Wahl zum Diktator
Sulla war wieder in Rom, ein von vielen ungeliebter, aber aufgrund seiner Legionen auch unumstrittener Herrscher. An den Samniten, die ihm den Einzug in die Stadt hatten verwehren wollen, rächte er sich in dramatischer Form. Mehrere tausend ließ er durch Speerwürfe töten, während er zur gleichen Zeit im Senat seine Zukunftspläne erläutert. Die Senatoren waren durch die Schreie der Opfer – vorsichtig gesagt – ein wenig irritiert. Es wird Sullas Kalkül gewesen sein, auf diese Weise sehr deutlich zu machen, was mögliche Gegner zu erwarten hätten. Derer gab es nicht so wenige, sonst hätte sich der Widerstand gegen seine Rückkehr nicht so lange hingezogen. So stand er jetzt vor der Aufgabe, seine Macht als Alleinherrscher zu sichern und dafür die formalen Regeln der Republik zu nutzen.
Das ging so: Die beiden Konsuln des Jahres 82 v. Chr. waren in den Kämpfen gegen Sulla gefallen. Für diesen Fall gab es das Amt des interrex, eines »Zwischenkönigs«, der eigentlich die Neuwahl von Konsuln organisieren sollte. Sulla bedeutete, dass er es ganz gut fände, wenn der Senat Lucius Valerius Flaccus (gest. zw. 73 und 69 v. Chr., amt. 100 und 82 v. Chr.) in dieses Amt wähle. Er war ein Cousin des uns bereits bekannten gleichnamigen Lucius Valerius Flaccus, der vier Jahre zuvor auf dem Feldzug gegen Mithridates – oder eher Sulla – von seinem Untergebenen Fimbria erschlagen worden war.
Manchmal fügen sich die Dinge ganz wundersam. Flaccus wurde überraschenderweise vom Senat zum interrex gewählt und ebenso überraschenderweise funktionierte er danach ganz in Sullas Sinne. Er ließ keine neuen Konsuln wählen, sondern ernannte Lucius Cornelius Sulla zum Diktator. Das hatte es schon gegeben, wir erinnern uns an den zögerlichen Fabius Maximus zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges. Sulla ließ sich weitgehende Vollmachten geben, die von einer Volksversammlung bestätigt wurden. Er durfte Gesetze erlassen, sogar die Verfassung ändern (das nannte sich dann: dictator legibus scribundis et rei publicae constituendae) und er durfte so lange Diktator bleiben, wie er es für richtig hielt.
Immer mehr bröckelte die alte Ordnung der Republik. Seitdem Tiberius Gracchus begonnen hatte, die Regeln zu sprengen, waren 50 Jahre vergangen und es stand kaum noch ein Stein auf dem anderen. Rom standen weitere gut 50 Jahre bevor, die die Republik wirklich von Grund auf ändern und in ein De facto-Kaisertum verwandeln sollten.
Proskriptionen
Für Sulla kam nun die Zeit der Rache, die er dem Senat bereits in seinem Brief aus dem Feldlager angekündigt hatte. Er meinte es ernst. Sehr ernst. Als Erstes traf es Praeneste, das heutige Palestrina östlich von Rom, in das sich die letzten seiner Gegner zurückgezogen hatten. Sulla befahl, alle männlichen Einwohner inklusive der dort gefangen genommenen Samniten zu töten, etwa 12.000 Menschen. Viele weitere Städte ließ er auf ihre Haltung im vergangenen Bürgerkrieg prüfen. Wer diesen Test nicht bestand, musste Land abtreten, Geldbußen bezahlen, in extremen Fällen wurde die Stadt geschleift. So gewann er Land, dass er seinen Soldaten zuweisen konnte. Viele Legionäre waren ja zu ihm übergelaufen, weil sie von ihm Siege, nach den Siegen schnelle Beute und am Ende des Krieges Land erwarteten. Diese Soldaten waren Sullas Stütze, deshalb hatten sie die griechischen Städte in Kleinasien plündern dürfen und deshalb sorgte er jetzt für die Landzuteilungen.
