In dieser Blogfolge machen wir weiter ordentlich Strecke, erkennen die Überlegenheit des Teichmolchs an, erleben die erste Polonaise sowie zwei große Katastrophen und landen an der Tür zum Kambrium.
Nun begann das, was wir von Herrn Darwin als survival of the fittest kennen. Alle Individuen einer Art unterscheiden sich. Aus einem Überangebot an Nachkommen überleben vorwiegend die, die am besten auf die aktuellen Umweltbedingungen angepasst sind. Die Eigenschaft der einzelnen Individuen vererben sich zwar, dabei kommt es allerdings durch die Vermischung des Erbmaterials bei der sexuellen Fortpflanzung (können wir für die Prokaryoten ausschließen, ohne Zellkern macht das sicherlich auch wenig Spaß), aber auch durch kleine Kopierfehler der DNS zu Veränderungen. DNS heißt ausgeschrieben Desoxyribonukleinsäure und ist eine Doppelhelix als Träger der genetischen Information, die aus den Stickstoffbasenpaaren Cytosin-Guanin und Adenin-Thymin besteht. Das HIV-Aids-Virus hat 9.700 solcher Basenpaare, ein Wasserfloh 200 Millionen, der Gemüsekohl zwischen 600 und 868 Millionen und der Mensch 3,27 Milliarden. Darüber können der Teichmolch mit 25 Milliarden und der Lungenfisch mit 78 Milliarden Basenpaaren nur müde lächeln. Einige Amöben sprengen sogar die Billionengrenze. Viel hilft eben nicht immer viel.
In dem Evolutionsprozess entstanden aus den Prokaryoten irgendwann auch Zellen mit Zellkern, die Eukaryoten, später dann Pflanzen und Tiere. Durch die zufälligen Veränderungen und die Anpassungen aufgrund der Vermischung gab es immer wieder Individuen, die besser auf die Lebenswelt angepasst waren, die also mit Veränderungen der Umwelt (Temperatur, Feuchtigkeit usw.) oder des Nahrungsangebotes besser, effizienter umgehen konnten. Diese hatten im Überlebenskampf einen entsprechenden Vorteil. Sie lebten mit höherer Wahrscheinlichkeit länger und konnten sich häufiger fortpflanzen. Dieser Prozess nennt sich dann »natürliche Auslese«.
Den Stammbaum der Arten kannst Du Dir im Internet ansehen, da muss ich Dir jetzt nicht alle 2,3 Millionen dort verzeichneter Spezies vorbeten – wobei die Forscher sich sicher sind, dass ihnen Millionen von Arten – ausgestorbene und existierende – gar nicht bekannt sind. Ein Blick auf die grobe Entwicklung wollen wir uns aber doch gönnen, es geht schließlich auch um unser Leben.
Es gibt Sauerstoff
Vor 2,6 Milliarden Jahren, die Erde war also bereits 2 Milliarden Jahre alt, nahm die Häufigkeit der Stromatolithen, das waren diese aus von Prokaryoten durch Schichtung von vielen Zellmatten entstandenen Gebilde, deutlich zu. In dem Evolutionsprozess hatten sich vor spätestens 2,7 Milliarden Jahren Cyanobakterien entwickelt, die Photosynthese konnten. Und bei der Photosynthese entsteht, wie Deine Biologielehrerin seinerzeit schon richtig bemerkte, Sauerstoff. Das gibt doch Hoffnung. Bis der Mensch davon profitieren konnte, dauerte es jedoch noch ein wenig. Wir verlassen damit aber das Archaikum und treten ein in das Zeitalter der Einzeller, das Proterozoikum, welches etwa zwei Milliarden Jahre andauern sollte. Nur Geduld, ich beeile mich ja schon.
Es entwickelten sich also Cyanobakterien, die die Photosynthese beherrschten und Sauerstoff produzieren konnten. Sie lebten in riesigen, über viele hundert Kilometer reichenden Stromatolith-Feldern in flacherem Wasser. Auch wenn ein einzelnes Bakterium wenig an dem Sauerstoffgehalt der Atmosphäre drehen kann, die Masse macht‘s. Viel hilft eben manchmal doch viel. Metalle konnten mit dem Sauerstoff oxidieren, die Oxide waren wieder neue Bausteine für die Weiterentwicklung der Bakterien.
