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(72) Gaius Marius: Kimbernkriege, Reformen und ein Putschversuch?

Kimbern & Co.: Von Jütland nach Kärnten

Parallel zum langwierigen Krieg gegen Jugurtha konnten sich die römischen Aristokraten auch im Norden blamieren. Dort waren um 120 v. Chr. aus dem heutigen Jütland die Kimbern und Teutonen oder zumindest größere Teile dieser Stämme aufgebrochen und nach Süden gezogen. Was der Auslöser für diese Wanderungsbewegung war, ist unklar. Klimatische Veränderungen sind nicht unwahrscheinlich. Welcher Art diese waren, lässt sich aber nicht leicht rekonstruieren. Grundsätzlich sehen wir in den Jahren zwischen 200 v. Chr. und 150 n. Chr. eine Phase der Erwärmung, das sogenannte »Römische Klimaoptimum«. Dies mag in küstennahen Gebieten durchaus dazu geführt haben, dass es mehr Sturmfluten und Überschwemmungen gab. Es ist aber reine Spekulation. Die Germanen waren schreibfaul. Es gibt keinerlei schriftliche Aufzeichnungen, die uns hier helfen könnten.

 

Auf dieser Wanderung veränderte sich immer wieder die Zusammensetzung des Zuges. Es kamen kleinere Gruppen und auch ganze Stämme wie die Ambronen hinzu, deren Heimat die einen Forscher auf der Nordseeinsel Amrum, die anderen an der bayerischen Amper verorten. Irgendwo dazwischen wird es schon gewesen sein, Hauptsache mit »A« und »m«. Man zog zuerst nach Südosten über Böhmen, wo, wie wir wissen, die Boier lebten, dann weiter nach Slowenien und Nordkroatien. An den Scordiscern, die schon den Römern Probleme bereitet hatten, kam man nicht vorbei, also ging es zurück nach Nordwesten, wo im heutigen Kärnten die Taurisker ihren Verbündeten Rom um Hilfe gegen die marodierenden Germanen bat.

 

Rom greift ein - und scheitert

Rom griff also ein und es passierte das, was wir schon häufiger gesehen haben: Die ersten Versuche, der Sache Herr zu werden, gingen schief. Konsul Gnaeus Papirius Carbo (amt. 113 v. Chr.) unterlag 113 v. Chr. bei Noreia im heutigen Österreich. Die Germanen zogen weiter, allerdings nicht nach Italien, sondern nördlich der Alpen nach Westen. Am Oberrhein schlossen sich ihnen die Tiguriner und Tougener an und bald fand man sich in Südfrankreich, in der gerade von Rom etablierten Provinz Gallia Transalpina, später dann als Gallia Narbonensis bekannt. Man schätzt, dass mittlerweile insgesamt etwa 300.000 Menschen unterwegs waren. Im Rhônetal versuchten es die Römer unter Konsul Marcus Junius Silanus (amt. 109 v. Chr.) ein weiteres Mal. Es ging ein weiteres Mal schief. Die Germanen zogen allerdings auch ein weiteres Mal nicht in Richtung Italien. Anscheinend schien die Beute in Zentralgallien einfacher zu erreichen und auch für die Vielzahl der Menschen in ausreichender Menge verfügbar zu sein. Der Verzicht auf Italien hieß ja nicht, dass man die Römer nicht schlagen konnte. 107 v. Chr. wurde der Konsul Lucius Cassius Longinus (gest. 107 v. Chr., amt. 107 v. Chr.) sogar in einer Schlacht getötet, das Heer musste kapitulieren. Die dritte totale Niederlage nach Numantia 137 v. Chr. und in Afrika gegen Jugurtha 110 v. Chr.

 

Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass man in Rom nervös wurde und das Volk zunehmend unruhig und beeinflussbar. Die nächste Niederlage ließ zudem nicht lange auf sich warten. 105 v. Chr. wurde neben dem in Südfrankreich unter Führung des Prokonsuls Quintus Servilius Caepio (amt. 106 v. Chr.) stationierten Heer ein weiteres aufgestellt und unter dem Konsul Gnaeus Mallius Maximus (amt. 105 v. Chr.) in die Provinz entsandt. Leider war es nicht möglich, dass sich beide Heere zu einem übermächtigen vereinigten. Der Stolz und Ehrgeiz Caepios verhinderte dies. Er stammte im Gegensatz zu Mallius aus einer sehr viel angeseheneren, gesellschaftlich hochstehenden Familie und wollte sich nicht diesem Emporkömmling unterstellen. Er sah sich schon als strahlender Sieger im Triumphzug durch Rom ziehen und wollte dieses Erlebnis nicht einem anderen überlassen. Die so getrennten Truppen unterlagen bei Arausio, dem heutigen Orange, erneut. Es war eine der schwersten Niederlagen der römischen Geschichte mit angeblich mehr als 80.000 gefallenen Soldaten. Das wären um ein Drittel mehr als bei der Niederlage von Cannae 111 Jahre zuvor. Man hätte sich das alles sparen können, wenn man der Bitte der Germanen gefolgt und ihnen Siedlungsraum zugewiesen hätte. Hat man nicht getan und nun hatte man den Salat. Jugurtha war glücklich besiegt, die Kimbern und ihre Mitstreiter bei weitem noch nicht.

