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(137) Die Bulgaren

Dieses Mal wollen wir uns bei unserem Ausflug auf den Balkan einen Blick auf die Bulgaren werfen. Diese sind uns ja bereits zu Zeiten Theoderichs und Zenons als Verbündete der Römer über den Weg gelaufen.

 

Korrekterweise müssen wir zunächst von den Protobulgaren sprechen, wobei die seinerzeitigen Bezeichnungen natürlich ganz andere waren. Diese ursprünglich turksprachigen protobulgarischen Stämme wie beispielsweise die Onoguren vermischten sich zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert mit einheimischen und slawischen Völkern und bildeten die Kernzelle der heutigen Bulgaren.

 

Kubrat gründet Magna Bulgaria

Ebenso wie die Hunnen stammten die Protobulgaren ursprünglich aus den Steppen Zentralasiens. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die ersten eigenständigen Reichsgründungen nach dem Zerfall der Hunnenherrschaft herausbildeten. Wir dürfen hier aber sicher noch nicht von zentralisierten Staatsgebilden mit strukturierten Verwaltungsorganisationen wie etwa im Byzantinischen Reich sprechen. Die genaue Ethnogenese können wir nicht schildern, die Zeit war zu bewegt und aufgeschrieben hat man wenig. Auf jeden Fall haben wir es auch hier mit einem Völkergemisch zu tun. Finno-ugrische Stämme, Turkvölker wie die Oguren und die hoffentlich trotz ihres Namens freundlichen Sauren, Teile der in der in der Gegend verbliebenen Alanen, wir erinnern uns dunkel, viele waren dabei. Auch die Beziehungen zu den Kutriguren und Uiguren, die wir schon kurz kennenlernen durften, sind unklar. So haben wir es mit einem Zusammenschluss unterschiedlicher Teilvölker zu tun, wie wir es auch bei den Germanen hie und da erleben durften. Der Name der Bulgaren leitet sich nicht ohne Grund wahrscheinlich vom türkischen Wort bulgha ab, was soviel wie "vermischen, stören, verwirren" bedeutet.

 

Im Jahr 558 konnten die Awaren, die auch ihren Platz suchten, die protobulgarischen Stämme, die zu dieser Zeit wahrscheinlich zwischen Wolga und Dnjestr siedelten, schlagen. Diese zogen sich westwärts in die Steppenlandschaft Südrusslands zurück, wo es um 635 Kubrat (reg. etwa 632 bis 650/665), dem Stammesführer der Onoguren gelang, die awarische Oberherrschaft abzuschütteln und rund um das Asowsche Meer das Großbulgarische Reich, auch Magna Bulgaria genannt, zu gründen.

 

Kubrat verbündete sich mit Konstantinopel, das sich über den Bundesgenossen freute, da er einen willkommenen Pufferstaat gegen die latenten Bedrohungen aus der Steppe bildete. Aus dem Osten drang im Zuge der Auflösung des westtürkischen Khaganats in dieser Zeit nämlich die chinesische Tang-Dynastie weit nach Westen vor und erhöhte den Druck auf die unterschiedlichen Völker Zentralasiens.

 

Kubrats Söhne: Batjaban und die Wolgabulgaren Kotrags

Kubrats Reich überdauerte daher die Lebzeit seines Gründers kaum. Der älteste Sohn, Batbajan (reg. wohl 665 bis 668), regierte das Reich seines Vaters lediglich drei Jahre und musste sich dann den Chasaren, einem zentralasiatischen Turkvolk, unterwerfen.

 

Kotrag (gest. um 700, reg. 665 bis um 700), der zweitälteste Sohn, zog gen Norden und gründete das Reich der Wolgabulgaren mit der Hauptstadt Bolgar, heute eine Kleinstadt in der russischen Republik Tatarstan. Dieses Reich hielt sich bis ins 13. Jahrhundert, wo es dann von den Mongolen besiegt wurde.

