Justinians Reich wächst
Blicken wir noch auf zwei Schauplätze justinianischen Wirkens, die wir bisher nicht im Fokus hatten. Schnell geht das in Spanien. Wir haben schon gehört, dass der westgotische König Athanagild zur Sicherung seiner Herrschaft gegen seinen Konkurrenten Agila Hilfe aus Konstantinopel erbat. Die kam im Jahr 551 in Form des etwa 85-jährigen ursprünglich weströmischen Senators Petrus Marcinellus Felix Liberius (um 465 bis etwa 554). Der hatte seine Laufbahn bereits zu Odoakers Zeiten begonnen, später unter Theoderich gedient und es bis zum Titel des patricius geschafft. Jetzt kam er – zum Glück für Athanagild – nicht alleine nach Spanien, sondern hatte den ein oder anderen Soldaten bei sich.
Agilas Karriere war alsbald zu Ende. Auch wenn das Problem also gelöst war, blieben Liberius und seine Truppen einfach da. Athanagild empfand dies nicht als Glück, da der alte Senator den Küstenstreifen von Faro in Portugal bis Valencia einschließlich der Balearen in Besitz nahm und als römische Provinz Spania etablierte. Bis hinein nach Córdoba reichte der byzantinische Einfluss. Die ersten Gebiete gingen zwar bereits in den 570er Jahren wieder verloren, insgesamt hielt sich die Provinz aber immerhin 80 Jahre. Im Jahr 625 wurde sie endgültig von den Westgoten zurückerobert. Zunächst hätte Justinian allerdings einen Haken auf seiner fiktiven Liste zur Wiedereroberung des Römischen Reiches machen können. Spanien? Check!
Nach vielen anfänglichen Problemen, innen- wie außenpolitisch, wendete sich für den Kaiser mittlerweile alles zum Guten. Die Ostgoten machten in Italien noch ein wenig Probleme, waren aber de facto aus dem Spiel. Nordafrika war erobert, die spanische Küste und das westliche Mittelmeer wieder römisch. Mit den Persern hatte man nach vielen Kämpfen einen Frieden geschlossen. Ende der 550er, Anfang der 560er Jahre sah es nicht so schlecht aus für Justinian.
Der Rest und das Ende
Um das Bild rund zu machen, müssen wir noch auf den Balkan schauen. Illyrien, Thrakien, der gesamte Balkan war eine über Jahrhunderte sehr gebeutelte Region, die aktuell immer wieder von Überfällen der Bulgaren, Awaren und weiterer Völker heimgesucht wurden. Die dort stationierten Truppen benötigte Justinian oft genug an anderen Stellen im Reich, die Goten- und die Perserkriege waren wichtiger. Die Festungen, die er errichten oder ausbauen ließ, halfen immerhin, einen weiteren Vormarsch Richtung Konstantinopel zu hemmen.
Erfolgreicher war eine Kooperation mit den Anten, einem Volk, das nördlich des Schwarzen Meeres beheimatet war – wie so viele. Der Name kommt vielleicht aus dem Persischen und meint »die am Ende befindlichen«. Eine Frage der Perspektive, ob dies als affirmative Beschreibung durchgehen kann. Es mag aber auch sein, dass sie slawische oder germanische Wurzeln hatten. Auf jeden Fall bekamen die Anten 545 von Justinian die verlassene Stadt Turris an der Donau, das heutige rumänische Turnu Magurele im Kreis Teleorman, geschenkt und durften im Gegenzug für die Römer die Donaugrenze sichern. Dies gelang ein halbes Jahrhundert leidlich. Im Jahr 602 wurden sie dann von den Awaren geschlagen, anschließend verschwinden sie aus der Geschichte. Ein kurzer Besuch.
Auf die Problematik des Eindringens slawischer Stämme auf den Balkan werden wir in der weiteren Erzählung des Byzantinischen Reiches sicher noch zu sprechen kommen. Schon zu Zeiten Justinians war es 559 den Kutriguren gelungen, bis in die Nähe von Konstantinopel vorzudringen. Wieder war es die Allzweckwaffe Belisar, der diesem Angriff ein Ende machte.
