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(28) Echnatons Vermächtnis

Neue Bilder

Mit den politisch-religiösen Veränderungen, die wir das letzte Mal betrachtet haben, einher ging auch ein veränderter, modernerer Stil in der Malerei und bildenden Kunst. Aller Wahrscheinlichkeit nach galt dies auch für die Musik, entsprechende Tonaufzeichnungen sind bisher aber leider nicht gefunden worden und viel Hoffnung besteht hier auch nicht mehr. Diese Weiterentwicklung des Kunststils, »Amarna-Periode« genannt, ist nicht durch Echnaton persönlich geschaffen worden. Ohne ihn hätte es sie jedoch auch nicht gegeben. Wir beschäftigen uns in dieser Erzählung ja sehr wenig mit Kunst, Kultur, Religion und Wirtschaft, um die Entwicklungen nicht noch ausufernder berichten zu müssen. Es ist klar, dass dadurch wesentliche Bereiche der Geschichte unberücksichtigt bleiben, ein Defizit, das wir sehenden Auges und mit ein wenig schlechtem Gewissen erdulden. Bei Echnaton machen wir eine kleine Ausnahme, da der Umbruch, den Ägypten erfuhr, so noch greifbarer wird.

 

Bereits im Thebaner Atontempel, Echnatons erstem großen, eigenständigen Bauwerk, ist der Beginn der Wandlung deutlich zu erkennen. Mitunter ist der Stilwechsel sogar in den Bildern unmittelbar aufeinander folgender Bauphasen sichtbar. Das zeigt deutlich, dass der Umbruch in sehr kurzer Zeit gekommen sein muss. Es war keine allmählich über Jahre und Jahrzehnte wachsende Veränderung, sondern ein sehr jäher, plötzlicher Umschwung. In Achetaton selbst begegnen uns Kunstwerke, die den vollkommenen Bruch mit der Vergangenheit zum Anfassen sinnfällig machen.

 

Was die heute sogenannte Amarnakunst ausmacht, wird auch an den Darstellungen, die von Echnaton selbst erhalten sind, sehr deutlich.

Es ist kein schöner, idealisierter Mensch abgebildet, sondern wir sehen ein schmales Gesicht, schräg stehende Augen, wulstige Lippen, einen dünnen Hals, Hängebauch, fette Oberschenkel, kaum muskulöse Arme. Es gibt Theorien, die aus dieser Darstellung ableiten, dass Echnaton krank gewesen sei. Er könnte am sogenannten Fröhlichschen Syndrom (Dystrophia adiposogenitalis) gelitten haben, das durch eine Unterentwicklung der Geschlechtsorgane und einen auffallenden Fettansatz am Becken und den Oberschenkeln gekennzeichnet ist. Andere vermuten, dass er als junger Mann trotz seiner sieben Kinder auf einem Feldzug in kurzer Gefangenschaft kastriert worden wäre - pater semper incertus est. Eher unwahrscheinlich ist die noch gewagtere These, dass er gar eine Frau gewesen sei. Bei den beschriebenen Eigenschaften wäre diese Überlegung auch kein Kompliment für die Ägypterin des Neuen Reichs.

Und da wir nicht wissen, inwieweit die Darstellung eine wirklich realistische ist, lassen wir es dabei und bemerken nur die plötzliche Wandlung der Darstellungsart: Keine idealisiert einförmig athletische wie in der Vergangenheit, sondern eine fast expressionistisch übersteigerte. Diese vielleicht lebensnähere, weniger idealisierte Bildgestaltung wurde zusehends für andere Personen übernommen, so dass binnen kurzer Zeit ein deutlicher Wandel auch nach außen hin erkennbar wurde.

Im Gegensatz zu Echnaton sehen wir Nofretete bis heute als Inbegriff der Schönheit – waren die Bilder realistisch oder war sie zu eitel? Wir glauben fest an die erste Möglichkeit.

 

Nicht allein die Darstellung des Pharaos und der Menschen allgemein veränderte sich. Es wurden weniger erhabene Reliefs gemeißelt, sondern immer mehr versenkte (sozusagen in der Negativdarstellung). Dies geschah zu Ehren Atons, da bei der versenkten Technik die durch die Sonnenstrahlen hervorgerufene Schattenbildung zu dem prägenden Effekt der Darstellung wurde. Aton war quasi der wahre Künstler.

Auch in der Malerei gab es eine deutliche Weiterentwicklung. Es wurden Hintergründe dargestellt und eine umfangreichere Farbpalette genutzt. Die Bilder wurden insgesamt effektvoller und realistischer. Und auch in der Plastik wurde durch die Nutzung unterschiedlicher Gesteinsarten die Realitätsnähe der Darstellung deutlich gesteigert.