 

Kubrats Söhne: Asparuch gründet Donaubulgarien

Vorläufer des heutigen Bulgarien war das Reich, das auf den dritten Sohn Asparuch (um 640 bis 701, reg. 681 bis 701) zurückgeht. Er überquerte die Donau, schloss sich mit den dort lebenden Slawen zusammen – ob diese unterworfen wurden oder ob es ein freiwilliger Zusammenschluss war, müssen wir offenlassen – und errichtete um 680 das Donaubulgarische Reich. Versuche von Konstantinos IV. dies zu verhindern, endeten in einer vollständigen byzantinischen Niederlage, die er mit dem Abtreten von Moesien und der Dobrudscha an der Schwarzmeerküste bezahlen musste.

 

Hauptstadt der Bulgaren wurde Pliska. Das ist heute nur noch ein kleines Dorf im Nordosten des Landes gut vierhundert Kilometer von Sofia entfernt. Konstantinopel war nun nicht mehr weit und die Byzantiner zahlten nach ihrer Niederlage in altbewährter Manier Tribute, um vor bulgarischen Überfällen sicher zu sein. Das gelang nicht immer, so wurde Konstantinopel mehrmals, zum Beispiel 705 und 813, belagert. Auf der anderen Seite kam 718 der bulgarische Khan Terwel (675 bis 721, reg. 700/701 bis 721) dem byzantinischen Kaiser Leo III. (um 685 bis 741, reg. 717 bis 741) auch zur Hilfe, als er sich gegen den Angriff der Araber zur Wehr setzen musste.

 

Blicken wir kurz voraus, wie es mit Asparuchs Reich weiterging.

 

Krum erobert

Krum (gest. 814, reg. 803 bis 814), einer der Nachfolger Terwels, herrschte zur Zeit Karls des Großen. Ihm gelang die Ausweitung des Reiches bis an die Theiß – gemeinsam mit Karl auch im Kampf gegen die Awaren. Weitere Gebietsgewinne dehnten das Herrschaftsgebiet bis nach Budapest aus, so dass der gesamte nicht-byzantinische Balkan bulgarisch war. Byzanz konnte wenig dagegen machen, die arabisch-islamische Expansion aus dem Süden band alle Kräfte. Donaubulgarien nutzte byzantinische Verwaltungsstrukturen und -regelungen und entwickelte nicht zuletzt auch durch die Übernahme der christlichen Religion ab 864 und durch die zunehmende Durchmischung slawischer und protobulgarischer Einwanderer mit der einheimischen thrakisch-griechischen Bevölkerung eine neue bulgarische Identität.

 

Das Goldene Zeitalter Simeons

Die Regierungszeit von Zar Simeon I. (um 864 bis 927, reg. 893 bis 927) wird als Goldenes Zeitalter der bulgarischen Kultur bezeichnet.

 

Der Einfall der Magyaren Ende des 9. Jahrhunderts bedeutete gewisse Gebietsverluste in der pannonischen Tiefebene, konnte aber die Entwicklung des donaubulgarischen Reiches nicht wesentlich beeinträchtigen. Zunächst hatten jene sich mit den Byzantinern verbündet, die mit Simeon in einen Handelskrieg verwickelt waren. Den Zweifrontenkrieg musste der bulgarische Zar zwar aufgeben, konnte aber im Anschluss sich mit den am Dnjestr lebenden Petschenegen verbünden und die Magyaren in das obere Theiß-Gebiet zurückdrängen. Der Konflikt mit Byzanz schwelte noch ein wenig weiter. Da aber die Auseinandersetzung mit den Arabern weiterhin Priorität hatte, konnte Simeon letztlich seine Positionen durchsetzen und erhielt wieder Tributzahlungen vom byzantinischen Kaiser.

 

Auch Serbien kam unter Simeons Oberhoheit, so dass sein Reich vom Schwarzen Meer bis zur Ägäis und zur Adria reichte. Die Regierung Simeons sollten wir auch deshalb erinnern, da unter ihm das bis heute in Bulgarien verwendete kyrillische Alphabet seinen Durchbruch in Verwaltung und Kirche erlebte. Wir sparen uns an dieser Stelle die Diskussion, ob der Missionar Konstantinos, der sich später Kyrill (826 bis 869) nannte, wirklich der Urheber diese Schrift war. Zumindest gibt es Zweifel.