Randnotizen
Wie schon gewohnt haben wir vor der Fülle der parallelen Geschichten auch hier kapituliert, einiges vereinfacht und vieles weggelassen. Dass Justinian sich aus dem chinesischen Kaiserreich Seidenraupen besorgen ließ, um eine eigene Seidenproduktion aufzubauen, können wir als schöne Randnotiz verbuchen.
Intensiver müssten wir uns mit dem Reich von Aksum beschäftigen. Dies lag in der Gegend des heutigen Eritrea, umfasste noch Teile Äthiopiens und des Sudans. Zwischen dem 1. und dem 10. Jahrhundert n. Chr. lebte es zu einem großen Teil vom Indienhandel. Dafür war es wichtig, dass es König Kaleb (reg. 514 bis 534) im Jahr 525 mit römischer Unterstützung gelang, auf der anderen Seite des Roten Meeres Fuß zu fassen, indem er die dort siedelnden jüdischgläubigen Himyariten besiegen konnte. Das passte den Sassaniden nicht, da er so ihre Einflusssphäre am Persischen Golf und die um die arabische Halbinsel führenden Handelsrouten bedrohte. Justinian suchte weiterhin den Kontakt zu den Aksumiten, da er so hoffte, die Südflanke des persischen Reiches schwächen zu können. Wir erwähnen dies an dieser Stelle auch nur, um zu verdeutlichen, wie eingeengt unsere Sichtweise ist, wenn wir nur auf Vandalen, Goten und Sassaniden schauen.
Gab es einen Plan?
Wenn wir die Regierungszeit Justinians gesamthaft betrachten, dann sehen wir nicht, dass der Kaiser einen strategischen Plan systematisch abgearbeitet hätte. Eher scheint es so, dass er situativ auf die Entwicklungen reagierte und dabei die Festigung und Sicherung seiner Macht immer in den Mittelpunkt stellte.
Nach den Niederlagen im Osten und dem nur mit Mühe überstandenen Nika-Aufstand bot ihm die Krise des Vandalenreiches die Möglichkeit, seine Reputation als Herrscher wieder etwas aufzupolieren. Die Eroberung Italiens war nach der trickreichen Eroberung Ravennas durch Belisar zu einer Prestigefrage geworden, die trotz neuerlicher Schwierigkeiten im Osten nicht aufgegeben werden konnte. Mit diesem leichten Vorwurf einer eher opportunistisch geprägten Herrschaft wollen wir Justinians Leistungen aber nicht abqualifizieren. Seine Justizreform, seine Eroberungen, nicht zuletzt auch der Bau der Hagia Sophia zeichnen ihn als besonderen Herrscher aus, der neben dem »Tagesgeschäft« auch eine Klimakrise und eine Pestepidemie bewältigen musste. Eine Lichtgestalt war er allerdings nicht. Justinian starb am 14. November 565 in Konstantinopel.
Streit um die Nachfolge
Seine Nachfolge war offen, er hatte merkwürdigerweise nicht durch die Ernennung eines Mitherrschers vorgesorgt, vielleicht aus Angst vor Konkurrenz im eigenen Haus. Zwei Verwandte von ihm, beide hörten auf den Namen Justin, waren nun die »geborenen« Kandidaten. Der eine mit dem schönen Namen Flavius Marius Petrus Theodorus Valentinus Rusticius Boraides Germanus Iustinus (etwa 525 bis 566) war der Sohn von Justinians Cousin Germanos, eines durchaus erfolgreichen Feldherrn, den wir in unserer Erzählung allerdings nur daher kennen, dass er sich weigerte, Antiochia mit dreihundert Mann gegen die Perser zu verteidigen. Der andere Justin, ein Neffe Justinians, war als curopalatus Chef der Hofhaltung, eines der höchsten Staatsämter. Seine Aufgaben beinhalteten auch die des präpositus sacri cubiculi, des Vorstehers des heiligen Schlafgemachs. Wir fragen nicht weiter nach. Er setzte sich als Justin II. durch. Sein Vorteil war sicherlich seine unmittelbare Nähe zu den Ereignissen, wobei wir nicht davon ausgehen, dass das heilige Schlafgemach, was immer es gewesen sei, in diesen Tagen der Hotspot war - zumindest nicht der politische. Nichts Genaues weiß man nicht, sagt der Volksmund. Sein Namensvetter wurde nach Alexandria abgeschoben und dort zeitnah ermordet.
