Bündnisses mit Ägypten waren offenkundig, ein Hethiter auf dem Thron des Pharao konnte kein Nachteil sein und so schickte er seinen Sohn Zannanza. Dieser starb allerdings schon auf dem Weg nach Ägypten oder relativ schnell nach seiner Ankunft. Vielleicht passte es dem ein oder anderen nicht, dass jetzt ein Ausländer Pharao werden und die Familie des Echnaton über die Ehefrau weiter Einfluss haben sollte.

 

Auf jeden Fall bestieg nach Zannanzas Tod Eje II. den Thron. Er hatte schon unter Echnaton Karriere gemacht, seine Frau Tij war Amme der Nofretete gewesen. Zum Zeitpunkt von Tutanchamuns Tod war er also bestimmt schon ein älterer Herr. Als Karrierebeamter bekam er den Wechsel der Staatsreligionen mühelos hin und diente auch unter Tutanchamun als »wahrer Schreiber des Königs«. Seinen Einfluss macht aber ein anderer Titel deutlicher: »Gottvater« durfte ihn Tutanchamun nennen. Ein gewisses Selbstbewusstsein wird Eje also gehabt haben. Es wundert daher nicht, dass er die unsichere Nachfolgesituation ausnutzte und selbst den Thron bestieg.

Zur Absicherung heiratete er wohl auch Anchesenamun, wobei die herausgehobene Rolle der "Großen Königlichen Gemahlin" weiterhin seine erste Frau Tij einnahm.

 

Eje traf auf keine einfache Situation, da Schuppiluliuma den Tod seines Sohnes als Ermordung ansah. Er schickte den Kronprinzen Arnuwanda (reg. 1321 bis 1320 v. Chr.) mit seiner Armee auf einen Rachefeldzug. Der war zwar militärisch einigermaßen erfolgreich und brachte viel Beute und Gefangene ein. Mit diesen kam aber auch die Pest nach Hattuscha, der Hauptstadt der Hethiter. Schuppiluliuma selbst war eines ihrer Opfer. Kleine Sünden bestraft der Herr sofort, heißt es. Wir wollen nicht überlegen, wo so ein Rachefeldzug in einem entsprechenden Ranking auftauchen könnte und wollen es auch nicht selbst ausprobieren.

 

Eje II. regierte etwa vier Jahre. Nach seinem Tod 1319 v. Chr. konnte sich Haremhab (reg. 1319 bis 1292 v. Chr.) auf den Thron setzen, der Oberbefehlshaber des Heeres und »Oberster Mund des Landes«. Eine Machtübernahme durch das Militär in unsicheren Zeiten. Soll es ja auch in der jüngeren Vergangenheit hie und da gegeben haben. Haremhab gab sich eine göttliche Abstammung, Horus sei sein Vater. Wer wollte ihm dann den Pharaonentitel verwehren? Er war der letzte Pharao der 18. Dynastie und herrschte relativ lange bis 1292 v. Chr. Da die Hethiter mit der Pest beschäftigt waren, hatte er außenpolitisch Ruhe. Ein Feldzug nach Karkemisch an der heutigen türkisch-syrischen Grenze, also in das Einflussgebiet der Hethiter – Thutmosis III. hatte hier bereits gesiegt – war eher eine Ausnahme. Innenpolitisch sorgte er für eine weitgehende Säuberung der Aton-Episode Echnatons.

So wird es gewesen sein. Oder ganz anders. Auf jeden Fall eine spannende Zeit. Schauen wir mal, wie es weiterging.

 

Seth - geliebt von Isis?