Auch wenn Sulla für das Jahr 81 v. Chr. wieder regulär Konsuln wählen ließ, war doch klar, wer das Sagen hatte. Am 29. Januar 81 v. Chr. gab es einen Triumphzug Sullas, der sich zudem mit dem Beinamen Felix schmückte. Damit wollte er deutlich machen, dass die Götter auf seiner Seite stünden und ihm bisher und in Zukunft helfen würden, seine Vorhaben zu verwirklichen. Der Untertitel war: Seid auf meiner Seite, sonst stellt ihr euch gegen die Götter. Er sorgte aber auch auf andere Art dafür, dass keiner sein Feind sein wollte. Wer in diesen Verdacht kam, persönlich oder politisch, dessen Leben fand häufig ein schnelles Ende. Selbst der bereits verstorbene Gaius Marius blieb nicht verschont, sein Grab wurde zerstört und seine Leiche in den Tiber geworfen.
Auf dieser Welle schwammen auch einige andere mit. Die Stimmung war von Angst und Unsicherheit geprägt. Besorgte Bürger baten Sulla, wenigstens diejenigen zu benennen, die sich nicht vor Verfolgung fürchten müssten. Er drehte den Vorschlag um und veröffentlichte eine sogenannte Proskriptionsliste. Auf dem Forum hing eine Tafel mit 80 Namen, auch hohe Würdenträger wie ehemalige Konsuln fanden sich darunter. Diese waren nun vogelfrei, wer sie erwischte und tötete, wurde mit zwei Talenten, also gut 50 Kilogramm Silber belohnt. Der Umfang dieser Listen wuchs, der ein oder andere nutzte diese Phase, um mit seinen Feinden abzurechnen. Der Besitz der Ermordeten wurde eingezogen, viele Millionen, die der Staatskasse zugutekamen. Der Hass beschränkte sich nicht allein auf die Verfolgten, auch deren Nachkommen wurden geächtet. Sie durften sich nicht mehr am politischen Leben beteiligen, was ihnen allerdings ohne die ja nicht mehr vorhandene finanzielle Basis sowieso sehr schwergefallen wäre.
350 Millionen Sesterzen soll Sulla so eingenommen haben. Die Umrechnung ist natürlich schwierig, da der Wert immer von der Kaufkraft abhängt. Ein Arbeiter hat vielleicht 50 bis 100 Sesterzen im Monat verdient, Pompeius soll Rednerhonorare bis zu 2400 Sesterzen für einen Vortrag gezahlt haben. 350 Millionen waren auf jeden Fall eine ordentliche Summe. Das Geld benötigte Sulla für seine Soldaten, aber auch für die Spiele, die er zur Beruhigung und Ablenkung des Volks veranstaltete. Sein Rückhalt war ja nicht unangefochten, wie auch die lange Bürgerkriegsphase nach seiner Rückkehr aus Griechenland zeigte. Er war ein Gegner der Popularen gewesen und diese und ihre Anhänger hatten das ebenso wenig vergessen wie er. Mit seinen Legionären und auch den 10.000 Sklaven der von ihm Verfolgten, die er pauschal freiließ und zu römischen Bürgern machte, schuf er sich seine eigene, machtvolle Gefolgschaft.
Mit einer Feuerwehr Geld verdienen
Ein halbes Jahr dauerte das Grauen. 4.700 Menschen fielen dem Wüten zum Opfer, darunter 40 Senatoren und 1.600 Ritter. Viele bereicherten sich, am meisten Marcus Licinius Crassus, der einen riesigen Grundbesitz »erwarb« und mit der Zeit zum mit Abstand reichsten römischen Bürger aufstieg. Geld verdiente er unter anderem mit seiner privaten Feuerwehr, die nur dann löschte, wenn der Hausbesitzer sich auf den geforderten Preis fürs Löschen einließ. Da die aus Holz gebauten Häuser dicht an dicht standen, bekamen auch die Nachbarn ein entsprechendes Angebot. Wer nicht zahlte, dessen Haus brannte ab. Er erhielt danach von Crassus noch ein freundliches Angebot, das Grundstück für einen Spottpreis zu verkaufen. Der Charaktertest besteht jetzt darin, ob Du eben den Begriff »geschäftstüchtig« oder »skrupellos« im Kopf hattest. Crassus und seinesgleichen profitierten auch davon, dass viele der 120.000 Parzellen, die ehemaligen Legionären zugewiesen worden waren, von diesen schnell wieder verkauft wurden. So konnten große, zusammenhängende Besitztümer, die Latifundien – wörtlich übersetzt »großräumige Landgüter« – entstehen, die die Sozialstruktur in Italien nachhaltig veränderten.
