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(12) Die kognitive Revolution

Erste Versuche

Bereits vor gut 120.000 Jahren gab es den ersten Ausbruchsversuch. Homo sapiens wollte raus aus Afrika. Auf dem nördlichen Weg misslang dies. Im Nahen Osten war Schluss, obwohl es damals dort sicher nicht die spannungsgeladene Atmosphäre heutiger Tage gegeben haben wird.

Eine südliche Route über das Rote Meer über die Meerenge an dessen südlichem Ausgang auf die arabische Halbinsel war erfolgreicher. So fand man in Saudi-Arabien 120.000 Jahre alte Fußspuren, die dem Homo sapiens zugeordnet werden. Von dort aus hätte es dann immer weiter an der Küste, rund um Indien und Südostasien bis hinüber nach Australien gehen können. Wie weit diese erste Reisegruppe kam, ist allerdings ungewiss. Wir dürfen uns das alles ja nicht als geplante Expedition vorstellen, eher als behutsames Vortasten weniger Menschen in eine neue Welt, in der man sich für die nächste Zeit ein wenig bessere Lebensbedingungen, mehr Jagderfolge, weniger Konkurrenz, versprach.

Andere Gruppen der Gattung Homo hatten im Norden ebenfalls die Levante erreicht und zogen dann als Neandertaler weiter nach Europa und als Denisova-Menschen nach Asien. Funde - Zähne und Fragmente von Finger- und Zehenknochen - sind aus der Denissowa-Höhle im Altai-Gebirge im südlichen Sibirien bekannt. Für unsere Vorfahren war es aber aus irgendwelchen Gründen zu ungemütlich und der Homo sapiens zog sich für weitere einige zehntausend Jahre nach Afrika zurück.

 

Die Wanderungen, die unsere Urahnen vollzogen, rekonstruieren Forscher nicht allein aus Fossilienfunden, sondern auch aus Genanalysen indigener Volksgruppen. Da die Geschwindigkeit abgeschätzt werden kann, in der sich Mutationen im genetischen Code herausbilden, kann der Zeitraum, in der sich einzelne Volksgruppen von anderen absonderten, eingegrenzt werden. Auf die mitochondriale Eva und ihren Kollegen, den Y-Chromosom-Adam, haben wir ja bereits verwiesen. Diese Studien zeigen auch, dass wir Menschen untereinander sehr verwandt sind. Bei allen Unterschieden in Haut- und Haarfarbe sind sich zwei Menschen doch genetisch ähnlicher als zwei Schimpansengruppen, die an den gegenüberliegenden Ufern eines Flusses in Zentralafrika leben. Ob das auch für Oberbayern gilt, wird noch geprüft.

 

In dieser Zeit entwickelte der Homo sapiens sich weiter, so dass er irgendwann einen erfolgreicheren zweiten Versuch in Richtung Norden starten konnte. Das war der endgültige Siegeszug über alle Kontinente, der vor etwa 15.000 Jahren mit dem Erreichen Amerikas nahezu, aber eben noch nicht ganz vollendet war. Das Terrain, auf dem wir hier herumstapfen, ist aber so unsicher, dass wir mit diesen Jahreszahlen immer ein wenig vorsichtig und neuen Gedanken immer offen gegenüber stehen sollten. Bleiben wir also weiterhin wachsam. Letztlich endete die Besiedlung der Welt durch den Homo sapiens aber erst vor 750 Jahren mit der Landnahme Neuseelands durch die Polynesier (frühestens im Jahr 1280 n. Chr.). Wir schauen uns den Prozess das nächste Mal noch ein wenig genauer an.

 

Ein Vulkan als Evolutionsbeschleuniger?

Was war passiert, dass beim zweiten Mal der Weg in die Welt so erfolgreich und unaufhaltsam war?

Eine Theorie geht so: In Sumatra brach vor 74.000 Jahren der Vulkan Toba aus. Den Kratersee, der immerhin drei Mal so groß ist wie der Bodensee, kannst Du heute noch im Norden der Insel anschauen. Es gibt Forscher, die vermuten, dass durch den Ausstoß von 2.800 km³ vulkanischen Gesteins und der Verteilung von 800 km³ Asche in der Atmosphäre sich das Klima so stark abgekühlt habe, dass der Mensch kurz vor dem Aussterben stand. Nur noch wenige tausend Individuen sollen existiert haben, ein sogenannter genetischer Flaschenhals.

Die Existenz solcher Knotenpunkte in unserer aller Ahnenreihen haben wir das letzte Mal bereits erwähnt. Eine Folge dieses Knotens sei gewesen, dass in der mit der folgenden Erwärmung einhergehenden Erholung die Evolution einen qualitativen Sprung gemacht habe. Leider lässt sich diese schöne Kausalkette nicht durch hinreichende archäologische Funde untermauern.