Vor etwa 2,3 Milliarden Jahren gab es dann eine Eiszeit. Es wird vermutet, dass die Oxidation des Methans in der damaligen Atmosphäre zu einer Abkühlung der gesamten Erde führte. 35 Millionen Jahre lang war es derbe kalt. Wahrscheinlich führten Vulkanausbrüche dann wieder zu einer steigenden Kohlendioxid-Konzentration und der entsprechenden Erwärmung. Was genau die Eiszeit wieder beendet hat, muss aber offenbleiben. Auf jeden Fall kamen durch Gletschererosionen neue Mineralien und Nährstoffe ins Meer und das Leben konnte den nächsten Schritt gehen. Die Eukaryoten entwickelten sich. Du erinnerst Dich: Zellen mit Zellkern. Also fast schon Menschen. Aus dieser Zeit (vor 2,1 Milliarden Jahren) stammen auch die ältesten tierischen Bewegungsspuren. Vermutlich haben sich Einzeller, denen langweilig wurde, zusammengetan, miteinander zu einer Kette zusammengeschlossen und dann ging es los. Eine Polonaise sozusagen.
... zu viel Sauerstoff
Neben den Vulkanen verhinderten eine Vielzahl von Asteroideneinschlägen in der Zeit vor 3,5 bis 2,5 Milliarden Jahren eine Anreicherung von Sauerstoff in der Atmosphäre. Erst als diese nachließen, konnte sich immer mehr dieses lebenswichtigen Gases ansammeln. Ein Nebeneffekt der steigenden Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre war und ist, dass das kurzwellige Licht stärker gebrochen wird und Himmel und in seiner Spiegelung die Meere blau erscheinen. Viel wichtiger war aber der Effekt, dass sich Wasserstoff mit dem Sauerstoff in der Atmosphäre verbinden konnte und über die Niederschläge im Wasserkreislauf der Erde erhalten blieb. Venus und Mars haben durch die Sonnenwinde den leichten Wasserstoff verloren, da seine Atome zu leicht sind, um durch die Gravitation gehalten zu werden. Ohne die Sauerstoffproduktion der Prokaryoten gäbe es heute auf der Erde keine Atmosphäre und kein Wasser. Auch wenn wir uns ein Leben ohne Antibiotika nicht mehr wirklich vorstellen wollen, lass uns damit zurückhaltend umgehen, als verspäteter Dank an die Bakterien, die uns das Leben auf unserem Planeten ermöglicht haben.
Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre lag damals bei etwa 3 Prozent, stieg dann vor einer Milliarde Jahre weiter an und erreichte nach vielen Schwankungen vor etwa 350 Millionen Jahren den heutigen Wert von etwa 21 Prozent. Für viele der Bakterien und Archaeen, die sich in sehr sauerstoffarmer Zeit entwickelt hatten, führte die Steigerung des Sauerstoffgehaltes aber zum Aussterben. Für diese anaeroben Lebensformen war Sauerstoff schlicht ein Gift, 80 bis 99,5 Prozent des existierenden Lebens starb aus. Dieses Ereignis vor 2,4 Milliarden Jahren nennt man die »Große Sauerstoffkatastrophe«.
»Lebbe geht weider«, sagte mal ein mittel-bekannter Fußballtrainer nach einer verpassten Meisterschaft. Und da hatte er Recht. Algen entstanden und forcierten die Sauerstoffproduktion, die ersten Grünalgen bereits vor einer Milliarde Jahre. Im Meer, der Quelle des Lebens, wie wir gesehen haben, wurde der Sauerstoff aber erst einmal genutzt, um aus zweiwertigem Eisen durch Oxidation dreiwertiges zu bilden, das sich dann in Sedimenten auf dem Boden ablagerte. So entstanden Bändereisenerze, die bis heute 90 Prozent des wirtschaftlich genutzten Eisenerzes ausmachen. Erst als alles Eisen im Ozean entsprechend gebunden war, konnte der Sauerstoff für die weitere Entwicklung des Lebens genutzt werden. Die Prozesse sind durchaus komplex. Ich will zu unser aller Wohl nach dem zwei- und dreiwertigen Eisen jetzt nicht auch noch auf die Bedeutung anderer Stoffe, beispielsweise des Schwefels eingehen. Chemieblogs sollen andere schreiben.