 

Niedergang

Nach Simeon zerfiel das bulgarische Reich zunehmend durch interne Streitigkeiten. Zwischen 963 und 969 spaltete sich ein westbulgarisches Reich ab, 971 eroberte Byzanz den Osten, 1018 dann ganz Bulgarien. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts gelang es den Brüdern Peter IV. (gest. 1197, reg. 1186 bis 1190 und 1196 bis 1197) und Iwan Assen I. (gest. 1196, reg. 1190 bis 1195), erneut ein Bulgarisches Reich auf dem Balkan zu errichten, das jedoch im Zuge des Mongolensturms ab 1241/1242 de facto seine Unabhängigkeit und seinen Einfluss verlor. Im 14. Jahrhundert ging es dann vollends im Osmanischen Reich auf.

 

Kubrats Söhne: Kuwer

Erinnerst Du Dich noch an Kubrat? Wir sind ja immer noch dabei zu schauen, was aus seinen Söhnen wurde. Von dreien kennen wir das Schicksal: Der eine blieb in der Heimat und musste sich schnell den Chasaren unterwerfen, der zweite zog nach Norden und gründete das Reich der Wolgabulgaren, der dritte im Süden das der Donaubulgaren. Kubrat war ein fruchtbarer Mann, er hatte mit Kuwer (um 670) und Alzek (um 670) noch zwei weitere Söhne.

 

Kuwer zog mit seinem Stammesverband nach Pannonien, wo er sich mit den Awaren verbündete. Die Freundschaft hielt jedoch nicht lange. Bereits 680 drang er nach Süden vor, um in Makedonien in einer weitgehend unbesiedelten Landschaft ein kleines Khaganat zu errichten, welches letztlich im Donaubulgarischen Reich aufging.

 

Kubrats Söhne: Alzek

Spannender ist der Weg, den Alzek wählte. Es ging nach Italien. Dort wurde er nicht unbedingt erwartet. Insofern durfte er sich nicht wundern, dass er in mehrere Hinterhalte geriet, aus denen er sich nach Süden ziehend aber immer wieder befreien konnte. Mit Grimoald, König der Langobarden und Dux von Benevent, konnte er sich dann insoweit einigen, als dass er in der auf der Adriaseite liegenden Region Molise siedeln durfte, wenn er denn auf einen eigenständigen Herrschaftsanspruch verzichten würde. Dieser Einigung verdanken wir heute einige auf die bulgarische Besiedelung deutenden Namen von italienischen Dörfern, Bergen, Flüssen und Familien. Beispiele sind der Ort Celle di Bulgheria am Fuße des Monte Bulgheria und der Ort Cantalupo nel Sannio. Hier vermuten Forschen den sprachlichen Ursprung im protobulgarischen kan-teleped, was sich mit "Residenz des Khan" übersetzen lässt.

 

Wenn Du jetzt allerdings meinst, dem Ursprung der Bulgari-Familie auf die Spur gekommen zu sein, bei der Du gerne hie und da auf Deiner Shopping-Tour Station machst, dann irrst Du aber leider. Der Gründer Sotirios Voulgaris (1857 bis 1932) war ein Grieche aus der Gegend von Ioannina, der seinen Namen nur den italienischen Gepflogenheiten angepasst hat.

 

Die Söhne Kubrats haben uns ein schönes Geländer gegeben, anhand dessen wir einen Eindruck von der (proto-)bulgarischen Geschichte in ihrer »Gründungszeit« bekommen konnten. Wir danken ihnen.

 

In der Erzählung sind uns die Awaren schon hie und da begegnet. Das nächste Mal schauen wir also, was es mit diesen so auf sich hat. Danach machen wir aber auch mit dem Byzantinischen Reich weiter, das wartet ja nun bereits eine ganze Zeit aus uns.