Auch nach der Saale-Eiszeit soll es einen dramatischen Einbruch der Weltbevölkerung gegeben haben. Man nimmt an, dass vor 120.000 Jahren nur wenige hundert Individuen des Homo sapiens gleichzeitig gelebt haben, von denen dann ein paar auch noch übers Rote Meer gen Osten aufgebrochen sind. Durch diese Flaschenhälse ist die genetische Variabilität der heutigen Menschheit sehr gering.

So schön die Toba-Theorie ist, es gibt keine Belege. Wir können aber von einer Dynamik in der menschlichen Entwicklung ausgehen, deren Auslöser mit einer durchaus hohen Wahrscheinlichkeit klimatische Veränderungen war.

 

Auch in früheren Zeiten hat es derartige Engpässe in der Menschheitsentwicklung gegeben. Bereits vor etwa 900.000 Jahren soll die Population wahrscheinlich aufgrund von massiven Veränderungen des Klimas auf etwa 1280 Individuen zurückgegangen sein und für lange 100.000 Jahre auf diesem Niveau stagniert haben. Diese Erkenntnisse stammen aus Genanalysen heutiger Menschen, die denn durch Modellrechnungen rück-extrapoliert wurden, beziehen sich somit also »nur« auf die Menschen, die wir als Vorfahren der heutigen Menschheit betrachten können. Es mag also durchaus voller gewesen sein, nur eben von Kollegen, deren Nachfahren sich dann am langen Ende nicht durchsetzen konnten. Da man vor 813.000 Jahren eine signifikante Verbesserung der klimatischen Bedingungen erkennen kann, wird es danach mit unseren Urahnen auch wieder bergauf gegangen sein.

 

Revolutionen

Bevor der Mensch sich auf den Weg rund um die Erde machte, musste er die entsprechenden Fähigkeiten entwickeln. Schauen wir also, was sich vor 70 bis 50.000 Jahren evolutionär veränderte und was Experten als kognitive Revolution und einen der drei wesentlichen Entwicklungsschübe der Menschheit betrachten. Wir werden uns dann auch bald mit dem nächsten großen Schritt, der neolithischen Revolution beschäftigen, in der wir vor knapp 12.000 Jahren vom Jäger und Sammler zum Bauern wurden. Auf den dritten Schub, die wissenschaftliche Revolution werden wir dann wieder ein wenig warten, weil dazwischen dann sehr viel passiert ist. Du siehst, die betrachteten Zeiträume werden kürzer, der Stoff wird mehr. Keine Sorge, wir schaffen das schon.

 

Erfindungen

Wir befinden uns vor 70.000 Jahren ja noch mitten in einer kalten Phase der Weichsel- oder Würm-Eiszeit. Gleichwohl muss es zumindest ein wenig wärmer geworden sein, was die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten unserer Vorfahren sehr begünstigt haben wird. Wir unterstützen daher vorbehaltlos jede Energiekostenunterstützung für Schüler und Studenten.

Hatte sich im Leben des Homo erectus über eine Million Jahre kaum etwas verändert und war auch der Homo sapiens die letzten 200.000 Jahre nicht durch eine massive Entwicklungsgeschwindigkeit aufgefallen, gab es jetzt den »großen Sprung nach vorne«. Und der war erfolgreicher als die Maßnahmen, die Mao Zedong 1958 in China anzettelte. Wir wissen nicht genau, was dazu führte, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit so drastisch zunahm. Vielleicht war ein früher Leonardo unterwegs. Aber plötzlich gab es neben deutlich feineren praktischen Werkzeugen wie aus Knochen gefertigte Nadeln mit Ösen auch eher kulturell und vielleicht religiös geprägte Produkte wie Schmuck, z. B. Perlenketten, Musikinstrumente wie Flöten und auch Malereien mit Farbpigmenten an Felswänden. Wir finden jetzt Zeugnisse von Menschen, die uns sehr ähnlich sind. Wir könnten uns mit ihnen unterhalten - abseits der Sprachbarrieren natürlich - und sie würden wohl auch sehr schnell ein Smartphone beherrschen – zumindest genauso gut wie ein Grieche oder Römer der Zeitenwende, deren elektrotechnische Vorbildung auch nur rudimentär ausgeprägt gewesen sein wird.