Eiszeiten und Asteroiden
Diese Prozesse dauerten. Wir machen einen großen Schritt und schauen kurz auf die Serie von Eiszeiten, die die Erde vor 750 bis 580 Millionen Jahren durchzustehen hatte. Grund hierfür mögen tektonische Verschiebungen und dadurch ausgelöste starke Verwitterungsprozesse der aufbrechenden Gesteinsschichten gewesen sein, die massiv Kohlendioxid aus der Atmosphäre gezogen haben. Der negative Treibhauseffekt sozusagen. Eiszeiten haben dann ja auch einen inneren Turbo, da die weißen Eisschichten das Sonnenlicht stärker reflektieren und somit für eine weitere Abkühlung sorgen. Auch hier sollen wieder Vulkanausbrüche für eine Anreicherung des Kohlendioxids in der Atmosphäre und damit deren Erwärmung gesorgt haben. Zudem mag es Verschiebungen der Kontinentalplatten zu den Polen gegeben haben, wo die Verwitterungsprozesse deutlich länger dauern. Der Jungbrunnen liegt also eher nördlich auf Sylt als auf den Kanaren.
Zudem gab es vor 800 Millionen Jahren ein heftiges Bombardement von Asteroiden-Einschlägen, die zumindest in Summe deutlich stärker waren als derjenige einzelne, der vor 66 Millionen Jahren zum Aussterben der Dinosaurier geführt hat. Aus Analysen der Mondkrater, die mangels Atmosphäre keinen Verwitterungsprozessen ausgesetzt sind, können diese lang zurückliegenden Einschläge rekonstruiert werden. Eine These ist, dass die Asteroiden dabei Elemente auf die Erde brachten, wie etwa Phosphor, die die weitere Entwicklung des Lebens deutlich beschleunigten.
... zu wenig Sauerstoff
Eine einschneidende Phase erlebte die Tierwelt auf unserer Erde vor etwa 550 Millionen Jahren – oder erlebte sie eben nicht. In diesem Ediacarium genannten Zeitalter, das vor 635 Millionen Jahren begann und knapp 100 Millionen Jahre bis zum Beginn des Kambriums dauerte, hatten sich die ersten komplexeren tierischen Lebewesen entwickelt. In den Ablagerungen aus dieser Zeit verschwinden in dem Zeitraum von vor 550 Millionen Jahren plötzlich 80 Prozent der Arten. Da die Überlebenden in aller Regel über eine im Vergleich zum Volumen sehr große Oberfläche verfügten, ist zu vermuten, dass es schwieriger wurde, Sauerstoff aufzunehmen. Wodurch der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre zu dieser Zeit sank, ist ungewiss. Da müssen die üblichen Verdächtigen, also Vulkane, Asteroiden und Tektonik wieder ran.
Manch einer hält Disruption ja für etwas Positives, weil so Raum für neue, zukunftsfähigere Lösungen geschaffen wird. Aber zwei Massenaussterben in einer Blogfolge sind schon heftig. Wir hoffen auf die Zukunft, bleiben aber vorsichtig.
Wie ging es nun mit der Evolution weiter? Die entstandenen einzelligen Lebewesen bildeten Selbsthilfegruppen, sogenannte Kolonien, aus denen sich unterschiedliche Lebensformen entwickelten, die sich taxonomisch in unterschiedliche Reiche (das heißt wirklich so) einteilen lassen. Auf »Pflanzen« und »Tiere« wärst Du sicherlich auch alleine gekommen, mit etwas Nachdenken vielleicht noch auf »Pilze«. Die anderen musst Du aber auch nicht wissen. Es handelt sich beispielsweise um die Stramenophilen oder Chromista, meistens Einzeller mit zwei Geißeln, aber auch die Braunalge gehört hierzu. Die gesamte Gliederung der unterschiedlichen Lebensformen ist gerade im Bereich der Einzeller eher unübersichtlich. Über Bakterien und Archaeen bei den Prokaryoten und die Viren hatten wir ja bereits gesprochen.
Nächstes Mal steigen wir dann ins Erdaltertum beginnend mit dem Kambrium ein. Es wird immer konkreter, wir haben aber auch noch knapp 550 Millionen Jahre vor uns. Aber wir schaffen das.