Dies ist für den Laien, der die Feinheiten der Technik im Einzelnen nicht erkennen kann, das hervorstechendste Merkmal der Amarna-Kunst: Wenn wir eine Echnaton-Büste anschauen, dann schauen wir einen Menschen an, wenn wir ein Amarna-Bild anschauen, dann sehen wir beispielsweise nicht nur die Enten, wir hören sie fast auch auffliegen. Dies ist ein deutlicher Gegensatz zu den sehr grafischen, wenn wir frech sein wollen: piktogrammähnlichen Darstellungen in der Zeit davor.

 

Es ist klar, dass Echnaton diesen Umschwung maßgeblich befördert hat, kein größeres Kunstwerk entging seiner Zensur. Und er hat die Kunst sicherlich in den Dienst seiner neuen Religion gestellt – in welcher Form und wie können wir heute nur erraten. Aber: Er hat auch für einen ungeheuren künstlerischen Schub gesorgt. Es ist fast unvorstellbar, dass sich dieser tiefgreifende Wandel wirklich in wenigen Monaten und Jahren vollzogen hat.

 

Echnaton als Pharao

Bisher haben wir die Rolle Echnatons als Kulturrevolutionär in den Mittelpunkt gestellt. Aber natürlich war Echnaton als Pharao auch Staatsoberhaupt der vorherrschenden Großmacht und musste sich mit Innen- und Außenpolitik beschäftigen. Dass er innenpolitisch auf der Hut zu sein hatte, haben wir bereits angedeutet. Die entmachtete Priesterschaft und das an seinen alten Göttern hängende Volk waren ein latentes Gefahrenpotential, dass seine »Revolution von oben« durch eine – durch Priester geschürte – Revolution von unten wieder aus der Welt geschaffen werden könnte. Echnaton hat dies zu seinen Lebzeiten verhindern können, sicherlich gestützt auf einen ihm ergebenen Polizei- und Beamtenapparat. Ohne eine solche effiziente Verwaltung wäre auch die immense Bauleistung in Echnatons Regierungszeit nicht möglich gewesen.

 

Die Konzentration auf Machterhaltung nach innen und auf die Neuordnung des Pantheons nahm ihm jedoch die Energie und Konzentration für eine kraftvolle Außenpolitik. Im Norden lagen mit Mitanni und dem Reich der Hethiter zwei große Regionalmächte im Streit. Ägypten war mittlerweile mit Mitanni befreundet und über die Nebenfrau Echnatons sogar verschwägert. Im Grenzgebiet zwischen Ägypten und den Hethitern im heutigen Libanon fielen gegen Ende von Echnatons Regierungszeit einige Stadtstaaten von Ägypten ab und schlugen sich auf die hethitische Seite. Hier hatte Echnaton versagt, sich vorbeugend und nachhaltig die Loyalität dieser gefährdeten Gebiete zu sichern. Eine Demonstration ägyptischer Militärmacht beispielsweise hätte sicherlich Eindruck erzielt. Als diese dann kam, war es zu spät. Der Hethiter Schuppiluliuma I. (reg. etwa 1370 bis 1330 v. Chr.) schlug die ägyptische Strafexpedition gegen die abgefallenen Städte zurück und eröffnete seinerseits den Krieg gegen Ägypten. Zur Einweihung von Achetaton hatten die Hethiter noch eine Delegation mit Geschenken geschickt, nun war aus einem wenn nicht Freund, so doch zumindest neutralen Nachbarn, ein Feind geworden. Unter Echnatons Vater Amenophis III. waren auch die Wirtschaftsbeziehungen in die Ägäis intensiver gewesen. Im Königstempel des Amenophis finden sich die ersten Erwähnungen von Orten wie Troja, Mykene oder Knossos und Völkern wie die Danaer und Ionier. Unter Echnaton brechen diese Handelsbeziehungen nahezu völlig ab.

 

Erfolgreicher war im Süden der ägyptische Vizekönig in Kusch. Die immer wieder aufflackernden Aufstände konnten niedergeschlagen werden. Insgesamt war Echnatons außenpolitische Bilanz also nicht nur negativ. Er spielte, vergleichbar mit Hatschepsut, quasi auf Halten und kam damit zeitlebens durch. Die Tribute flossen größtenteils weiter, so dass keine größeren Kriege notwendig wurden. Aber er versäumte sicherlich eine offensive Machtsicherung im Norden. Seine Nachfolger hatten mit den Hethitern ihre liebe Not, mit dem letztlichen Erfolg, dass Ägyptens Vorherrschaft in der Levante gebrochen wurde. Vielleicht hätte Echnaton hier einiges verhindern können. Das blühende Reich, das er übernommen hatte, ließ ihm Zeit und Raum, den Atonkult zu entfalten. Er vergaß darüber jedoch ein wenig, dass Blumen regelmäßig gegossen werden müssen, wenn sie nicht vertrocknen sollen. In dieser künstlerisch angehauchten Episode sei mir diese platte Metapher gestattet.

