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(122) Die Ostgoten vor Theoderich

Die Ostgoten sind uns bisher schon mehrfach untergekommen. Zum einen haben wir die Goten insgesamt – noch getrennt als Terwingen und Greutungen mit dem Dnjestr als grobe Trennlinie– erlebt, als sich mit den westwärts drängenden Hunnen auseinandersetzen mussten. Danach sind wir mit den Westgoten unter Fritigern und Alarich auf verschlungenen Wegen durch den ganzen Kontinent bis nach Spanien gezogen. Zum anderen ist uns immer wieder der ostgotische König Theoderich I. über den Weg gelaufen, der mit nahezu allen Völkern, denen wir bisher begegnet sind, in Beziehung stand. Wie kam es zu diesem mächtigen ostgotischen Reich?

 

Verbündete: Erst der Hunnen, dann der Römer

Die Ostgoten waren zunächst feste Verbündete der Hunnen. Wir finden sie 451 unter Führung der Brüder Valamir, Theodomir (etwa 413 bis 474, reg. 468/469 bis 474) und Vidimir (etwa 430 bis 473) auf den Katalaunischen Feldern an deren Seite und auch noch 454 in der Schlacht am Nedao, die den Untergang des hunnischen Reiches bedeutete.

 

Mit dem Wegfall der Hunnen kamen die Ostgoten eigentlich gegen ihren eigenen Willen zu ihrer Unabhängigkeit. So ganz frei im Dort und Damals, das war ihnen dann aber doch zu riskant. Also schlossen 456 sie einen Foederatenvertrag mit den Römern in Konstantinopel und siedelten sich in Pannonien an. Dort begannen sie unter Valamir die umliegenden Ortschaften sukzessive einzugemeinden. Die eigentlich starken Gepiden (unter ihrem Anführer Ardarich Sieger am Nedao), die sich an der Theiß niedergelassen hatten, wurden vertrieben, andere Kleinreiche, die sich danach gebildet hatten, schlicht erobert. Auf die Niederlage des Sueben Hunimund 469 haben wir ja schon hingewiesen. Den Römern war dies insoweit recht, als die Goten als Foederaten ja durchaus die Aufgabe hatten, die Grenze ruhig zu halten.

 

In den Köpfen aller waren zu der Zeit natürlich immer noch die Hunnen, die ja bis vor kurzem noch das gesamte Geschehen in Europa bestimmt hatten. Unter Attilas Sohn Dengizich griffen diese noch in den 450er Jahren auch noch einmal an, konnten jedoch von den Ostgoten vernichtend geschlagen werden. Dengizich zog sich mit den verbliebenen Hunnen, darunter auch sein Bruder Ernak, in die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres zurück, von wo vor knapp einhundert Jahren die Goten vertrieben worden waren. 466/467 verhandelten die Attila-Söhne mit Konstantinopel über verbesserte Handelsbeziehungen, vor allem die Einrichtung eines Marktortes. Der Kaiser lehnte jedoch ab. Ernak zog sich daraufhin zurück, Dengizich dagegen griff an. Das war keine gute Idee. Er wurde Ende 468/Anfang 469 geschlagen und getötet. Damit waren die Hunnen endgültig ausgeschaltet, eine große Erleichterung sowohl für das Oströmische Reich als auch für die Expansionspläne der Ostgoten.

 

Valamir

Valamir, den ältesten der drei Brüder und somit König der Ostgoten haben wir ja schon kennengelernt. Er stammte aus der Familie der Amaler, zu der auch Ermanarich gehörte, der König, der sich 375 mit dem Hunneneinfall auseinandersetzen musste. Wir erinnern uns. Valamir (um 420 bis 468/469) wurde 447 König und blieb dies bis zu seinem Tod. Er sicherte das Foederatenverhältnis mit Konstantinopel, obwohl er zuvor ja lange als Bundesgenosse Attilas und seiner Söhne auf der anderen Seite gestanden hatte.