 

Sprache

Auch die sprachliche Entwicklung muss zu diesem Zeitpunkt einen Schritt nach vorne gemacht haben. Tiere kommunizieren und auch die Vorläufer des Homo sapiens haben kommuniziert. Gerne werden die Grünen Meerkatzen aus der Unterfamilie der Backentaschenaffen als Beispiel genommen. Diese kennen unterschiedliche Warnrufe, so für »Vorsicht Löwe!« und »Vorsicht Raubvogel!«. Beim ersten Ruf tobt die Meute auf die Bäume, beim zweiten lässt sie das lieber. Manche rufen auch »Vorsicht Löwe!«, wenn keine Raubkatze in der Nähe ist, nur um sich die leckere Banane zu schnappen, die der verängstigte Kollege bei seiner Flucht auf den Baum liegen gelassen hat. Diese solidarische Freundlichkeit gibt es also nicht allein beim Menschen.

 

Beim Homo sapiens muss sich vor 70.000 Jahren eine zusätzliche Qualität der Sprache entwickelt haben. Ausschlaggebend für die Fähigkeit, klare Laute, die mehr sind als ein Grunzen oder Schreien, zu erzeugen, sollen fehlende Membranstrukturen an den Stimmlippen seines Kehlkopfs sein. Diese schwingen bei Schimpansen und anderen Affen unregelmäßig und lösen so abrupte Frequenzübergänge aus. Der Mensch kann hier Laute gesteuerter und damit differenzierter und klarer erzeugen. Wir nennen das dann »Sprechen«. Wahrscheinlich begann die Entwicklung über Gesten und Lautmalereien, so wie wir heute mit Menschen kommunizieren, deren Sprache wir nicht verstehen – insbesondere, wenn der Akku des Smartphones seinen Geist aufgegeben hat und wir das Übersetzungsprogramm nicht nutzen können.

 

Kooperation

Menschen waren aufgrund ihrer geistigen Fähigkeit nun in der Lage, in Symbolen zu sprechen (und zu denken). Wenn sie eine Muschel sahen, war dies nicht nur eine mögliche Nahrungsquelle, sondern sie sahen in ihr auch möglicherweise das Rohmaterial für ein Werkzeug oder ein Schmuckstück. So entstanden drei Funktionen der Sprache, die dem Homo sapiens einen deutlichen Vorteil im Kampf ums Überleben ermöglichten, wobei wohl auch der Neandertaler zumindest von der Anatomie her nahezu gleiche Fähigkeiten der Sprachwahrnehmung hatte wie der moderne Mensch.

  1. Er war in der Lage, komplexere Pläne auszuhecken und diese gemeinsam mit seinen Kumpanen auch umzusetzen. Man kreiste dann eine Gruppe von Wildpferden oder anderen Beutetieren ein, trieb sie in eine enge Schlucht und massakrierte sie dort. Das Abendbrot war gesichert und für das Frühstück blieb auch noch etwas übrig, was man mit Hilfe des Feuers, das man jetzt auch jederzeit entfachen konnte, haltbar machen konnte. So bekam der Onkel auf Dienstreise auch noch ein paar Tage später seinen Teil.
  2. Die Mitglieder einer Gruppe konnten übereinander sprechen. Die Rituale, die bei den Schimpansen beispielsweise in der gegenseitigen Fellpflege für ein gemeinsames Empfinden als einander zugehörige Gruppe sorgen, gingen auf die Sprache über. Dies ermöglichte eine Verdreifachung der Gruppengröße, die einen solchen Zusammenhalt pflegen konnte, von 55 auf etwa 150 Individuen. Und mit größeren Gruppen lassen sich noch mehr Wildpferde fangen - falls der Onkel noch Geschäftsfreunde mitbrachte. Wir sind über diese Entwicklung ganz froh, nicht jeder möchte schließlich seinen Chef lausen.
  3. Das Abstraktionsvermögen nahm zu. Ein Löwe war nicht mehr nur ein gefährliches Raubtier. Man konnte ihn auch zu einem Schutzpatron der eigenen Gruppe erklären. Beim Nachbarstamm mag es dann der Elefant gewesen sein und bei einem dritten der Fluss mit dem mächtigen Wasserfall. So unterschieden sich die Gruppen voneinander und wussten, dass man beim gegenseitigen Besuch Scherze über Löwen, Elefanten oder die Fische des Flusses lieber unterließ. Menschen, die sich nicht kannten, konnten über solche fiktiven Dinge in einer einvernehmlichen Gesamtsicht sprechen. Auf diese Weise gab es dann auch Erklärungen für das Unerklärliche, beispielsweise Naturphänomene wie Blitze, Donner oder Regenbögen.

Eine Folge dieser Entwicklung war, dass Menschen seither in der Lage sind, sehr schnell Veränderungen in ihrem sozialen Umfeld zu vollziehen, ein Turbo für die weitere Entwicklung. Wenn man überzeugt war, dass der Löwe als Schutzgeist weniger erfolgreich war als der Elefant, dann war man schnell in der Lage, die Rituale der Gruppe zu übernehmen, die dies schon viel früher erkannt hatte. Das ging und geht übrigens auch, wenn man nicht überzeugt war, es aber persönlich oder für die Gruppe vorteilhaft erschien. Auf diese Weise konnten auch Gruppen untereinander in Interaktion treten, es konnten sich Regeln der Kooperation entwickeln.