Eine neue Verfassung
Sulla konnte aber nicht nur wüten. Er versuchte, den Staat nach all den Wirren der letzten Jahre neu zu ordnen. Alle waren froh, dass die Phase des Terrors beendet war, es gab keinen erkennbaren Widerstand mehr. Sulla konnte handeln.
Er hatte aus den Entwicklungen, die mit Tiberius Gracchus begonnen hatten, gelernt, dass der Staat ein klares Machtzentrum benötigt. Das war für ihn der Senat. Die Volksversammlung war seiner - nach den Erfahrungen der letzten Zeit ja sehr begründeten - Ansicht nach zu anfällig für demagogische Beeinflussungen. Auch aus seiner persönlichen Historie heraus verwundert es nicht, dass er die Macht des Senats stärkte und die der Volkstribune und auch der Ritter beschnitt. Die bisher vom Ritterstand beherrschten Gerichte wurden zu Gunsten des Senats umgestaltet. Da der Senat durch Bürgerkrieg und Proskriptionen viele Mitglieder verloren hatte, bestand auch hier Handlungsbedarf. Sulla erweiterte das Gremium von 300 auf 600 Mitglieder, wodurch auch viele Ritter die Chance bekamen, gesellschaftlich aufzusteigen. Durch diese Erweiterung bestand der neue Senat allerdings zu nahezu drei Vierteln aus politischen Neulingen. Die Ideen waren nicht neu, Drusus hatte sie zehn Jahre zuvor bereits schon einmal umgesetzt, allerdings wurden sie kurz danach gleich wieder einkassiert.
Volkstribunen wurde es verboten, künftig ohne Zustimmung des Senats in der Volksversammlung Gesetzesvorschläge einzubringen. Auch das Vetorecht wurde auf die Fälle beschränkt, in denen ein Bürger konkret durch eine Maßnahme der Regierung betroffen war und Unterstützung suchte. Zudem war es Volkstribunen nunmehr nicht mehr möglich, nach einem Tribunat nochmal irgendeine andere Rolle in dem cursus honorum zu übernehmen. Damit war das Amt für alle, die eine politische Karriere anstrebten, vergiftet.
Auch andere Karrierewege ordnete Sulla neu. Prätoren waren künftig nur noch Richter, die Funktion als Statthalter in Provinzen konnten sie im Anschluss als Proprätoren übernehmen. Die Möglichkeit, auf dem Karrierepfad das Amt des Prätors zu überspringen, wie es sich aufgrund des dafür aufwendig zu lernenden notwendigen juristisch-formalen Fachwissens ein wenig eingebürgert hatte, wurde gestrichen. Erst Quästor, dann Prätor und erst dann Konsul, das war der unabdingbare Weg, den Sulla einforderte. Auch die unmittelbare Wiederwahl eines Konsuls untersagte er, erst nach zehn Jahren dürfe man sich wieder bewerben. Es war ihm durchaus ernst mit diesen Regeln. Als sich Quintus Lucretius Ofella (gest. 81 v. Chr.), der sich als Mitstreiter auf dem zweiten Marsch nach Rom durchaus verdient gemacht hatte, als Konsul zur Wahl stellen wollte, ließ Sulla ihn auf offener Bühne erschlagen. Er war eben nicht vorher Quästor und Prätor gewesen. Hätte er mal gut zugehört.