Nun beginnt die Zeit der Ramessiden. Ramses I. wurde von Haremhab als Nachfolger ausgesucht, hieß eigentlich Paramessu und stammte aus der alten Hyksos-Hauptstadt Auaris. Er regierte nur 16 Monate, in denen er Staat und Verwaltung sowie den Amun-Glauben weiter festigte. Nach ihm regierte sein Sohn Sethos I., erst der vierte Pharao, der mit seinem Namen auf den Gott Seth verwies. Wir erinnern diesen als eher unfreundlichen Zeitgenossen im Kampf mit Isis und Osiris, der letztlich mit seinem Verweis in die Wüste endete. Vorher gab es lediglich zwei Herrscher aus der 2. Dynastie, die sich in ihrem Horusnamen auf Seth beriefen, Peribsen und Chasechemui-Nebuihetepimef. Manche Namen sind so schön. In den Königslisten taucht zudem noch ein weiterer Seth-Anhänger aus der 13. Dynastie der Zweiten Zwischenzeit auf. 

Seth wurde hauptsächlich in Unterägypten, vornehmlich im Gebiet um Auaris verehrt. Dies war ein Überbleibsel der Hyksos-Herrscher, die Seth mit dem semitischen Gott Baal gleichgesetzt hatten. Sethos musste nur aufpassen, wenn er weiter südlich unterwegs war. Er nannte sich dort dann einfach »Geliebt von Isis«, auch wenn das für Seth nun gar nicht zutraf. Die sozialen Netzwerke funktionierten damals nicht ganz so schnell, so dass man ihm wohl nicht sofort dahinter kam. Sethos regierte von 1290 bis 1279 v. Chr. und sicherte und erweiterte Ägyptens Einfluss im Norden gegen die Hethiter und im Süden gegen die Nubier. Bedeutend für die Geschichtsschreiber ist er aber auch, weil er in seinem Totentempel die 76 Namenskartuschen seiner Vorgänger anbringen ließ. Echnaton fehlte selbstredend darunter.

 

Ramses II.

Ihm folgte sein Sohn Ramses II., einer der wichtigsten Pharaonen der ägyptischen Geschichte. Er regierte lange, 66 Jahre von 1279 bis 1213 v. Chr. Mit 15 Jahren erhob ihn sein Vater um 1288 v. Chr. zum Mitregenten. In dieser Zeit heiratete er auch - pharaonenmitregentengerecht - nicht eine, sondern zwei Frauen, Nefertari und Isisnofret mit Namen. Im Laufe seiner Regierungszeit folgten weitere Ehen, unter anderem nach dem Tod der Isisnofret 1246 v. Chr. mit der hethitischen Prinzessin Sauschkanu und nach Nefertaris Ableben 1255 v. Chr. mit der gemeinsamen Tochter Meritamun. Bevor Du erneut über die Inzucht bei Pharaos den Kopf schüttelst, sei darauf hingewiesen, dass es natürlich leibliche Vater-Tochter-Verbindungen gab, es aber vielleicht manchmal auch lediglich um den Titel »Große Königliche Gemahlin« ging. Auch zwei Töchter aus der Beziehung mit Isisnofret, Bintanat und Nebettaui, bekamen diesen Titel. Insgesamt sind von Ramses II. 40 Töchter und 45 Söhne bekannt. Wir wollen nicht rätseln, von wie vielen wir nach 3200 Jahren nichts mehr wissen. Sein Nachfolger wurde der dritte Sohn der Isisnofret, Merenptah (reg. 1213 bis 1203 v. Chr.).

 

Schon als Mitregent nahm Ramses II. an einem Feldzug gegen das Land Kusch im Süden teil. Zudem schlug er als Oberbefehlshaber in einer Seeschlacht im Nildelta eingedrungene Scherden, vermutlich ein aus der Ägäis stammendes Volk, auf das auch der Name des eher ägäisfernen Sardinien zurückgehen soll.