 

Gaius Marius rettet…

Dies gelang erst Gaius Marius, der ja letztlich auch den Krieg in Afrika erfolgreich beenden konnte. 102 v. Chr. schlug er die Teutonen und Ambronen bei Aquae Sextiae und im Jahr darauf am 30. Juli 101 v. Chr. die Kimbern, die bis in die Poebene vorgedrungen waren bei Vercellae, heute Vercelli. Wieder einmal hatte Rom trotz vieler Fehlschläge und Niederlagen nicht Mut und Geduld verloren und am Ende obsiegt. Was mit den besiegten Germanen passierte, wieviele überlebten, wieviele gefangen und als Sklaven verkauft wurden, wieviele fliehen konnten - und wohin -, das alles wissen wir nicht. 

 

…und reformiert

Eine Voraussetzung für Marius' Siege, die auch eine gewaltige Nachwirkung hatte, war die Reform, mit der Marius dem römischen Heer mehr Schlagkraft gab. Er steigerte die Intensität der Ausbildung, er gab den kleineren, etwa 600 Mann starken Kohorten gegenüber den Legionen, die aus zehn Kohorten bestanden, sehr viel mehr Handlungsfreiheit und erhöhte so Einsatzfähigkeit und Flexibilität des Heeres. Zudem setzte er, wie bei seinem Afrikafeldzug begonnen, weiter darauf, auch Besitzlose zu rekrutieren. Schmackhaft sollte ihnen der Militärdienst durch das Versprechen gemacht werden, an der möglichen Beute beteiligt zu werden und nach dem Ausscheiden Land zu erhalten.

 

Marius' Reformen hatten zwei Effekte, die für die Zukunft wichtig waren. (1) Der Zulauf der Besitzlosen in die Armee und die für sie bestehende Notwendigkeit, so lange zu dienen, bis sie eine zukunftssichere Versorgung in der Regel durch Zuweisung von Landparzellen erhalten konnten, beförderte den Trend zur Berufsarmee. (2) Die Abhängigkeit von diesen Zuweisungen wiederum sorgte dafür, dass sich eine besondere Loyalität zwischen dem Soldaten und seinem Feldherren entwickelte, der diese Landverteilung aus dem ager publicus sicherzustellen hatte. Damit bekamen die Kommandeure eine zusätzliche Machtoption, die sie auch innenpolitisch einsetzen konnten. Der bisher einzige Fall eines Einsatzes von Soldaten in der Innenpolitik – der Niederschlagung des Aufstands von Gaius Gracchus – hatte nicht diesen Hintergrund gehabt. Wir werden aber sehen, dass es künftig durchaus anders zuging. Seinen Ausgangspunkt hatte dies – höchstwahrscheinlich ungewollt – in den Militärreformen des Gaius Marius.

 

Die Spaltung der römischen Innenpolitik verschärfte sich in den Folgejahren. Die Popularen nutzten die Niederlagen der Konsuln in den diversen Schlachten, um die Stimmung weiter in ihre Richtung zu drehen. Der Verursacher der Niederlage von Arausio, Servilius Caepio, wurde durch Entscheid der Volksversammlung seines Kommandos enthoben. Auch dies war neu in Rom. Wie üblich gab es zwar auch hierbei Volkstribune, die gerne ihr Veto eingelegt hätten, diese wurden aber mit Gewalt an ihrer Amtsausübung gehindert. Nun kann man diese Entscheidung inhaltlich durchaus für angemessen halten, da die Leistungen der Optimaten in den Kriegen in Afrika und gegen die Kimbern und Teutonen alles andere als überragend waren und beide Male erst der aus dem Volk stammende Marius die Situation retten musste. Gleichwohl ist der Umgang mit den tradierten Regeln der Verfassung bemerkenswert. Sie war nicht mehr das unantastbare Gerüst des Staates, persönliche Machtpolitik und die entsprechende Instrumentalisierung von Menschen und Staatsorganen wurde immer prägender.

 

Marius spielte durchaus auch auf diesem Klavier. Das Vertrauen, das er im Volk besaß, brachte ihm – auch dies im Widerspruch zu den Regeln – fünf aufeinander folgende Konsulate ein (104 bis 100 v. Chr.). Bereits 107 v. Chr. war er Konsul gewesen und 86 v. Chr. wurde er es noch einmal, also sieben Konsulate insgesamt. Julius Caesar kam nur auf fünf. Doch wir wollen nicht vorgreifen.