 

Vertrauen wächst langsam. Auch nach dem Seitenwechsel war das Verhältnis zum oströmischen Kaiser nicht nur entspannt. Markian stellte die Goldzahlungen ein, worauf Valamir 459 mit einem Heer gen Konstantinopel zog. Der Konflikt wurde schließlich beigelegt. Valamir einigte sich mit Leo I. auf eine jährliche Zahlung von dreihundert Goldpfund. Zudem wurde ein gewisser Theoderich, als Sohn Theodomirs ein Neffe Valamirs, als Geisel nach Konstantinopel geschickt. Wir werden noch von ihm hören. Valamir starb 468/469 im Kampf gegen die Skiren - im gleichen Jahr wie sein alter Verbündeter und späterer Widersacher Dengizich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich dabei um den gleichen Krieg gehandelt hat, in dem der hunnische König fiel. Zumindest gibt es mit Jordanes einen antiken Geschichtsschreiber, der mit den Angisciri einen skirischen Volksstamm im Gefolge Dengizich erwähnt.

 

Konstantinopel bestimmt die Geschichte

Das weitere Geschehen war nun sehr stark von den Entwicklungen im Oströmischen Reich geprägt, mit dem wir uns bisher leider noch nicht näher beschäftigen konnten. Geduld, bald ist es soweit. Ebenso wie im Westen war auch im Ostteil die Rolle des Kaisers häufig umkämpft. Der große Unterschied bestand darin, dass sich im Westen die Heermeister, im Osten dagegen die Kaiser durchsetzen konnten.

 

Einer der Heermeister in Konstantinopel, der versuchte, an die Macht zu kommen, war Flavius Ardaburius Aspar. Uns ist er schon 431 im Kampf gegen die Vandalen begegnet und wir haben von seinem Putschversuch gegen Leo I. gehört. Er stammte aus einer gotisch-alanischen Familie. Mit dieser "unrömischen" Herkunft traute er sich allerdings nicht, direkt nach dem Thron zu greifen, zumal er auch noch dem homöischen Bekenntnis anhing. Seine Blaupause glich der Ricimers: Wer unter ihm Kaiser war, war eher zweitrangig. Eine Verstetigung seiner Herrschaft versuchte Aspar durch die Heirat seines Sohnes Julius Patricius (um 450) mit der Kaisertochter Aelia Ariadne (um 450 bis 515) zu erreichen, was Leo I. jedoch erst einmal verhinderte. Am 25. April 463 gebar Leos Frau Aelia Verina einen Thronerben, was den Charme einer durch Einheirat erlangten Thronfolge natürlich deutlich senkte. Ganz aus war es, nachdem Ariadne mit Zenon verheiratet wurde, der dann später auch folgerichtig den Thron besteigen konnte – auch weil der 463 geborene Thronfolger im bereits gleichen Jahr verstorben war.

 

Auch wenn sein Plan zur Thronfolge nicht aufging, war Aspar doch für einige Jahre der entscheidende Mann in Konstantinopel. Zwar konnte er doch noch eine Ehe von Patricius mit einer Kaisertochter, Leontina (um 460) arrangieren. Es half aber nicht mehr. Letztlich unterlag Aspar in dem Machtkampf und wurde schließlich ermordet.

 

Das nutzten einige seiner Anhänger, unter ihnen der Heerführer Ostrys (um 465), sich gegen das Kaiserhaus zu erheben. Der Putsch misslang und Ostrys floh mit der Geliebten Aspars zu Theoderich Strabo »dem Schieler« (gest. 481), einem gotischen Fürsten in römischen Diensten und angeheiratetem Verwandten Aspars. Wir dürfen ihn nicht mit dem Theoderich verwechseln, der als König der Ostgoten zu einem der beherrschenden Politiker des Mittelmeerraums werden sollte. Bleiben wir lieber bei Strabo. Dessen Aufstand lohnte sich insofern, als er die Tributzahlungen Konstantinopels an die Goten auf zweitausend Goldpfund hochtreiben konnte. Er selbst wurde mehrfach oberster Heermeister im Oströmischen Reich.