In seiner späteren Regierungszeit waren die Libyer im Nordwesten und insbesondere die Hethiter die Hauptgegner. Letztere versuchten zunehmend, die ägyptischen Vasallenstaaten in Syrien an sich zu binden, deren Treue Ägypten gegenüber ja schon zu Echnatons Zeiten merklich gelitten hatte. Kadesch hatten die Hethiter bereits während Seths' Herrschaft erobert. Wir erinnern uns an die von Thutmosis III. geschlagene Schlacht bei Meggido. Das war etwa 180 Jahre her, etwa die Zeit zwischen der Niederlage Napoleons bei Waterloo und der deutschen Wiedervereinigung.

 

Eine Niederlage ist ein Unentschieden ist ein Sieg

Ramses II. zögerte mit seiner Reaktion zwar etwas länger als Thutmosis III., brach aber 1274 v. Chr., fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters, zu einem großen Feldzug nach Syrien auf. 20.000 Krieger standen in der Schlacht bei Kadesch am 12. Mai 1274 v. Chr. einer doppelt so großen Heerschar der Hethiter unter ihrem König Muwatalli II. (reg. 1295 bis 1272 v. Chr.) gegenüber. Fast hätte es ein Fiasko für die Ägypter gegeben. Den Hethitern war es  gelungen, durch eine List die vier ägyptischen Divisionen so weit auseinanderzuziehen, dass sie die vordersten beiden von Ramses persönlich geführten, angreifen konnten, ohne dass die beiden folgenden eine Möglichkeit gehabt hätten, einzugreifen. Neben ihrer viel größeren Zahl der Krieger hatten sie zudem anders als die Ägypter schon Waffen aus gehärtetem Eisen. Dennoch ging die Schlacht unentschieden aus – und das auch nur, weil die Hethiter den Sack nicht zumachten. Muwatalli setzte den flüchtenden Ägyptern nicht nach und so hatte eine glücklicherweise eintreffende Reserveeinheit, die an der Küste vorgerückt war und Kadesch aus dem Westen angreifen sollte, zumindest noch die Gelegenheit, ein vollkommenes Desaster zu verhindern. Im Ergebnis wurde Kadesch nicht von Ramses erobert und die Schwäche der ägyptischen Armee bewog eine Reihe von Vasallenstaaten, ihre Tributzahlungen an Ägypten einzustellen. In Ägypten ließ Ramses von einem großen Sieg berichten. Propaganda ist keine Erfindung der Neuzeit. Für die Nachwelt ist dies ein Lehrbeispiel, dass man den historischen Quellen grundsätzlich erst einmal misstrauen sollte. Und unsere heutigen Pressemitteilungen und Social-Media-Posts sind die historischen Quellen der Zukunft. Wir bedauern die Historiker des Jahres 4023.

 

Zwei, drei Jahre später brach Ramses II. erneut gen Norden auf. Alle kommenden Feldzüge verliefen für ihn sehr erfolgreich. Dies mag auch mit einer Schwächung der Hethiter zusammenhängen, wo es aufgrund von inneren Unruhen 1264 v. Chr. zu einem Machtwechsel kam. Muwatallis Nachfolger Murschili III. (reg. 1272 bis 1265 v. Chr.) wurde von seinem Onkel Hattuschili III. (reg. 1267 bis 1237 v. Chr.) abgesetzt und suchte Asyl bei dem Erzfeind Ägypten. Wir haben schon gehört, dass auch die Assyrer im Osten sich zunehmend ausbreiteten. Um dieser Bedrohung Herr zu werden, schloss Hattuschili Frieden mit Ägypten. Am 31. Oktober 1259 v. Chr. wurde der erste bekannte schriftliche Friedensvertrag der Weltgeschichte besiegelt. Er hielt bis über die Regierungszeit Ramses II. hinaus und gab diesem die notwendige Ruhe, sich um die Entwicklung seines Staates zu kümmern.

 

Das nächste Mal wollen wir uns einen kurzen Blick auf die wichtigen Kulturdenkmäler gönnen, in denen sich Ramses II. verewigt hat. Und wir sehen dem Niedergang des Neuen Reiches entgegen.