Mit Justinian endeten die Versuche und auch die Möglichkeiten, wieder zu einem gesamthaften Römischen Reich unter einer Herrschaft zu kommen. Danach war das Thema gegessen. Die Kaiser verabschiedeten sich nun auch vom Lateinischen, künftig dominierte das Griechische in Konstantinopel.
Justin II.
Justin II. war Sohn von Vigilantia (geb. um 490), der Schwester Justinians. Seine Frau Aelia Sophia (etwa 530 bis nach 601) war eine Nichte von Justinians bereits 548 verstorbener Frau Theodora. Beide bildeten ein effizientes Führungsgespann, bei der Sophia eine durchaus aktive, eigenständige Rolle spielte. Dies war insbesondere deshalb sehr hilfreich, da Justin II. zunehmend Anzeichen einer Geisteskrankheit zeigte. Faktisch wurde er am 7. Dezember 574 durch die Ernennung von Flavius Tiberius Constantius (gest. 582, reg. 578 bis 582) zum caesar und Mitregenten aus dem Verkehr gezogen. Dieser sollte ihm dann 578 auch als Tiberius II. auf dem Thron nachfolgen. Ganz so weit sind wir aber noch nicht.
Die Innenpolitik des Kaiserpaares war wenig aufregend. Sie verfolgten einen klaren Konsolidierungskurs. Die Hagia Sophia wurde fertig ausgestaltet, ansonsten wurde gespart. Stress gab es in der Außenpolitik, vor allem durch die Awaren.
Bevor wir uns das genauer anschauen, wollen wir die Gelegenheit nutzen, um uns ein wenig mit den Völkern zu beschäftigen, die das Byzantinische Reich zu dieser Zeit bedrohten. Neben den Awaren waren dies vor allem die Slawen und die Araber. Letztere werden im 7. Jahrhundert zu Hauptdarstellern der Weltgeschichte, so dass wir uns die tiefere Beschäftigung mit ihnen noch ein wenig aufsparen. Der Blick geht insofern erst einmal – wieder – nach Nordosten.
Neue Völker aus dem Nordosten: Die frühen Slawen
Eine eindeutige Ethnogenese der slawischen Völker, die zunehmend insbesondere die Balkanregion attackierten, ist ebenso unmöglich wie die der Germanen.
Wir finden ab dem 1. Jahrhundert frühe Berichte über Veneter, die zwar ethnografisch mit den slawischen Wenden direkt nichts zu tun haben, aber immerhin als Namensgeber fungierten. Das Wendland in Nordostniedersachsen kennt der eine oder andere der Älteren noch, weil das früher mal als Endlagerstätte für Atommüll vorgesehene Gorleben dort liegt. Wir wissen nicht, ob die Veneter wirklich die Vorfahren der slawischen Stämme waren, die fünfhundert Jahre später die Gegend beherrschten.
Im 6. Jahrhundert tauchen zusammen mit den Anten die Sklabenoi oder Sclavini, also die Slawen, auf, die sich gleich einen Namen als Plünderer in den Donauprovinzen machten. Der Begriff leitet sich ab aus der Selbstbezeichnung slov-ěne, über deren Bedeutung Du jetzt wie alle Wissenschaftler rätseln kannst. Wem die Auflösung gelingt, der darf im nächsten Urlaub nach Slowenien. Alle anderen natürlich auch.
Vermehrt hören wir von ihnen dann in der qua Klimaveränderung und Pest schwierigen Zeit ab 540, als die weltweit herausfordernder werdenden Lebensverhältnisse diese Stämme zwangen, ihre Heimatregionen zu verlassen und andernorts nach besseren Überlebensmöglichkeiten zu suchen.
Da lockte natürlich vor allem das wohlhabende Römische Reich. Es gab daneben aber auch Wanderungsbewegungen nach Norden und Osten. Über diese Ereignisse existieren keine direkten Zeugnisse. Die Wissenschaft stützt sich auf die Berichte römischer Schriftsteller wie Procopius von Caesarea (etwa 500 bis 565), also eine in aller Regel parteiische Sichtweise.