500 Schimpansen gleichzeitig im Einkaufszentrum würden nicht alle Affen und auf jeden Fall das Einkaufszentrum nicht überleben. Wir können uns dagegen darauf verlassen, dass wir auch nächsten Sonnabend dort wieder unseren Großeinkauf erfolgreich werden bewältigen können.

 

Diese Fähigkeit zum organisierten Handeln in großen Gruppen und Verbänden war das wesentliche Erfolgskriterium, warum es dem Homo sapiens letztlich gelang, die im Zweifel individuell körperlich überlegenen Konkurrenten der anderen Menschenarten letztlich zu verdrängen. Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von einer hyperkooperativen Lebensform des Homo sapiens, die wesentlich darauf basiert, dass man voneinander die gemeinsamen Hintergründe und Ziele kennt, zu deren Erreichung man sich dann gerne koordiniert, kooperativ und kommunikativ zusammentut. Manchmal hat man den Eindruck, dass uns diese Fähigkeit irgendwie wieder abhanden gekommen ist. Die Zahl der Berater, Coaches und Therapeuten, die Menschen und Unternehmen helfen müssen, und allein der schlichte Blick in die Schlagzeilen der Tageszeitungen lassen einfache Gemüter wie mich hie und da doch schaudern.

 

Sprache? Sprachen! 

Wir wissen nicht, wie ausdifferenziert die Sprache unserer Urahnen zur Zeit der kognitiven Revolution war - und wie viele dieser Ursprachen es gegeben haben mag.

Heute gibt es weltweit ungefähr 6.500 Sprachen, die sich 180 Sprachfamilien zuordnen lassen. 120 einzelne Sprachen verweigern sich einer solchen Zuordnung. Die bekannteste Sprachfamilie ist das Indogermanische, das sich in 280 Sprachen aufteilt. 220 davon sind noch lebende, die von etwa drei Milliarden Menschen muttersprachlich gesprochen werden. Das sino-tibetische mit etwa 1,3 Milliarden Sprechern ist die nächstgrößere Sprachfamilie.

 

Forscher haben Belege gefunden, beispielsweise einen in allen Sprachen ähnlichen Kernwortschatz, die es hinreichend wahrscheinlich machen, dass sich unterschiedliche Sprachfamilien auf eine gemeinsame Ursprache zurückführen lassen. So gehen so unterschiedliche transeurasische Sprachen wie Türkisch, Japanisch, Koreanisch oder Mongolisch auf eine gemeinsame Ursprache zurück. Ähnliche Wörter für Säen, Feld, Mahlen, Weben oder Hirse deuten auf eine gemeinsame Vergangenheit an hirseanbauenden Menschen in Nordchina hin. Dort haben die Archäologen zumindest Funde entdeckt, die auf Hirsebauern deuten, die auch gewebte Kleidung hergestellt haben. Andere Feldfrüchte wurden nicht angebaut und so unterscheiden sich dann auch die Wörter für Reis oder Roggen in den transeurasischen Sprachen. Untermauert wurde diese Theorie auch durch genetische Analysen aus den Regionen, in denen diese Sprachen heute verbreitet sind. Das sind allerdings Belege, die sich auf die Zeit nach der Entwicklung der Sesshaftigkeit beziehen und insofern nur Analogien in Richtung einer gemeinsamen "Ur-Sprache" für die Zeit der kognitiven Revolution zulassen.

 

Wir wollen es dabei belassen, auch wenn wir interessante Sprachfamilien wie das Kartwelische (im wesentlichen aus Georgien) oder das kurz vor dem Aussterben, nur noch von kaum mehr als 100 Menschen auf Sachalin und an der Amurmündung gesprochene Niwchisch, das zu keiner Sprachfamilie gehört, gerne noch in vier bis sieben Blogfolgen durchgenommen hätten. So untersuchen wir auch nicht weiter, dass das Klima in südlichen Regionen aufgrund der dort vorhandenen warmen und entsprechend feuchteren Luft die Entwicklung lauterer, sogenannter sonorer Sprachelemente begünstigt hat, während im Norden eher stimmlose Laute bevorzugt waren. Einen Überblick über Sprachen und ihre Verwandtschaft untereinander bietet das Grambank-Projekt.

Das nächste Mal geht es dann rund - um die Welt. Und wir gönnen der Welt mal wieder ein wenig Massenaussterben.