Wir sparen uns die weiteren Gesetze, die Sulla erließ. Wichtig ist noch, dass er – wahrscheinlich auch aus einer gewissen Reflexion seines eigenen Weges heraus – für eine striktere Trennung zwischen Zivil- und Militärwesen sorgte und nicht nur Rom, sondern ganz Italien zur demilitarisierten Zone erklärte. Auch dies sollte mögliche Angriffe gegen seine Ordnung verhindern.
Das Ende
Nachdem Sulla seine Reformen durchgesetzt hatte, legte er 79 v. Chr. sein Amt als Diktator nieder und zog sich auf sein Landgut zurück. Bereits ein gutes Jahr später starb er. Ob dieser überraschende Rückzug eher persönlich, vielleicht durch eine Krankheit, motiviert war, oder aus der politischen Einsicht erfolgte, dass man nicht eine Republik retten kann, wenn man dauerhaft als Diktator agiert, muss offenbleiben. Als erster Römer bekam er ein Staatsbegräbnis.
Was blieb von Sulla? Seine Reformen waren nur bedingt nachhaltig. Vier Dinge können wir uns merken, wenn wir retrospektiv auf sein Wirken schauen. Auf der einen Seite (1) blieb die von ihm geregelte Struktur der Ämterlaufbahn bis in die Kaiserzeit gültig. Die (2) Volkstribune hatten indessen bereits nach acht Jahren ihre vorherigen Rechte wiedererhalten – einschließlich der Möglichkeit in den Folgejahren weitere politische Ämter bekleiden zu können – und konnten so eine wirkungsmächtige Opposition zum Senat bilden. Dessen (3) Vergrößerung sorgte zudem eher für eine Schwächung. Es war – auch aufgrund des Aderlasses durch Sullas Proskriptionen – nicht mehr die Versammlung der Aristokraten, deren Selbstverständnis es war, den Staat bestmöglich führen zu wollen. Persönliches Prestige und Aufsteigertum dominierten. Für Männer der alten Schule wurde es immer schwieriger, den Senat zu führen – allein auch schon aufgrund der doppelt so hohen Zahl an Senatoren. Und last but not least konnte (4) die Vorgehensweise Sullas bei und kurz nach seiner Machtergreifung nicht ohne Folgen bleiben. Sein ordnungspolitisches Reformwerk, dass die Strukturen des Staates stärken sollte, war kontaminiert durch die Art und Weise, wie er sich an die Macht geputscht hatte und durch die Brutalität des ersten Halbjahres 81 v. Chr.
Wir werden sehen, dass andere dabei sehr gut aufgepasst haben. Bereits 77 v. Chr. zog Marcus Aemilius Lepidus (etwa 121 bis 77 v. Chr., amt. 78 v. Chr.) mit einem Heer gegen Rom, weil er die Reformen Sullas rückgängig machen wollte. Er wurde zwar von Sullas Anhängern unter Führung seines Konsul-Kollegen Quintus Lutatius Catulus (etwa 121 bis 61 v. Chr.) sowie von Sullas General Gnaeus Pompeius – mehrfach – geschlagen und musste nach Sardinien fliehen. Die Idee mit Soldaten an die Macht zu kommen und die Politik zu beeinflussen, war aber im Raum.
Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, hier haben die Mittel den Zweck nachhaltig beschädigt. Die Niederlegung seines Amtes ist aus der heutigen Sicht nicht wirklich gut zu erklären. Caesar bezeichnete es etwas später als politisches Analphabetentum. So haben wir Sulla aber nicht kennengelernt. Das Zeichen, Macht freiwillig abzugeben, hat es nicht oft in der Geschichte gegeben. In Rom war es erst 384 Jahre später Diocletian (242/245 bis 311/312, reg. 284 bis 305), der diesen Schritt ging. Wenn wir uns an Sulla erinnern, wollen wir an seine Erfolge, seine Grausamkeit, seine Reformen und an diesen freiwilligen Rückzug denken und uns wieder einmal der Ambivalenz menschlichen Handelns bewusst werden.
Das nächste Mal schauen wir dann, wie es nach dem Rückzug des Diktators weiterging.