Die Angriffe auf die Donauprovinzen weisen uns auf den Lebensraum der Slawen im 6. Jahrhundert hin. Rumänien, Moldawien und die Ukraine waren der Ausgangspunkt der slawischen Ausbreitung. In den Kämpfen auf dem Balkan finden wir die Sklabenoi häufig mit den Awaren verbündet. Die Awaren hatten dabei das Sagen, was – wie wir schon hie und da erlebt haben – einige der Slawen nicht mitmachten und entsprechend ihr Glück an anderer Stelle versuchten.
Justinian sorgt vor
Diese Ausweichbewegungen nach Illyrien und Thrakien waren ein Nachhall dessen, was wir während der Völkerwanderung erlebt haben, allerdings nicht mächtig und ausgeprägt genug, um dieser Überschrift gerecht werden zu können. Zudem trat ihnen mit Justinian ein Kaiser entgegen, der zum Schutz seines Reiches und vor allem seiner Hauptstadt eine intensive Vorfeldsicherung betrieb.
Beginnend im Hinterland der Donau wurden drei Defensivgürtel geschaffen. Kleinere Festungen im äußeren Kreis, größere im Balkangebirge in Bulgarien und im Strandscha-Gebirge an der heutigen bulgarisch-türkischen Grenze. Anfang der 530er Jahre konnte der magister militum per Thracias Chilbudios (gest. 533) sogar das erste Mal seit dem 4. Jahrhundert römische Überfälle in den barbarischen Siedlungsgebieten unternehmen. Kleine Sünden bestraft der Herr sofort: Chilbudios starb bald in einem Kampf gegen einen slawischen Verband, so dass seine Erfolge letztlich nur Episode blieben.
Durch den Klimaeinbruch und die darauffolgende Pestepidemie entstand auf beiden Seiten eine Dynamik, die schwer zu beherrschen war. Bei den Slawen bildeten sich immer mehr Strukturen heraus, die zu größeren Kampfhandlungen und Plünderungszügen befähigten. In den Jahren 545 und jährlich zwischen 548 und 551 wurden die Balkanprovinzen überfallen.
Die Slawen finden auf dem Balkan eine Heimat
Nach 626 konnte auch die awarische Herrschaft abgeschüttelt werden. Diese hatten vergeblich versucht, im Verein mit den Persern Konstantinopel einzunehmen. Nachdem dies nicht glückte, zogen sie sich mit der auf ihren Plünderungszügen gemachten Beute wieder in die pannonische Tiefebene zurück. Der Balkan war aufgrund der Schwäche des Byzantinischen Reiches und der vielen Kriege und Plünderungen der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte nahezu entvölkert. Diese Leere machten sich viele Slawen zunutze und siedelten sich in den entsprechenden Landstrichen an. Bis auf den Süden Thrakiens und den Westen der Peloponnes-Halbinsel finden sich überall Spuren slawischer Besiedlung.
Auch wenn der Kaiser in Konstantinopel geschwächt war, verbündeten sich die Slawen mit ihm – so stand man im Zweifel nicht ganz allein auf leerer Flur. Herakleios, Anfang des 7. Jahrhunderts der byzantinische Kaiser, siedelte auch gezielt Völker an, so die Serben in Illyrien und die Kroaten in Dalmatien. Dort finden wir sie ja noch immer.
Das erste »richtige« Reich, das wir als slawisch erkennen können, war das des Samo. Es lag allerdings nicht direkt in byzantinischem Einflussbereich, sondern deutlich weiter nördlich. Samo, angeblich ein fränkischstämmiger Kaufmann, konnte in den 620er Jahren ein slawisches Königreich gründen. Das Wort »Reich« lässt dabei ein festgefügtes Herrschaftsgebilde vermuten lässt, das es so sicher nie gab. Auf jeden Fall gelang es ihm, in den 630er Jahren die Merowinger unter Dagobert I. zu schlagen und immer wieder aus dem böhmisch-mährischen und dem thüringischen Raum das Frankenreich anzugreifen. Als Teilverbände tauchen hier die heute noch als Landschaft beziehungsweise Volksgruppe bekannten Stämme der Wenden und Sorben auf. Das alles juckte Konstantinopel allerdings wohl eher wenig, war es doch weit weg.
Wir bleiben noch ein wenig auf dem Balkan und schauen das nächste Mal auf die Bulgaren.