 

Nofretete wollen wir nicht ganz vergessen. Sie war nicht nur schön, sondern spielte in der Regentschaft Echnatons eine durchaus aktive Rolle. Auf Abbildungen erscheint sie wie bereits erwähnt mit pharaonischen Machtsymbolen, so dass von einer sehr gleichberechtigten Beziehung der beiden ausgegangen werden kann. Ein für diese Zeit (und viele andere Epochen) revolutionärer Ansatz.

 

Echnatons Leistung

1336 v. Chr. starb Echnaton in seinem 17. Regierungsjahr. Es gibt Theorien, dass er einem Anschlag zum Opfer gefallen sein soll – bei den Feinden, die er sich vor allem in der Priesterschaft gemacht hatte, keine unwahrscheinliche These. Er hinterließ einen kleinen Sohn, den späteren Pharao Tutanchamun (1343 bis 1321 v. Chr., reg. 1332 bis 1321 v. Chr.) und sechs Töchter, einige davon nach alter Sitte mit seinen eigenen Töchtern gezeugt. Zumindest mit seinen drei Erstgeborenen war er auch verheiratet. Echnatons Leichnam wurde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anhand von DNA-Vergleichen und Inschriften als der im Grab KV55 (Kings‘ Valley No. 55) gefundene identifiziert. Diese Person sei der Sohn von Teje und Amenophis III. und Vater des Tutanchamun. Allerdings gibt es weiterhin Zweifel, da die körperlichen Überreste für einen sehr jungen Mann sprechen, vielleicht war es also auch ein Bruder des Pharao. Es ist halt alles schon sehr lange her und der Theorien sind immer viele.

 

Echnatons Leistung ist durchaus zwiespältig, eigentlich sogar sehr kritisch zu beurteilen. Seine Innovationskraft, wie man heute sagen würde, auf dem Gebiet der Religion hat nicht vorgehalten. Ihm fehlte das Augenmaß, die Dinge nachhaltig zu verändern. Stattdessen revolutionierte er Ägypten, mit dem Erfolg, dass schon zehn Jahre nach seinem Tod wieder alles beim Alten war. Und wahrscheinlich sogar noch veränderungsunfähiger. Die Menschen lebten dann in der noch stärkeren Überzeugung, das Richtige zu glauben und zu tun, da es sich ja erfolgreich gegen eine Irrlehre durchgesetzt hatte. Und die Konzentration auf die innere Umwälzung stellte die Außenpolitik hintan. Das, was seine Vorgänger, insbesondere Thutmosis III., geschaffen hatten, ging verloren. 

 

Doch was hat Echnaton nachhaltig verändert?

Er hat einen Gott geschaffen – Aton. Dieser wurde jedoch auch bald wieder gestrichen. Aber es gelang dem »Vorgänger« Amun nie wieder, im Pantheon die allein beherrschende Stellung innezuhaben. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, in diesem Fall zwei Dritte, nämlich Ptah und Re, die in der Götterhierarchie deutlich aufrückten. Und Re war immerhin Sonnengott! Theben, die Amunstadt, wurde nicht wieder Hauptstadt, sondern Memphis. Und in den Dichtungen der kommenden Generationen in der 19. und 20. Dynastie spielte allen Verfemungen zum Trotz die Sonnenscheibe eine sehr viel bedeutendere Rolle als in der Zeit vor Echnaton.

Er hat eine Stadt gegründet – Achetaton. Diese verfiel jedoch zusammen mit seinem Glauben kurz nach seinem Tod. Aber Einfluss auf den Baustil hatte er doch. Die von ihm geschaffenen Königsgräber waren nicht wie vorher verwinkelt in die Erde gebaut, sondern gradachsig, dass sie von Atons Strahlen erhellt werden konnten. Dabei blieben auch seine Nachfolger. Seinen Einfluss auf die Kunst haben wir oben bereits beschrieben. Zudem sorgte er dafür, dass die Schriftsprache der gesprochenen angepasst wurde, das klassische, antiquierte Mittelägyptisch verschwand zugunsten des Neuägyptischen. Ein Schub für die Literatur ähnlich dem, den er in den bildenden Künsten initiierte.

 

Und in diesem Bereich liegt die nachhaltigste Wirkung Echnatons. Sein Monotheismus war sicherlich inspirierend auf die alttestamentarische Entwicklung zu Juden- und Christentum. Die Anwesenheit von Jakobs Sohn Joseph an seinem Hof, den Thomas Mann so eindrucksvoll ausspinnt, ist biblisch dokumentiert. Wenn auch die Zeitenfolge nicht unbedingt zusammenpasst, so zeigt dies doch die gedankliche Verbindung.

 

Beim nächsten Mal werden wir dann wieder historisch und schauen, wie es mit der 18. Dynastie weiterging.