 

Saturninus greift nach der Macht

Marius‘ Rückhalt in der Gesellschaft waren vor allem die Veteranen, die ihre Hoffnungen in den erfolgreichen Feldherren setzten. Zudem verband er sich mit Lucius Appuleius Saturninus (um 138 bis 100 v. Chr.), der in Rom das Volk geschickt umgarnte und aktiv Politik gegen die Nobilitas machte. Ihm gelang es, ein Gesetz durchzubringen, dass jede Beleidigung der »Majestät des Volkes« unter Strafe stellte (lex de maiestate). Das war natürlich ein prima Machtinstrument für Populisten, denn was nun die Majestät des Volkes so ganz genau war, das stand nirgendwo. Solche Gesetze sind ja auch heutzutage in manchen Staaten en vogue. Auch ein Ackergesetz, das jedem, der in Afrika gekämpft hatte, 25 Hektar Land zusprach, wurde verabschiedet, was die Bindung der Veteranen an Marius und mit ihm Saturninus noch kräftigte.

 

Die Rolle der Veteranen sollte das Klima in Rom weiter verschärfen. Bei der Durchsetzung von Gesetzesvorhaben sorgten sie mit physischer Gewalt für die entsprechende Stimmung. Volkstribunen, die gegen Vorlagen von Saturninus sprachen, wurden gewaltsam von der Rednertribüne entfernt. Rom galt ja eigentlich als entmilitarisierte Zone. Durch die Anwesenheit der Veteranen konnte faktisch davon keine Rede mehr sein.

 

Marius eiert…

Marius bekam ob der Machtentfaltung des Saturninus bald kalte Füße. Jener hatte verlangt, dass ein Gesetz zur Landverteilung, dass auch Bundesgenossen ohne römisches Bürgerrecht und Ländereien in eroberten Gebieten wie Korsika oder Griechenland berücksichtigte, von jedem Senator zu beeiden sei, um nachläufige Gegenmaßnahmen beziehungsweise sukzessives Untergraben der Ausführung auszuschließen. Da Marius immer noch davon träumte, irgendwann auch Mitglied der Nobilitas zu werden und sein Image als Emporkömmling, als homo novus, abzustreifen, eierte er bei der Umsetzung dieses Verlangens herum. Er wollte es sich mit den Optimaten im Senat nicht ganz verderben. Schließlich leistete er den Eid und mit ihm alle Senatoren, bis auf seinen alten Widersacher. Metellus blieb standhaft und ging lieber ins Exil. Marius hatte auf beiden Seiten verloren, unklare Haltungen rächen sich meist.

 

…kriegt aber die Kurve

Saturninus glaubte sich nun auf der sicheren Seite und meinte, die Veteranen stünden hinter ihm. Sein Kompagnon Gaius Servilius Glaucia (gest. 100 v. Chr.) sollte als Konsul Nachfolger von Marius werden, er selbst als Volkstribun am Hebel der machtvollen Volksversammlung agieren. Der Plan ging schief, obwohl die beiden äußerst brutal vorgingen und den Kandidaten des Senats für das Konsulamt, Gaius Memmius, ermorden ließen. Der Senat erklärte daraufhin den Staatsnotstand und Marius musste sich entscheiden, auf welcher Seite er stand. Er hielt sich an die Senatspartei und stellte sich gegen seinen alten Partner.

 

Jetzt kam es auf die Veteranen an. War ihre Enttäuschung über das schwankende Verhalten von Marius so groß, dass sie ihm hier nicht mehr folgten? Darauf hatte Saturninus spekuliert, dabei aber die Treue der Soldaten zu ihrem Feldherrn, die sich über die ganzen letzten Jahre gehalten hatte, unterschätzt. So war Saturninus‘ und Glaucias Versuch, die Macht zu übernehmen, schnell vorbei. Das Gleiche galt für ihr Leben.

 

Es waren unruhige Jahre in Rom, die durch die vielen nicht unterbundenen Regelbrüche den Boden für die Bürgerkriege der kommenden Jahrzehnte bereiteten. Gleichzeitig zu den innenpolitischen Auseinandersetzungen gab es nahezu laufend Kriege. Hinzu kamen Sklavenaufstände. Nach dem in den Jahren 136 bis 132 v. Chr. auf Sizilien, den wir schon kurz erwähnt hatten, gab es zwischen 104 und 101 v. Chr. – parallel zur Endphase der Kimbernkriege – einen weiteren, ebenfalls in Sizilien, für dessen Niederschlagung Rom immerhin auch drei Jahre benötigte. Das alles war aber nicht mehr so existentiell, dass man sich die Machtkämpfe im Inneren nicht hätte leisten können. Das Römische Reich war außenpolitisch nicht mehr in Gefahr.

 

Dafür brodelte es in Italien. Wir schauen uns das das nächste Mal an.