 

Thrakische und Pannonische Ostgoten

Die Freude der Goten, sich in Gruppen aufzuspalten, haben wir mit den Terwingen und Greutungen bereits kennengelernt. Auch jetzt müssen wir wieder zwischen den Ostgoten unterscheiden, die Strabo folgten und damit in die Strukturen des Oströmischen Reiches eingebunden waren, und denjenigen die nach Valamirs Tod unter dem Befehl seines Bruders Theodomir standen. Strabos Truppe wird auch als die der »thrakischen Goten«, die des Theodomir als »pannonische Goten« bezeichnet.

 

Damit haben wir drei Spieler auf dem Feld. Neben Ostrom die beiden gotischen Verbände. Die Anführer beider stammten aus der Familie der Amaler. Wie wir es aus der Geschichte beispielsweise der Westgoten oder Vandalen kennen, blieb für die Goten das Römische Reich der Bezugspunkt von Denken und Handeln. Strabo saß deutlich näher an diesen Fleischtöpfen. Schon Valamir musste 459 um die Tributzahlungen kämpfen. Auch sein Nachfolger und jüngerer Bruder Theodomir brach 473 von Pannonien gen Süden auf, um seine Ansprüche als Führer aller Goten gegenüber Konstantinopel deutlich zu machen. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte und so bemühte sich Kaiser Leo I., die Zwistigkeiten zwischen den beiden Gotenführern am Leben zu erhalten. Strabos Drängen an die Macht war ihm ja schon länger suspekt.

 

Theodomir siegt

Theodomir hatte als Nachfolger Valamirs also einen schwierigen Job. Er musste die Einnahmequellen aus Konstantinopel flüssig halten, den Konkurrenten Strabo bekämpfen und nicht zuletzt natürlich auch sein eigenes Herrschaftsgebiet schützen. Die Ausschaltung von Dengizich bedeutete ja nicht, dass nun Ruhe herrschte.

 

Im Jahr 469 kam es am Fluss Bolia in Pannonien zu einer entscheidenden Schlacht, in der er nicht allein den suebischen Verband Hunimunds, von dem wir schon gehört haben, besiegte. Auch Sarmaten, Skiren, Gepiden, Rugier und weitere Gruppen griffen das ostgotische Kleinreich in Pannonien an. Für die sehr aufmerksamen Leser sei vermerkt, dass die Skiren von einem gewissen Edekon angeführt wurde. Wir kennen ihn als Vater Odoakers und als den Gefolgsmann Attilas, den Ostrom nutzen wollte, den Hunnenkönig zu töten.

 

Mit dem Sieg an der Bolia gegen die vielen Stämme gelang es Theodomir, seine pannonischen Goten zu einem Machtfaktor zu machen, den Konstantinopel deutlich ernster nehmen musste. Sein Sohn Theoderich wurde freigelassen und durfte auch gleich das Teilreich seines Onkels Valamir übernehmen. Als Jungspund musste er sich seine Autorität erst einmal erkämpfen, was ihm 470/471 mit einem Feldzug gegen die Sarmaten und der Eroberung der oströmischen Stadt Singidunum, heute Belgrad, auch trefflich gelang.

 

Sorgen

Insgesamt ging es den pannonischen Goten jedoch zunehmend schlecht, das Land konnte sie nicht mehr ernähren. Umso gravierender war die Einstellung der Zahlungen Konstantinopels, so dass der Entschluss, nach Süden zu ziehen, quasi auf der Hand lag. Leo I. war am 3. Februar 474 gestorben. Ihm folgte sein siebenjähriger Enkel Leo II. (467 bis 474, reg. 474), der auf Anraten seiner Mutter, Leos I. Tochter Ariadne, aber sofort deren Mann, seinen Vater Zenon zum Mit-Kaiser krönen ließ. Nachdem Ostrom diverse Städte verloren hatte und Thessaloniki in Gefahr geriet, hatte der Kaiser ein Einsehen und wies Theodomirs Goten Land in Makedonien zu. Der Gotenkönig konnte sich daran jedoch nicht lange freuen, noch im gleichen Jahr verstarb er.

 

Dann war Theoderich an der Reihe und das schauen wir uns das nächste Mal an.